Internationale Aufmerksamkeit dank Disney-Film Schneewittchens Vorbild war Nordhessin
Seit knapp einer Woche ist die Neuverfilmung des Disney-Klassikers "Schneewittchen" in den deutschen Kinos. International fällt nun auf: Das Märchen hat seine Wurzeln in Nordhessen. Über den Hype freut sich vor allem das 300-Seelen-Dorf Bergfreiheit.
Hübsch nebeneinander aufgereiht stehen Tellerchen, Becherchen und Bettchen in dem großen Zimmer. Dahinter hängen die Zipfelmützen an der Wand. Das Schneewittchenhaus im nordhessischen Bergfreiheit (Bad Wildungen) soll so authentisch wie möglich an das Märchen mit den sieben Zwergen erinnern.
Jedes Jahr lockt es Touristinnen und Touristen aus aller Welt in das 300-Seelen-Dorf, aus Brasilien, Italien, den USA oder auch der Türkei. Seit Disney vor einer Woche seinen neuen Blockbuster über das Märchen in die Kinos gebracht hat, nimmt der Hype jedoch ein neues Ausmaß an.
Bergfreiheit: Das historische Vorbild für das Land "hinter den sieben Bergen"
Journalisten aus Irland und den USA, mehrere Filmteams großer Fernsehsender aus Frankreich und Deutschland wollten sehen, wo die Zwerge und die Prinzessin wirklich lebten. Genauer gesagt: ihre Vorbilder.
Heimatforscher Eckard Sander hat das recherchiert. Den 80-Jährigen aus Borken treibt das Märchen schon seit 30 Jahren um. Bei einer Hausarbeit für sein Aufbaustudium stieß er damals auf auffallend viele Parallelen zwischen dem Märchen, Bergfreiheit und Bad Wildungen.
Margaretha von Waldeck als historisches Schneewittchen-Vorbild?
Die junge Gräfin Margaretha von Waldeck war zwar nicht Schneewittchen, doch hat ihre Lebensgeschichte das Märchen möglicherweise beeinflusst. Dieser Meinung ist jedenfalls Eckard Sander.
Überliefert ist ihre "ausbündige Schönheit", und ihre Mutter verstarb im Kindbett. Einen Prinzen gibt es auch, wie es sich für ein richtiges Märchen gehört: Sie tauschte Liebesbriefe mit einem spanischen Prinzen aus, sagt der Experte.
Im Jahr 1554 wurde sie mit etwa 20 Jahren vergiftet und starb. Ihr Bruder, Graf Samuel von Waldeck, gilt als Gründer des Dorfes Bergfreiheit und Ideengeber für das dortige Bergwerk, das noch heute besichtigt werden kann.
Sieben Zwerge - oder doch eher sieben Kinderarbeiter?
Erwachsene Menschen hätten in den engen Stollen dieses Bergwerks gar nicht arbeiten können, erklärt Heimatforscher Sander. Deshalb wurden nachweislich Kinder unter Tage geschickt, um die im Berg schlummernden Erze und Edelsteine abzubauen.
Das sei damals so üblich gewesen. "Wenn die mit ihren Zipfelmützen, die sie vor Steinschlag schützen sollten, ans Tageslicht kamen", schildert Sander, "dann sah das aus, als kämen Zwerge aus dem Berg".
Nur ein Raum zum Schlafen und Essen
Knapp einen Kilometer weiter steht das heutige Schneewittchenhaus, ein Ein-Zimmer-Haus aus dem Jahr 1672, in dem die Bewohner in einem einzigen Raum gewohnt und geschlafen haben. Bereits in den 1950er-Jahren kamen Forscher aus Bochum laut Sander zur Erkenntnis: Das ist einzigartig in Deutschland.
Zu all diesen Märchen-Zutaten kommt eine wissenschaftlich belegte Tatsache: "Der Erzähler Ferdinand Siebert aus Treysa hat nachweislich den Brüdern Grimm dieses Märchen von Schneewittchen zugeliefert", erzählt Eckardt Sander. Die Brüder Grimm haben aber nie in Bergfreiheit gelebt.
Schneewittchen ist Bergfreiheits kulturelle Identität
Jahrhunderte später hat sich das kulturelle Erbe bereits in die Identität des Ortes gebrannt. Er ist auf Tourismus ausgerichtet, mit dem Schneewittchenhaus, aber auch mit märchenhaft eingerichteten Ferienwohnungen.
"Heute sind wir froh, dass wir dieses Schneewittchenhaus haben, das viele internationale Touristen anlockt", sagt Gisela Körtel, die die Führungen darin anbietet.
Vermieter Julius Martin Denecke ergänzt: "Das ist ja auch etwas womit sich der Ort rühmt: Hier ist der Ort, wo dieses weltbekannte Märchen entstanden ist".
Umzug für Schneewittchen?
Einige der Einwohnerinnen und Einwohner sind sogar extra dafür hierher gezogen. Fienja Alena Platte suchte vor eineinhalb Jahren mit ihrer Familie einen neuen Lebensmittelpunkt. Bergfreiheit überzeugte, weil die Zwergenfiguren im Park standen und ihr Sohn die "ganz faszinierend" fand.
"Unser Sohn möchte nächstes Jahr gerne auch selbst ein Zwerg werden", sagt sie. Er möchte der Schneewittchen-Crew beitreten, in der die 3 bis 10 Jahre alten Kinder des Dorfes sich als Zwerge verkleiden und das Schneewittchenhaus bevölkern.
Letztes Rätsel noch zu lösen
Ein letztes Schneewittchen-Rätsel ist übrigens heute noch offen: Wo Margarethe von Waldeck begraben liegt. Eckhard Sander will auch das noch herausfinden.
Höchstwahrscheinlich ruht die junge Gräfin in Brüssel oder sogar unter der Bad Wildunger Stadtkirche. Ein Bodenradar habe dort kürzlich ergeben, dass noch zwei Kammern unter dem Altarraum existieren. "Da ranzukommen ist mein Ziel", sagt Sander mit Tränen in den Augen.