Sparkurs der Landesregierung trifft Hilfsprojekt Programm "Hafen der Zuflucht Hessen" steht vor dem Aus

Seit 2022 vergibt das Land Hessen Stipendien an Menschen, die wegen ihrer journalistischen, literarischen oder künstlerischen Arbeit verfolgt werden. Aber das Ministerium für Wissenschaft und Kultur streicht die finanzielle Unterstützung. Mit gravierenden Folgen für die Betroffenen.

Der kurdische Journalist und Autor Nedim Türfent
Der kurdische Journalist und Autor Nedim Türfent während einer Lesung. Bild © Hannah Brahm

"Für uns ist es ein Albtraum", sagt Nedim Türfent. Vor ein paar Wochen hat der kurdische Journalist erfahren, dass sein Stipendium nicht verlängert wird, es Ende Mai ausläuft. Weil das Land Hessen nicht länger dafür aufkommen will. Seitdem macht er sich große Sorgen, was aus ihm wird - und aus seiner Verlobten Özgür Sevinç Şimşek, ebenfalls Stipendiatin bei "Hafen der Zuflucht Hessen". "Wenn wir keine andere Möglichkeit finden, besteht die Gefahr, dass wir zurück in die Türkei müssen", befürchtet Türfent. Dann, da ist sich Nedim Türfent sicher, wird er festgenommen.

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Haft und Folter wegen journalistischer Arbeit

Nedim Türfent verbrachte fast sieben Jahre in türkischer Haft, weil er über Menschenrechtsverletzungen an Kurden berichtet hatte. Die Behörden warfen ihm Terrorismus vor. Aus demselben Grund saß auch seine Verlobte Özgür Sevinç Şimşek im Gefängnis. Seit vergangenem Juni leben die beiden in Gießen, wo sich der Verein "Gefangenes Wort" um die Stipendiaten kümmert. Unter anderem gibt es eine eigene Wohnung für Nedim Türfent und seine Verlobte. Hier konnten sie sich von den Strapazen der vergangenen Jahre erholen und endlich wieder durchschlafen – ohne Angst, von der Polizei abgeholt zu werden.

Stipendiatin Özgür Sevinc Simsek auf der Frankfurter Buchmesse.
Stipendiatin Özgür Sevinc Simsek auf der Frankfurter Buchmesse. Bild © Hilfsverein "Gefangenes Wort"

Die Angst ist zurück

Aber jetzt haben sie Angst, dass sie nicht bleiben können, denn mit dem Stipendium endet auch das Visum für Deutschland. "Ich hoffe, dass ich ein neues Programm oder einen Job finde, damit wir unser Visum verlängern und in Deutschland bleiben können", sagt Nedim Türfent. Bisher blieb seine Suche ohne Erfolg.

Ministerium unzufrieden mit dem Programm

Ganz unvorbereitet traf Susann Franke die Nachricht vom Ende der Finanzierung nicht. Sie ist beim Verein "Gefangenes Wort" Projektleiterin für "Hafen der Zuflucht Hessen". In Gesprächen habe das Ministerium für Wissenschaft und Kultur schon "eine gewisse Unzufriedenheit" mit dem Programm angedeutet, sagt sie. Anfang des Jahres kam dann per Post die Nachricht, dass das Ministerium die Zahlungen zu Ende August einstellt.

Zu einem Gespräch über die Gründe für diesen Schritt war Minister Timon Gremmels (SPD) nicht bereit. Sein Ministerium teilt schriftlich mit: "Wir bedauern, dass die mit dem Verein gemeinsam erstellte Konzeption des Stipendienprogramms in den vergangenen drei Jahren vom Verein nicht umgesetzt werden konnte. Beispielsweise sollten ursprünglich jährlich 20 Stipendiatinnen und Stipendiaten aufgenommen werden."

Unrealistische Vorstellungen

Susann Franke hält eine so hohe Zahl von Stipendien bei den vorhandenen Mitteln und der kurzen Laufzeit für unrealistisch. Rund 150.000 Euro flossen in den Jahren 2023 und 2024 an "Hafen der Zuflucht Hessen", in diesem Jahr sind es noch 100.000 Euro. Die Projektleiterin sieht das Problem im Sparzwang, der vor allem die Kultur treffe und im Koalitionswechsel vor gut einem Jahr.

Der russische Schriftsteller und Dramatiker Sergei Davydov
Der russische Schriftsteller und Dramatiker Sergei Davydov. Bild © Stiftung Brückner-Kühner

Unter der schwarz-grünen Koalition seien die Erwartungen an das Programm deutlich offener gehalten gewesen und "wesentlich realistischer". "Da war man sich bewusst, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis es startet und dass man schauen muss, wie es sich entwickelt." Trotzdem sei man bei "Gefangenes Wort" stolz, dass es gelungen sei, die Zahl der Stipendiaten innerhalb kurzer Zeit von zwei auf drei erhöhen zu können. Neben Nedim Türfent und Özgür Sevinç Şimşek profitiert auch der russische Schriftsteller und Dramatiker Sergei Davydov aktuell noch vom Programm.

Suche nach Auswegen

Der Verein will das Programm zur Unterstützung von verfolgten Journalisten und Literaten noch nicht ganz aufgeben und sucht nach Kooperationspartnern. In Frage kämen andere Ministerien oder Städte in Hessen. Unter anderem liefen Gespräche mit dem Kulturamt der Stadt Gießen über kostenfreien Wohnraum oder eine finanzielle Unterstützung. Außerdem könne man mit anderen Organisationen zusammenarbeiten, die Verfolgte unterstützen.

Aber allen Beteiligten ist klar, dass das Programm "Hafen der Zuflucht Hessen" in seiner bisherigen Form nicht weiter existiert. Wenn überhaupt, nur in einem deutlich kleineren Rahmen. Für Susann Franke hat das auch persönliche Konsequenzen. Für sie wird es in dem Programm nicht weitergehen, sie sucht bereits nach Alternativen.

Unterstützung für Stipendiaten

Gut findet Susann Franke, dass das Ministerium rechtzeitig das Ende des Zahlungen bekannt gegeben habe. So bleibe noch Zeit, für alle Beteiligten Lösungen zu finden. Allen sei ohnehin klar gewesen, dass "Hafen der Zuflucht Hessen" für sie keine langfristige Lösung sei. Aktuell unterstützt Susann Franke Nedim Türfent, Özgür Sevinç Şimşek und den dritten Stipendiaten Sergei Davydov bei der Suche nach einem Anschlussprogramm. Ihre bestehenden Stipendien werden voraussichtlich bis Ende Juli verlängert, so dass noch etwas zeitlicher Spielraum bleibt.

Für Nedim Türfent bedeutet es trotzdem keine Entlastung, solange er noch keine Lösung gefunden hat. Sei es ein weiteres Stipendienprogramm oder einen Job, von dem er und seine Verlobte leben können. Er sagt: "Wir sind für alles offen und hoffen, dass uns jemand hilft. Wir warten auf diese rettende Hand."

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Redaktion: Susanne Reininger

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Sendung: hr2 am Morgen ,

Quelle: hessenschau.de