Exzellente Musik, viel Politik Die Ego-Show des Roger Waters in Frankfurt
Ein Flitzer mit Israel-Flagge, etwas Nachdenklichkeit, viel Agitprop-Atmosphäre: Nach monatelangen Diskussionen und einem Fast-Konzertverbot stand der umstrittene Pink-Floyd-Gründer Roger Waters auf der Bühne der Frankfurter Festhalle. Um Musik ging es nur in zweiter Linie.
Am Ende seiner Deutschlandtour kommt Roger Waters seinen Kritikern entgegen - zumindest etwas. Er kenne die Geschichte der Festhalle, sagt er kurz am Sonntag (28.05.2023) nach Beginn seines Konzerts in Frankfurt. Er verzichte deswegen darauf, sich im zweiten Teil seiner Show "als Demagoge" zu verkleiden.
Er fühle das Leid, das den Menschen 1938 in der Halle widerfahren sei. Waters bricht in Tränen aus, ein kurzer Moment mutmaßlicher Empathie mit Jüdinnen und Juden. Einige haben zuvor vor der Festhalle gegen seinen Auftritt demonstriert. Für sie ist er ein Antisemit, der Verschwörungstheorien verbreitet.
Der 79-Jährige beginnt das Konzert zunächst mit einem Statement: Auf einem überdimensionalen LED-Leinwandkreuz in der Mitte der Halle läuft ein Text ab, mit dem er die Anschuldigungen zurückweist, er nutze bei seinen Shows volksverhetzende Inhalte.
Am Freitag war bekannt geworden, dass die Berliner Polizei Ermittlungen gegen Waters wegen des Verdachts der Volksverhetzung wegen eines Bühnenoutfits aufgenommen hat, das an eine SS-Uniform erinnert.
Er habe sein ganzes Leben lang gegen Autoritarismus und Unterdrückung die Stimme erhoben, entgegnet Waters in seinem Statement. Das Publikum in der ausverkauften Festhalle jubelt. In der Tat nutzt Waters die Symbolik seit über 40 Jahren, ohne dass sich bislang daran gestört wurde - und was das Verwaltungsgericht Frankfurt bereits als nicht justiziabel eingestuft hat.
Start mit Publikumsbeschimpfung
Wie schon auf anderen Stationen seiner "This Is Not A Drill"-Tour folgt danach eine Art Publikumsbeschimpfung: "Wenn du einer von den 'Ich liebe Pink Floyd, aber ich hasse Rogers Politik'-Typen bist, dann verpiss dich an die Bar!" Gelächter und Jubel, keiner steht auf und geht - natürlich.
Um musikalischen Eskapismus in zeitlose Pink-Floyd-Klassiker soll es also nicht gehen an diesem Abend - die Gewichtung liegt auf etwas anderem als Musik, das macht auch das überdimensionale, zwölf-flächige LED-Leinwandkreuz deutlich, unter dem die Bühne fast untergeht.
Es ist gruselig, dystopisch
Zunächst ist noch kein Musiker zu sehen, dafür läuft "Comfortably Numb" vom Album "The Wall" als Intro - in einer missratenen Vokalversion ohne das ikonische Gitarrensolo von Waters' Ex-Band-Kollegen und Intimfeind David Gilmour. Alle Nicht-Pink-Floyd-Fans mögen sich zum Vergleich "Stairway to Heaven" von Led Zeppelin ohne Gitarrensolo vorstellen.
Auf den Leinwänden sind währenddessen Umrisse von Menschen zu sehen, die auf ihr Handy starren und wie Zombies durch den Boulevard einer zerstörten Großstadt wandern. Donner ist zu hören, schwarze Vögel kreischen, es ist gruselig, dystopisch.
Die Show muss weitergehen
Auf der Bühne versammelt sich derweil die insgesamt zehnköpfige Band, die sich keine musikalische Blöße gibt und sogar den problematischen Sound der Festhalle im Griff hat. Herausragend zum Beispiel der unprätentiöse Gitarrist Dave Kilminster, mit dem Waters schon lange zusammenarbeitet. Oder Saxofonist Seamus Blake, der für Gänsehautmomente an diesem Abend sorgt.
