Abriss einer Scheune in Dagobertshausen Misst die Stadt Marburg beim Denkmalschutz mit zweierlei Maß?

Der Abriss einer denkmalgeschützten Scheune in Marburg-Dagobertshausen schlägt derzeit hohe Wellen. Denn: Die Scheune stand auf dem Grundstück eines wichtigen Investors. Und die Stadt muss sich fragen lassen, ob sie alle Besitzer denkmalgeschützter Gebäude gleich behandelt.

Ein Bauernhof mit mehreren Gebäuden, die teils verfallen sind. Davor steht ein Bagger.
Der alte Hof in Marburg-Dagobertshausen. Bild © Thomas Rautenberg

Bis vor rund 15 Jahren war das 350-Einwohner-Örtchen Dagobertshausen ein weitestgehend unbekannter Ortsteil im Westen von Marburg - inzwischen sorgt er immer wieder für Schlagzeilen. Denn damals kaufte der Investor Vila Vita dort mehrere Grundstücke und gestaltete sie zu Freizeit- und Hotelanlagen mit Edelgastronomie um, und das aus seiner Sicht sehr erfolgreich.

Jedes Jahr finden in einem der Hofgüter Märkte und Feste statt, Musikerinnen und Musiker wie Stefanie Heinzmann oder Mark Forster traten in der dazugehörigen Eventscheune auf, Sportstars wie Fußballtrainer Jürgen Klopp feiern dort Geburtstag.

Neuer Konflikt um Abriss einer denkmalgeschützten Scheune

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Bei den Dorfbewohnern trifft das nicht nur auf Gegenliebe. Eine Bürgerinitiative gründete sich, die gegen zugeparkte Straßen und Äcker, Lärm und aus ihrer Sicht sinkende Lebensqualität in Dagobertshausen protestierte. Auch werde die Dorfgemeinschaft in etwaige Planungen nicht einbezogen.

Zwischenzeitlich wurde ein runder Tisch aus Dorfbewohnern und Vertretern des Investors gegründet. Dieser hat nach Angaben von Stadt und Vila Vita die Gemüter beruhigt, doch mit dem Abriss einer denkmalgeschützten Scheune flammt wieder Ärger auf.

Gesetzliche Denkmalschutzvorgaben nicht eingehalten

Im April 2024 wurde die Fachwerk-Scheune abgerissen - gegen den Willen des Denkmalbeirats, zur Überraschung des Ortsbeirats, aber mit einer Genehmigung des Magistrats der Stadt Marburg. Dieser hat die Genehmigung erteilt, ohne die gesetzlichen Denkmalschutzvorgaben einzuhalten, wie die zuständige Obere Denkmalschutzbehörde und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur (HMWK) dem hr jetzt bestätigten.

Die Scheune gehörte zu einem Hof, den Vila Vita 2018 gekauft hat. Nach Angaben der Stadt ist die Scheune seit 2013 in der Liste der Kulturdenkmäler Marburgs aufgeführt. Das noch stehende Haupthaus werde seit mindestens 1990 im Denkmalverzeichnis geführt.

Der Hof wiederum ist Teil der denkmalgeschützten Gesamtanlage "Historischer Ortskern Dagobertshausen", dieser stehe aus "siedlungsgeschichtlichen Gründen" unter Denkmalschutz. Scheunengebäude sind dabei nach Angaben der Oberen Denkmalschutzbehörde "bedeutende baukulturelle Zeugnisse des Lebens auf dem Lande und der landwirtschaftlichen Produktion".

Scheune sollte Teil von Neubauplänen sein

Die Unternehmensgruppe Vila Vita, hinter der eine Marburger Milliardärsfamilie steht, plante auf dem Gelände ursprünglich den Bau eines weiteren Hotel-, Gastronomie- und Konferenzkomplexes - nach Protesten der Bürgerinitiative und einem Mediationsverfahren wurden die Pläne aber geändert.

Nun soll dort ein so genanntes Boardinghaus entstehen, ein Beherbergungsbetrieb, in dem Menschen sich länger einmieten können. Oft werden Boardinghäuser von Unternehmen genutzt, die über längere Zeit Mitarbeiter für bestimmte Projekte in andere Städte schicken. Die Scheune sollte dabei Teil der Pläne sein.

Investor: "Sinnvolle und vertretbare Instandsetzung nicht möglich"

Dass er letztendlich aber einen Antrag auf Abriss der Scheune stellte, begründet ein Sprecher von Vila Vita mit dem schlechten Zustand des Gebäudes, zuletzt habe im Dezember 2023 ein Sturmtief einen schweren Schaden am Dach verursacht, das altersbedingt ohnehin instabil gewesen sei.

EIne Fachwerk-Scheune, von deren Dach ein teil der Ziegel gefallen ist.
Der sichtbare starke Sturmschaden an der Scheune. Bild © Vila Vita

Vila Vita habe nach dem Sturm fachkundige Handwerksbetriebe hinzugezogen, um mögliche Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen zu prüfen. "Diese kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass aufgrund der akuten Einsturzgefahr keine einfache oder provisorische Sicherung möglich sei", sagte der Sprecher.

