Sonderausstellung im Ottoneum Jagd und Verdrängung - das ist auch die Geschichte des Kasseler Goethe-Elefanten
Das Schicksal des Goethe-Elefanten ist untrennbar mit Kassel verbunden. Eine Sonderausstellung im Naturkundemuseum zeigt seine Geschichte - und die seiner bedrohten Artgenossen. Ein Rundgang durch die Ausstellung.
Er ist einer der berühmtesten Elefanten der Welt: der sogenannte Goethe-Elefant. Im Ottoneum, wo das Kasseler Naturkundemuseum untergebracht ist, ist er nun lebensgroß zu sehen. Die Rekonstruktion zeigt ihn mit einer Kette am Hinterbein gefesselt, er steht auf einer Schicht Stroh. Aus seinem Maul ragt ein Büschel Heu, dazu hält er den Rüssel in die Luft - fast so, als wolle er Kontakt zu den Besucherinnen und Besuchern aufnehmen und ihnen seine tragische Geschichte erzählen.
Das Schicksal des Elefanten ist untrennbar mit Kassel verbunden. Im Alter von zwei Jahren wird er als Attraktion für die Menagerie Landgraf Friedrichs nach Kassel gebracht. Er kommt aus Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, und hat eine lange Reise hinter sich, ist völlig verstört.
Das Jungtier wächst ohne seine Eltern oder andere Elefanten in der Menagerie in der Fuldaaue auf und muss bei Theateraufführungen und Festumzügen mitmachen. 1780, als er etwa zehn Jahre alt ist, reißt er sich los, stürzt und rollt den steilen Hang herunter, der zu seinem Stall führt. 20 Meter geht es für das schwere Tier bergab. Es bricht sich den Schädel und stirbt.
Lebensgroße Rekonstruktion und 3D-Schädel zeigen Schicksal des Goethe-Elefanten
Bereits seit 230 Jahren seien das Skelett und der Schädel des Elefanten im Haus, sagt Kai Füldner, Leiter des Naturkundemuseums. Man habe um ihn herum schon länger eine Geschichte erzählen wollen. Daraus sei nun "eine breite Palette von der Natur- zur Kulturgeschichte der Elefanten" geworden: die Sonderausstellung "Elefanten - Wildtiere und Kulturikonen", die bis 3. September im Ottoneum zu sehen ist.
Der Goethe-Elefant ist ein Highlight der Ausstellung. Gezeigt wird unter anderem ein einzigartiger 3D-Ausdruck seines Schädels - des Schädels, der schon vor Jahrhunderten Johann Wolfgang von Goethe so sehr faszinierte, dass er sich das Exponat auslieh und erst nach mehrfacher Aufforderung den Verantwortlichen wieder zurückgab.
Elefanten-Bestände schrumpfen
Neben Rekonstruktionen und lebensgroßen Modellen hat das Museums-Team Wissenswertes rund um das Leben der Rüsseltiere gesammelt. Die Ausstellung zeigt auch, dass Elefanten in freier Wildbahn erheblich bedroht sind.
Es gebe im Vergleich zu vor 200 Jahren nur noch fünf Prozent der Elefanten, erläutert Füldner. Vor allem der Elfenbeinhandel sei ein Problem, aber auch das Bevölkerungswachstum in Ländern wie Asien und Afrika, wo Elefanten noch in freier Wildbahn leben.
Der Mammutbulle reicht bis zur Museumsdecke
Die Ausstellung spricht alle Sinne an. Von weitem erschallt ein dumpfes Tröten, in einem Raum ragt ein ausgewachsener Mammutbulle bis zur Decke, neben ihm steht ein Jungtier - und ganz klein davor Yvonne Hofbauer aus Stadtoldendorf (Niedersachsen) und ihre Tochter. Sie ist mehr als eine Stunde gefahren, um mit ihrer Familie die Exponate im Naturkundemuseum zu bestaunen. "Riesengroß und beeindruckend" seien die imposanten Tiere.
Es sei kaum vorstellbar, dass Steinzeitmenschen Mammuts bejagt hätten, um an Nahrung, Knochen und Fell zu gelangen, so Hofbauer. Ihre Tochter ist von diesem Gedanken weniger beeindruckt und wünscht sich stattdessen auf den Rücken des Tieres. "Ich könnte mich an dem Fell und an den Zügeln festhalten", überlegt sie.
Der Zirkuselefant als "Sklave der Menschheit"
Man habe bewusst versucht, die Geschichte rund um die Elefanten haptisch erlebbar darzustellen, erklärt Museumchef Füldner. So auch den Zirkuselefanten in einem der hinteren Räume. Er steht auf dem Kopf, in einer Pose, die ein Elefant niemals in freier Wildbahn einnehmen würde. Neben dem geschmückten Tier ist eine kostümierte Dompteurin platziert, farbige Lichter flackern.
Marco Pabst aus der Nähe von Kassel macht Fotos von der Szenerie. Im Vordergrund steht ein Schild: "Quälerei" haben die Ausstellungsmacher darauf geschrieben. Pabst ist mit seinen Söhnen da, beide haben noch nie einen Elefanten gesehen. Deshalb habe er ihnen zeigen wollen, wie Elefanten gelebt haben und was aus ihnen geworden ist: nämlich "Sklaven für die Menschheit", die gefangen und gequält würden, so Pabst.
Ungeschönte Darstellung kommt gut bei Besuchern an
Dass die negative Seite gezeigt wird, kommt auch bei anderen Besucherinnen und Besuchern gut an. Christina Klapp aus Ahnatal (Kassel) ist mit ihrem erwachsenen Sohn Ole und dessen Patenkindern gekommen. Dass "die Quälerei im Zirkus oder das Domestizieren von Elefanten" gezeigt werde, finde sie positiv.
An der Wand hinter ihr ist ein meterhohes Bild gezeichnet. Es zeigt Hannibals Alpenüberquerung in 3D. Ein Strick ragt aus dem Bild; für ein Foto aus dem Museum können Besucher daran den Elefanten über die Alpen führen - eine perfekte Illusion. Ein Junge lässt sich hier fotografieren.
Seine Mutter Sina Broske aus Baunatal (Kassel) besucht das Museum regelmäßig mit ihrer Familie und schätzt die originalgetreuen Szenen. Können die Darstellungen der zum Teil leidenden Tiere kleinere Kinder verstören? Ihre kleinen Söhne fragten bei Szenen, auf denen Elefanten in Fesseln gezeigt werden oder blutige Stellen haben, schon nach, erzählt Broske. Sie lese die Texte dann kindgerecht vor und erkläre viel. Auch, dass "Tiere häufig nur das machen, was Menschen wollen, wenn ihnen zuvor Leid angetan wurde".
Savannen-Szenerie: wie ein Wimmelbild
Zwei Räume weiter zieht eine ganze Herde durch die Savanne. Im Maßstab 1:12 wird hier eindrucksvoll gezeigt, dass Elefanten soziale, hochintelligente Tiere sind und in Familiengruppen auftreten. Wie in einem Wimmelbild kann man dort die Dickhäuter aus unterschiedlichen Perspektiven bestaunen.
Die Ausstellung solle niedrigschwellig Menschen jeder Altersstufe erreichen, verrät Füldner. Das Ziel sei, dass Menschen "Elefanten als sympathische, intelligente, liebenswerte, aber auch eindrucksvolle, durchaus gefährliche Tiere respektieren".
Tatsächlich verlässt man die Ausstellung mit besserer Laune, als man hineingegangen ist - auch, wenn die Ausstellung viel Trauriges und Nachdenkliches zeigt.