Auf der Setlist: Einige wenige Waters-Solowerke wie "The Bar", dazu das halbe Album "The Dark Side of the Moon" (für die Älteren oder Vinyl-Fans: fast die gesamte zweite Seite), dazu Hits wie "Wish You Were Here" oder das unverzichtbare "Another Brick in the Wall".
Dass sich dazu ein Flitzer aus dem Publikum löst und mit Israel-Flagge auf die Bühne stürmt, bringt die Band nicht aus dem Konzept. Auch nicht, dass es kurzzeitig Gerangel zwischen einer Gruppe im Publikum mit weiteren Israel-Flaggen und Ordnern gibt. Die Gruppe wird aus dem Saal geführt und bekommt einen Platzverweis, die Show muss offensichtlich weitergehen.
"Fuck the occupation"
Er wisse, dass ihm viele Menschen vorwerfen, ein Antisemit zu sein, sagt Waters später. "Das bin ich nicht." Wieder Jubel der Zuschauer. Und zu den Songs "In the Flesh" und "Run like Hell", zu denen Waters normalerweise als "Demagoge" in schwarzem Ledermantel und Armbinde mit gekreuzten Hämmern auf der Bühne steht, behält er sein Outfit aus schwarzer Jeans und schwarzem T-Shirt bei. Auch das Programm auf der Videoleinwand ist abgespeckt.
Doch auch dieses Konzert kommt nicht ohne Anspielungen auf den Nahost-Konflikt aus: "Fuck the occupation" erscheint auf der Leinwand, genau wie ein Drohnenflug über die Mauer, die israelische Siedlungsgebiete von der palästinensischen Westbank trennt.
Dauerfeuer an politischen Botschaften
Da ist sie wieder, die Gewichtung: Es ist ein Dauerfeuer an politischen Botschaften, das über das Leinwandkreuz flimmert und zumindest einige Songs zu deren Soundtrack degradiert. Bilder von Polizeigewalt laufen ab, von Bombardements, mal comic-haft, mal dokumentarisch.
"Widersteht dem Faschismus" steht da, "Widersteht dem Patriarchat", "Widersteht dem Kapitalismus". Auch das inzwischen berühmte Schwein fliegt wieder - "Fuck the poor" steht nun darauf, daneben die Logos eines israelischen und eines amerikanischen Rüstungsunternehmens.
Was für ein Ego
Wen der Multimillionär Waters mit derart platten Agitprop-Slogans erreichen will, ist unklar. Die ergrauten Konzertbesucher, die an diesem Abend die Mehrheit stellen und die bis zu mehrere hundert Euro für ein Ticket gezahlt haben? Letztendlich scheint es egal, denn möglicherweise geht es doch vor allem um einen: Roger Waters.
Merkwürdig wirkt etwa, dass - trotz des bekannten Streits zwischen den Ex-Bandmitgliedern - bei einer Hommage an den 2006 verstorbenen Pink-Floyd-Mitgründer Syd Barrett zwar Bandfotos auf den Leinwänden erscheinen, darunter aber kein einziges mit dem oben genannten David Gilmour.
Und wie Waters sich selbst sieht, auch das erfahren Konzertbesuchende an diesem Abend: Bevor er den Song "Sheep" vom Album "Animals" anstimmt, erinnert Waters an die Autoren George Orwell und Aldous Huxley und an den amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower. Sie hätten Recht behalten mit ihren Warnungen vor einer dystopischen Zukunft - genauso wie er, Waters. Was für ein Ego.
Fazit
Ein musikalisch exzellentes Konzert mit einer für Festhallen-Verhältnisse tollen Akustik, einer starken Setlist und einem fitten, manchmal etwas kurzatmigen Roger Waters.
Leider degradiert der visuelle Overkill die Musik zu einem Soundtrack für politische Botschaften. Schade, dass Waters seine großartigen, ohnehin schon lange politischen Songtexte nicht für sich stehen lassen kann.
Sendung: hr-iNFO, 29.05.2023, 8.20 Uhr
Ende der weiteren Informationen