"Allein für eine erste Absicherung wären umfangreiche Einrüstungen und bauliche Sicherungsmaßnahmen notwendig gewesen, um eine Gefährdung von Personen auszuschließen." Letztendlich sei "eine wirtschaftlich sinnvolle und vertretbare Instandsetzung nicht darstellbar" gewesen.

Denkmalbeirat sieht sich übergangen

Jan Wündisch, Handwerksmeister, Restaurator und Mitglied des Denkmalbeirats, protestierte kürzlich öffentlich vor der Marburger Stadtverordnetenversammlung gegen das Vorgehen des Magistrats. Die Scheune sei tatsächlich in einem sehr schlechten Zustand gewesen, sagt auch Wündisch. Doch der Investor habe das Gebäude seit Jahren verfallen lassen, obwohl die Besitzer denkmalgeschützter Gebäude zu deren Instandhaltung verpflichtet seien.

Wündisch sieht die Expertise des Beirats übergangen - andere Mitglieder wie etwa Lena Frewer (Grüne) stimmen der Kritik im Gespräch mit dem hr zu. Die Empfehlungen des Beirats sind für den Magistrat allerdings nicht bindend.

Natürlich sei es teurer, ein altes Haus zu sanieren - aber das gehe anderen Bauherren eben auch so, sagt Wündisch. Er verlangt Konsequenzen: "Die Fakten sind geschaffen, das lässt sich nicht mehr ändern. Aber es kann nicht einfach so durch- und weitergehen."

Magistrat: Scheune war marode

Die Genehmigung des schon im März 2023 beantragten Abrisses begründet der Magistrat der Stadt Marburg gegenüber dem hr damit, dass nach dem Sturmschaden dringend eine Entscheidung gefällt werden musste.

Die Scheune sei marode gewesen, alle rechtlich relevanten Gesichtspunkte und Stellungnahmen seien "intensiv geprüft" und abgewogen worden, schreibt der Magistrat in einer schriftlichen Stellungnahme.

"Der Magistrat kam zu dem Schluss, dass die Genehmigung zu erteilen ist", was Ende März 2024 dann auch geschehen ist. Die Untere Denkmalbehörde habe zugestimmt, der Denkmalbeirat habe abgelehnt. "Eine abschließende Stellungnahme der Oberen Denkmalbehörde lag trotz mehrfacher und intensiver Kommunikation nicht vor."

Stadt hätte auf Stellungnahme warten müssen

Auf diese hätte die Stadt aber zwingend warten müssen. Laut hessischem Denkmalschutzgesetz muss zunächst die Untere Denkmalschutzbehörde bei Anträgen beteiligt werden, die Veränderungen an oder den Abriss von denkmalgeschützten Gebäuden betreffen.

Genehmigungen können unter anderem erteilt werden, wenn den Eigentümerinnen oder Eigentümern ein Erhalt des Gebäudes "aus statischen oder aus Gründen der unwiderruflich verlorenen historischen Bausubstanz " nicht zumutbar wäre. Die Behörde muss ihre Stellungnahme aber mit dem Landesamt für Denkmalpflege abstimmen und bei fehlendem Einvernehmen eine Weisung der Obersten Denkmalschutzbehörde einholen, also dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

Wie im konkreten Fall entschieden worden wäre, teilte die Obere Denkmalschutzbehörde nicht mit. Nur so viel: "Seit Jahren setzen wir uns aktiv für den Erhalt von Scheunengebäuden in den ländlichen Regionen von Hessen ein, indem wir für den Wert und den Erhalt dieser Gattung werben und Eigentümerinnen und Besitzer bei der Frage der Umnutzung begleiten und unterstützen."

Ministerium prüft mögliche Konsequenzen

Welche Folgen der Abriss hat, ist bislang unklar. Das Ministerium und die Obere Denkmalschutzbehörde prüfen derzeit das Vorgehen der Stadt und eventuelle Konsequenzen für den Magistrat, wie sie mitteilten. "Das HMWK - als Fachaufsicht - erwartet grundsätzlich, dass ein Einvernehmen hergestellt wird", schreibt das Ministerium. Dem Antragsteller wiederum sei nichts vorzuwerfen.

Das Regierungspräsidium (RP) Gießen, die Kommunalaufsicht, teilte auf hr-Anfrage mit, es habe das Fehlen des Einvernehmens mit der Oberen Denkmalschutzbehörde formal gerügt. Die Stadt habe daraufhin erklärt, dass sie das Einvernehmen zukünftig in ähnlich gelagerten Fällen herstelle. Weitere Maßnahmen will das RP nicht ergreifen, auch da die Scheune jetzt abgerissen sei.

"Gibt es Premiumbauherren?"

Für Privatpersonen wird es in der Regel teuer, wenn sie Schäden an denkmalgeschützten Gebäuden nicht melden oder Denkmalschutzvorgaben nicht einhalten. Laut hessischem Denkmalschutzgesetz können Verstöße je nach Schwere mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro geahndet werden.

Für Jan Wündisch ist das Vorgehen des Magistrats in jedem Fall "skandalös". Es sende ein "verheerendes Signal für die Akzeptanz des Denkmalschutzes" in Marburg. Die für Privatpersonen restriktiv gehandhabte Denkmalpflege sei künftig kaum noch glaubwürdig zu vermitteln. Wündisch fragt sich: "Gibt es Premiumbauherren und gibt es normale Bauherren?"

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de/Anna Spieß