100 Jahre Schlossmuseum Darmstadt Ein Museum zwischen Zerstörung und Triumph
Das Schlossmuseum in Darmstadt feiert 100-jähriges Bestehen. Eine Fotoausstellung zeigt seine bewegte Geschichte: von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg über verschollene und plötzlich wiederaufgetauchte Kunstwerke bis zu seiner Wiedereröffnung.
Vor genau 100 Jahren beschließt Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, sein Zuhause der Stadt zugänglich zu machen – anfangs noch ohne Konzept. "Man hat einfach den Schlüssel umgedreht und den Bürgern die Möglichkeit gegeben, sich die ehemaligen Wohnräume des Großherzogs unverändert anzuschauen", erzählt Alexa Christ, Leiterin des Schlossmuseums in Darmstadt.
Heute können Besuchende im Schloss eine Zeitreise zurück in ein altes Deutschland der Großherzogtümer und Monarchien erleben. Davon erzählt auch die bedeutsame kulturelle Sammlung, die die Geschichte des Großherzogtums Hessen chronologisch beleuchtet. Eine Fotoausstellung auf dem angrenzenden Friedensplatz zeigt zum Jubiläum die bewegte Geschichte, auch die des Gebäudes und seiner Zerstörung.
Die Geschichte einer Zerstörung
Im September 1943 beginnen die englischen Bombenangriffe auf Darmstadt. Sie lösen ein Flammenmeer im Stadtkern aus, bei dem rund 160 Gebäude zerstört werden. Eine der Bomben trifft auch den Glockenbau des Residenzschlosses, in dem sich das Schlossmuseum befindet.
Im September 1944 treffen schließlich 280.000 Stabbrandbomben die Stadt und zerstören sie großflächig. Mittendrin: das Residenzschloss. Aus ihm und dem Schlossmuseum wird eine Bauruine.
Noch nie gezeigte Aufnahmen
Die letzten bekannten Aufnahmen des Schlosses vor seiner Zerstörung sind nur eine Woche vor dem ersten Angriff aufgenommen worden, bei der Eröffnung einer propagandistischen Ausstellung der Nationalsozialisten im Museum.
Auf den Fotos, die noch nie zuvor der Öffentlichkeit gezeigt wurden, tummeln sich Darmstädter Schulkinder vor dem Haupteingang des Schlosses, um in die Ausstellung "Unser Heer" zu kommen. Sie soll für den Krieg begeistern – unter den Exponaten waren Panzer, Winteranzüge der Wehrmacht, mittelalterliche Steinschleudern und ausgehobene Schützengräben in der Bastion des Schlosses.
Kunstwerke jahrelang verschollen
Viele Ausstellungsstücke können ausgelagert werden und überleben den Brand. Die größte Uniformsammlung Deutschlands und der Thronraum von Großherzog Ernst Ludwig dagegen können nicht gerettet werden. Sie verbrennen zu Schutt und Asche.
Auch wichtige Kunstwerke der fürstlichen Sammlung gehen verloren. Sie sollen nach Schloss Fischbach im heutigen Polen transportiert werden. Der Lkw erreicht sein Ziel allerdings nicht, die Werke gelten zunächst als verschollen. "Bis heute wissen wir nicht, was passiert ist", sagt Alexa Christ.
Finanziert durch Spenden der Darmstädter Bürger wird 1951 zunächst das Glockenspiel auf dem zerstörten Glockenturm restauriert. Der Wiederaufbau sei eine echte "Darmstädter Geschichte", sagt Alexa Christ. "Für die Stadt ist das Glockenspiel ein kleines Wahrzeichen und der Inbegriff von Heimat." Der Rest des Gebäudes wird erst Jahre später fertiggestellt. 1965 schließlich eröffnet das Museum neu.
Porträt von Queen Victoria kehrt zurück
Über die Jahre kommen viele der Werke zurück, die auf dem Weg nach Polen verloren gingen: Statt auf Schloss Fischbach waren sie in Museen der ehemaligen DDR und Privatsammlungen gelandet. Wie sie dorthin kamen, ist unbekannt.
Teilweise sind die Objekte schwer beschädigt, etwa das Porträt einer jungen Queen Victoria, die von 1837 bis 1901 Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland war.
Ihre Tochter, Prinzessin Alice von Großbritannien, heiratet 1862 den späteren Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein. Aus der Ehe gehen sieben Kinder hervor – darunter Ernst Ludwig, Gründer des Schlossmuseums.
Ungefähr die Hälfte der Ausstellung zerstört
Alice erbt das Gemälde ihrer Mutter von Maler Franz Xaver Winterhalter und bringt es mit nach Darmstadt. Mittlerweile ist das Porträt von Queen Victoria restauriert und hängt im englischen Zimmer des Museums.
Alexa Christ bezeichnet es als ein Schlüsselkunstwerk der Sammlung. "Anhand dieses Bildes kann man die ganze Geschichte des Schlossmuseums erzählen", sagt die Museumsleiterin.
Was durch die Brandnacht wirklich verloren ging, kann auch sie nicht sagen. "Es gab keine Inventare, aber von den ursprünglichen 55 Ausstellungsräumen der Sammlung gibt es heute nur noch 20." Ungefähr die Hälfte sei im Krieg also zerstört worden.
Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein verglich sich in seinem Buch "Verse" einst mit einem Vogel im Käfig, der singe und lache, der weine "vor unendlichem Glück und unendlichem Weh". Die Ausstellung im Schlossmuseum zeigt das auch 100 Jahre nach seiner Gründung – und wächst bis heute weiter, inmitten von Darmstadt.
Sendung: hr2, 17.07.2024, 16.40 Uhr
Redaktion: Anna Lisa Lüft