Robert Gernhardt Preis Für seinen Debütroman fällt Martin Piekar seinen Stammbaum

Alkohol, Depressionen, Suizid: In "Vom Fällen eines Stammbaums" setzt sich Schriftsteller Martin Piekar mit seiner eigenen Kindheit und dem Zusammenleben mit seiner psychisch kranken Mutter auseinander. Dafür erhält er jetzt den Robert Gernhardt Preis.

Martin Piekar
Martin Piekar (2023) Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Martin Piekars Texte sind nichts für Zartbesaitete. Wenn er etwa vom Aufwachsen eines Jungen erzählt, der mit seiner depressiven und alkoholkranken Mutter in einer kleinen Wohnung zusammenlebt und einen Suizidversuch mit ansehen muss, dann klingt das so:

"Das Blut schwamm auf dem Teppich, als wollte er es nicht haben. Sie wachte kurz auf, sah mich an. Sie sah mich an – und erkannte mich." Der Auszug stammt aus "Vom Fällen eines Stammbaums", einem Kapitel aus dem Debütroman des 34-Jährigen aus Bad Soden (Main-Taunus).

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Es ist ein Mammut-Projekt: Seit sechs Jahren arbeitet er daran, nächstes Jahr soll das Buch fertig werden. Die Jury des Robert Gernhardt Preises konnte er mit dem Text schon überzeugen. Sie wählte den 34 Jahre alten Schriftsteller als einen der diesjährigen Preisträger aus.

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Mit dem Robert Gernhardt Preis unterstützt das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst seit 2009 jährlich Autorinnen und Autoren bei der Realisierung größerer literarischer Vorhaben, die Bezug zu Hessen haben. Er ist nach dem 2006 in Frankfurt verstorbenen Autor, Zeichner und Maler Robert Gernhardt benannt. Das Preisgeld in Höhe von insgesamt 24.000 Euro wird vom Land Hessen und der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WIBank) gestiftet.

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Roman mit autobiografischen Zügen

Piekars erster Roman hat viel mit seiner tatsächlichen Lebensgeschichte zu tun. Als Sohn polnischer Eltern wurde Piekar in 1990 in Bad Soden geboren. Der Vater ging zurück nach Polen, Mutter und Sohn blieben zurück und schlugen sich durch. Die Mutter arbeitete in der Altenpflege und litt unter Depressionen und Alkoholsucht, wurde später pflegebedürftig.

"Ich wurde sehr früh in die Elternrolle gedrängt, als Kind, als Teenager", sagt Piekar. Zu seiner Mutter habe er eine "sehr aufgeladene, komplizierte Beziehung" gehabt, die ihn "menschlich an den Rand" gebracht habe.

Familiengeschichten sorgen für Verbindung

Trotz des schwierigen Verhältnisses blieben beide viel in Kontakt – unter anderem durch die Geschichten, die seine Mutter ihm über ihre polnische Familie erzählte. Die sollen nun Raum in Piekars Buch bekommen.

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Frankfurter Autor gewinnt renommierten Preis

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Dass er seit mittlerweile sechs Jahren daran arbeitet, hängt auch mit den hohen literarischen Anforderungen zusammen, die Piekar an sich selbst stellt: Immer wieder überarbeitet er seinen Text. Einerseits, weil es ihm dabei hilft, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Andererseits ist er stets auf der Suche nach noch besseren, noch treffenderen Formulierungen.

Schon als Teenager schreibt er Gedichte

Mit Worten kreativ umzugehen, habe ihm schon immer Spaß gemacht, sagt Piekar. Schon mit 14 schrieb er seine ersten Gedichte. Nicht gerade das angesagteste Hobby unter Gleichaltrigen, aber ein günstiges. "Ich bin arm aufgewachsen", so Piekar. Um Gedichte zu schreiben, habe er nur einen Stift und ein Blatt Papier gebraucht.

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Während seines Lehramts-Studiums an der Goethe-Universität in Frankfurt veröffentlichte Piekar seine ersten Gedichtbände. Seine literarische Kunst wurde mehrfach prämiert, 2015 und 2016 beispielsweise mit dem hr2-Literaturpreis. Im vergangenen Jahr erhielt er zwei Auszeichnungen beim renommierten Ingeborg-Bachmann-Literaturpreis, darunter den Publikumspreis beim Wettlesen.

Piekar setzt auf Umgangssprache

Ob er nun Gedichte oder einen Roman schreibt: Piekar ist es wichtig, dass seine Texte von möglichst allen Menschen verstanden werden können. Deshalb kommt darin auch viel Umgangssprache vor.

"Man sollte die Literatur als Kunstform nicht von der gewöhnlichen Sprache abtrennen", findet der 34-Jährige. In seinem Buch gibt es außerdem viel wörtliche Rede. "Weil es mir auch um das menschliche Erzählen geht", erklärt er. "Wie eine Stimme der anderen etwas mitteilt, ist wichtig."

Freude an Texten vermitteln

Auch deshalb ist der Schriftsteller viel in Schulen unterwegs, öffnet Kindern und Jugendlichen neue Zugangswege zu Texten – unter anderem mit Hilfe von Social Media. Ein aktueller Tiktok-Trend etwa funktioniere gut im Unterricht: "Sag mir Zitrone, ohne Zitrone zu sagen."

Die Kinder sollen Umschreibungen finden, sich Gedanken über Sprache machen – und einen kreativen Umgang mit Wörtern und Texten entwickeln. Gemäß dem Ansatz: Wer merkt, wie viel Freude das Spiel mit der Sprache bringt, der fängt vielleicht auch an, selbst Texte zu schreiben. So, wie Martin Piekar es als Jugendlicher gemacht hat.

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Jury prämiert zwei literarische Projekte

Neben Martin Piekar wird am Donnerstagabend auch die Kunst-Professorin und Bildungswissenschaftlerin Christina Griebel mit dem Robert Gernhardt Preis ausgezeichnet. In ihrem eingereichten Erzählprojekt "Er ist niemals geflogen" geht es um eine rheinhessische Familie. Im Mittelpunkt steht der Vater der Ich-Erzählerin, der das Haus nie ohne sein Fernglas und ohne sein Vögel-Bestimmungsbuch verlässt. Die Jury lobte Griebels poetische und bildreiche Sprache.

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Sendung: hr2,

Quelle: hessenschau.de