Schüler gestalten Kunstwerk über NS-Euthanasie mit Wenn der Ort des Schreckens vor der eigenen Haustür liegt

In Weilmünster setzen sich Schülerinnen und Schüler in einem Kunstprojekt mit Nazi-Gräueltaten auseinander, die in ihrem Ort geschahen. Viele hatten noch nie davon gehört, dass unweit von ihrer Schule ein Massenmord stattfand.

zwei Mädchen mit Sprühdosen
Die Neuntklässlerinnen Nele und Amani (von rechts) verarbeiten ihre Eindrücke künstlerisch Bild © Rebekka Dieckmann
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Nur einen Kilometer von der Weiltalschule Weilmünster (Limburg-Weilburg) die Straße runter, da ist das Gelände, auf dem vor rund 80 Jahren das pure Grauen geschah: Der Ort, an dem Menschen gesund werden sollten und stattdessen tausendfach den Tod fanden.

Auf dem Gelände der ehemaligen Landesheilanstalt Weilmünster befindet sich heute die Vitos Klinik. Zum Gedenken an die NS-Euthanasieverbrechen soll dort eine große Stahlinstallation aufgestellt werden. Das Kunstwerk entsteht unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern der Weiltalschule.

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NS-Euthanasie in Weilmünster

Von 1937 bis 1945 waren mehr als 6.000 Patientinnen und Patienten in der Landesheilanstalt in Weilmünster untergebracht. Es waren meist Menschen mit psychischen Erkrankungen und mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Etwa die Hälfte von ihnen starb direkt vor Ort, etwa durch pflegerische Vernachlässigung, Verhungern oder gezielte Medikamentengabe. Die anderen wurden in die rund 35 Kilometer entfernte Tötungsanstalt Hadamar gebracht und dort ermordet.

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Streetart-Künstler entwickelt Kunstwerk

Die künstlerische Verantwortung für die Installation liegt beim Frankfurter Streetart-Künstler Guido Zimmermann. Er führte in der letzten Woche vor den Ferien auch einen Workshop mit einer neunten Klasse der Gesamtschule durch.

Mann
Der Frankfurter Streetart-Künstler Guido Zimmermann verantwortet das Kunstwerk Bild © Rebekka Dieckmann

Die Schülerinnen und Schüler hatten sich vorher mit der Geschichte der Landesheilanstalt auseinandergesetzt und verarbeiten ihre Gedanken dazu nun künstlerisch.

Mit Sprühfarbe gegen das Vergessen

Konkret entwickelten die Jugendlichen Sprüche, Emojis und Motive und brachten sie mit Schablonen, Lackstiften und Sprühfarben auf Leinwände auf. Zimmermann erklärte: Ihre Inspirationen wolle er mit in die Gestaltung der Installation einfließen lassen. Wie genau, sei noch offen.

Die Neuntklässlerin Nele entwickelte beispielsweise mit ihrer Arbeitsgruppe das Motiv eines rauchenden Schornsteins. Die Schülerin erklärt: Das Motiv beruhe auf Augenzeugenberichte über das Krematorium in Hadamar, wo viele der Patienten aus Weilmünster vergast wurden. "In dem Rauch sollen dann Gesichter mit unterschiedlichen Emotionen zu sehen sein: Angst, Trauer, Erschrecken", sagt Nele.

Viele hatten nichts davon gewusst

Auch die gefürchteten grauen Busse griffen die Schülerinnen und Schüler als Motiv auf. Dabei handelte es sich um die auch als "Mordkisten" bekannten Transport-Fahrzeuge einer eigens für das Euthanasie-Programm der Nazis gegründeten Logistikgesellschaft. Sie waren auch in Weilmünster ein- und ausgefahren.

Über Monate befassten sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit den Euthanasie-Verbrechen der Nazis, erklärt Klassenlehrer Aji Chakiath. Sie hätten beispielsweise im Unterricht einen Film angeschaut und sich mit den Biografien einzelner Opfer beschäftigt. "Für die meisten Schüler war es absolut neu, davon zu erfahren", so der Lehrer.

Klasse besucht Gedenkstätte

Schließlich besuchte die Klasse auch die Tatorte in ihrer Region: das heutige Vitos-Gelände und die Gedenkstätte Hadamar.

Kellergewölbe in der Gedenkstätte Hadamar
Während der NS-Zeit wurden in der "Landesheilanstalt Hadamar" 15.000 Menschen ermordet und verbrannt. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

Besonders die Fahrt nach Hadamar sei eine prägende Erfahrung gewesen, erzählt Schülerin Amani. Der Besuch im Keller, wo die Menschen damals vergast wurden, habe sie erschreckt. "Da hatte man das Gefühl, selbst mit ihnen da unten zu sein - das war echt bedrückend." Auch Amani sagt: Sie habe vorher nichts über das Thema gewusst.

Vier Meter hohe Stahlinstallation

Das Kunstwerk soll Mitte September präsentiert werden. Geplant ist eine vier Meter hohe und zwei Meter breite Stahlinstallation. Von vorne soll sie die Fensterform des Klinikgebäudes aufnehmen und auf der Rückseite an ein Krankenbett erinnern. Dort sollen auch die Namen aller Opfer eingraviert werden.

Auf der Vorderseite sollen schließlich auf mehreren Siebdruckplatten Szenen dargestellt werden, die an die Verbrechen von damals erinnern und gleichzeitig eine inhaltliche Brücke ins Heute schlagen. Hier könnten auch Motive der Schulklasse aufgegriffen werden.

Verein unterstützt bei Aufarbeitung

Die Schüler bei der historischen Aufarbeitung unterstützt hat in den vergangenen Monaten der lokale Verein "Weilburg erinnert". Vereinsvorsitzender Markus Huth sagt: "Wir sind überzeugt, dass es ganz wichtig ist zu vermitteln, dass die NS-Verbrechen nicht weit weg in Konzentrationslagern stattgefunden haben, sondern dass hier, vor der eigenen Haustür, gemordet wurde."

Leinwände mit bunten Motiven
Die Schüler griffen zum Beispiel den rauchenden Schornstein aus Hadamar auf. Bild © Ayla Wopker

Wichtig sei dem Verein im Aufarbeitungsprozess mit den Schülern gewesen, die Bedeutung der damaligen Taten für heute zu betonen. Man habe sich im Projekt deshalb auch ganz bewusst mit dem Thema Inklusion beschäftigt, so Huth.

Das Projekt ist Teil einer bundesweiten Initiative der Zeitbild-Stiftung. An insgesamt fünf Tatorten der NS-Euthanasieverbrechen, an denen sich heute noch Kliniken befinden, sollen Kunstwerke entstehen. Eins in Langenfeld (Nordrhein-Westfalen) wurde bereits präsentiert.

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Sendung: hr1, die hessenschau für Mittelhessen, 11.07.2024, 14.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de