Vom Rokoko inspirierte Motive So will ein Fotograf das nordhessische Schloss Wilhelmsthal bekannter machen
Fotograf Marius Kowalczyk hat ein ausgefallenes Hobby: Er fotografiert Familie und Freunde in opulenten Rokoko-Kostümen. Dabei geht es ihm nicht ums Verkleiden - vielmehr will er ein Stück regionale Geschichte vermitteln.
Musik, wie man sie sonst eher aus Historienfilmen kennt, kommt aus einer Box in einem prunkvoll geschmückten Raum von Schloss Wilhelmsthal in Calden (Kassel). Zwei Frauen in opulenten Kleidern tauschen sich über eine Brosche aus, während ein Mann mit Brokatweste und schwarzem Dreispitz ihnen edle Stoffe zeigt. Vor ihnen: reichlich Tand.
Tand - das ist ein Wort, das Marius Kowalczyk an diesem Nachmittag häufiger gebraucht. Diese altertümliche Bezeichnung meint hübsche, nutzlose Sachen ohne Wert. Der Adel habe sich damals mit Einkauf die Zeit vertrieben, schöne Dinge ausgesucht und sie sich später liefern lassen, erklärt Kowalczyk. "Fast wie heute bei Amazon, nur im Rokoko."
Der 31 Jahre alte Fotograf muss es wissen, schließlich widmet er dieser Stilrichtung des Spätbarocks viel Zeit: Er fotografiert Familie und Freunde regelmäßig in Rokoko-Kostümen und -Szenen.
Die Leidenschaft ist Familiensache
Vor vier Jahren hat Kowalczyk mit seinem außergewöhnlichen Hobby begonnen. Die Ergebnisse seiner Shootings teilt er auf Instagram - auch das Motiv des höfischen Verkaufsgesprächs, das er an diesem Nachmittag fotografiert.
Sein Faible für das höfische Leben geht aber noch weiter zurück: Seit seiner Kindheit begeistere er sich dafür, sagt der 31-Jährige.
Auch sein Vater sei "hochinteressiert" an der Zeit, mache selbst Rokoko-Musik. Die Familie habe Ausflüge in Schlösser, Burgen und Parks unternommen und Märchen auf VHS-Kassetten geschaut. Das erste Kostüm habe er mit zwölf Jahren getragen, erinnert sich Kowalczyk.
Das Ziel: regionale Geschichte wiederbeleben
Und so verwundert es kaum, dass auch Kowalczyks Bruder Matthias beim Shooting in Schloss Wilhelmsthal dabei ist und in die Kostüme des 18. Jahrhunderts schlüpft. Für ihn sei dieses Eintauchen in eine andere Zeit auch eine Alltagsflucht, erklärt er.
Es gehe um viel mehr als nur darum, Fotos zu machen, sagt Matthias Kowalczyk. "Mir liegt am Herzen, regionale Geschichte wiederzubeleben". Er wolle Projekte umsetzen, das Schloss mit Leben füllen - und dabei noch ein Stück Geschichte vermitteln.
Das ist auch das Ziel seines Bruders. Mit seiner Arbeit wolle er die Lebenslust der Zeit darstellen und Werbung für das Lust- und Jagdschloss im Stil des Rokoko machen, erklärt Marius Kowalczyk. Sogar seine Abschlussarbeit als Fotograf hat der 31-Jährige dort fotografiert.
Mehr ist mehr
Inspiration holt er sich bei alten Gemälden. Dabei setzt Kowalczyk auf das Motto des Rokoko: Mehr ist mehr. Das zeigt sich auch beim Shooting des nächsten Motivs. Dazu wird der prunkvolle Treppenaufgang des Schlosses in helles Licht getaucht.
Am Geländer stehen Iris Bohm und Jasmin Kowalczyk - die beste Freundin und die Schwägerin des Fotografen - in üppig verzierten Kleidern und mit fantasievollen Perücken. Gut zwei Stunden habe das Styling gedauert, erklären sie.
Billig sei ihr Hobby nicht, sagt Jasmin Kowalczyk. Sie habe ihr Kleid durch Zufall bei Ebay entdeckt und für 600 Euro gekauft. Ursprünglich stamme es aus einem Theater in Paris. Wie alle anderen Kostüme wurde ihr Traumkleid angepasst: enger genäht, verziert und mit Schmuckstücken aufgewertet.
Zwischen Geschichtsbegeisterung und Cosplay
Es ist ein Hobby zwischen Cosplay und History-Liebe, dem Fotograf Marius Kowalczyk und seine Freunde und Familie nachgehen. Als Cosplay möchte er seine Leidenschaft allerdings nicht begreifen.
Man habe nicht das Gefühl, verkleidet zu sein, sagt er. Das liege auch am historischen Aspekt: Die Kostüme seien der ganz normalen Alltagskleidung für den Hochadel nachempfunden.
Dem höfischen Alltag im 18. Jahrhundert nachempfunden ist auch die Szene, die Kowalczyk als letztes Motiv des Tages gewählt hat: Er inszeniert eine kleinen Runde "Blinde Kuh". Das Spiel mit den verbundenen Augen und neckenden Mitspielern war damals ein hochmodernes und beliebtes Gesellschaftsspiel.
Am Ende des Shootings geht es für den Fotografen und seine Mitstreiter trotz all der Begeisterung für das Rokoko schnell zurück ins 21. Jahrhundert: Vor dem Schloss wird erst mal das Smartphone gecheckt.
Sendung: hr-fernsehen, maintower, 27.10.2023, 18 Uhr
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