Staatstheater Wiesbaden fördert junge Talente Wer wird Hessens nächster Musical-Star?
Singen, tanzen, schauspielern - wenn diese drei Fähigkeiten zusammenkommen, ist eine Karriere als Bühnen-Star nicht unrealistisch. Das Junge Staatsmusical Wiesbaden gilt als Talentschmiede. Sogar eine Tatort-Kommissarin begann hier ihre Karriere.
Der Andrang ist groß am Staatstheater Wiesbaden: Etwa 60 junge Menschen tummeln sich im kleinen Foyer. Sie alle sind hier, weil sie einen Traum haben: Sie möchten auf die große Bühne. Deshalb sind sie zum Casting für das Junge Staatsmusical Wiesbaden (JUST) gekommen.
Das Projekt wurde 1987 gegründet, um den Theater-Nachwuchs zu fördern und im professionellen Rahmen auf die Bühne zu bringen: "Im Laufe der Zeit hat sich Musical als das beste Genre herauskristallisiert, um schauspielbegabte, tanzbegabte und gesangsbegabte junge Leute zu vereinen", erklärt Iris Limbarth, die Leiterin des Jungen Staatsmusicals.
Anspruchsvolle Choreografie
Schnell tragen sich noch ein paar Hoffnungsvolle auf der Teilnehmerliste nach. Dann heißt es "Straßenschuhe aus!" und weiter in den Ballettsaal des Staatstheaters. Zwei Wände sind bodentief verspiegelt. Ballettstangen, eine Musikanlage und ein Flügel komplettieren die Ausstattung. Fenster gibt es keine. Hier vergisst man die Zeit und die Außenwelt.
Nach dem Aufwärmen studiert Viktoria Reese mit den Castingteilnehmern die Choreografie ein, die die Jugendlichen gleich vortanzen sollen. Die Anspannung im Raum steigt sprunghaft. Nicht nur eine Kandidatin machen die anspruchsvollen Tanzschritte nervös.
Manche resignieren jetzt schon. Viele sind hochkonzentriert. Wurde beim Aufwärmen noch herumgealbert, bewahren sich jetzt nur die ihr Lächeln, die schon Bühnenerfahrung haben.
Viel Zeit für Proben
Ensemble-Mitglied Reese hat 2013 hier am Casting teilgenommen und ist seitdem Teil des Jungen Staatsmusicals. Obwohl sie nach einiger Zeit ihrem Psychologie-Studium den Vorrang gegeben hat, möchte sie so lange es geht beim JUST bleiben.
Dafür investiert sie viel Zeit: "Wir proben jedes Wochenende, kurz vor der Premiere drei, vier Wochen jeden Tag." Das Engagement wird belohnt: Derzeit steht Viktoria in den Musicals "Chicago", "Fame" und "Frankenstein junior" auf der Bühne.
Vortanzen, Vorsingen, Vorsprechen
In Fünfergruppen tanzen die Bewerber jetzt die eben gelernte Choreografie vor. Als alle dran waren, ist das Aufatmen groß. Nicht jeder ist mit sich zufrieden, aber es gibt auch strahlende Gesichter.
Am meisten von allen lacht Selina Jörg aus Wiesbaden. "Ich habe gar keine Erfahrung mit Musical. Als Kind war da irgendwie keine Zeit für. Aber es liegt mir total. Ich hab so viel Spaß", erzählt die 25-Jährige begeistert.
Songs aus allen Sparten
Das Casting besteht aus drei Teilen: Nach dem Vortanzen singt jeder ein selbst einstudiertes Lied vor. Nur wer hier überzeugt, darf am Sonntag zum Vorsprechen eines Monologs wiederkommen.
Vorgesungen wird einzeln. Die Kandidaten und Kandidatinnen haben Songs aller möglichen Sparten mitgebracht: Musical, Chanson, Pop oder Klassiker wie Leonard Cohens "Hallelujah".
Mehr als eine Stimme zittert vor Lampenfieber. Hier und da wird mal ein Stückchen Text vergessen. "Sing auf la-la-la weiter", rät Iris Limbarth dann und meistens kommt der richtige Liedtext von ganz allein zurück.
Anfänger und Routiniers
Cecinho Feiertag liefert routiniert seine Darbietung von "Circle of Life" aus dem Disney-Musical "König der Löwen" ab. Der Sechzehnjährige gehört zu den Teilnehmern mit viel Bühnenerfahrung. Seit dem neunten Lebensjahr ist er im Staatstheater Kassel Kinderdarsteller und singt im Chor.
"Von Opern bis zu Schauspiel und Musical habe ich dort schon alles mitgemacht. Und jetzt wollte ich nach sieben Jahren mal Bühnenluft in einem anderen Theater schnuppern“, erzählt er abgeklärt.
Sollte es mit der Bühnenkarriere nicht klappen, hat er aber auch schon eine berufliche Alternative im Auge: Polizist wäre auch ein Traumberuf für ihn.
Lampenfieber und Selbstbewusstsein
Während des Vorsingens muss Iris Limbarth mehrmals um Ruhe bitten. Die Jugendlichen warten auf dem Flur auf ihren Auftritt und tauschen zum Teil lautstark letzte Tipps und Erfahrungen aus.
Jeder hofft, genommen zu werden und für die nächsten Jahre hier singen und tanzen zu dürfen, aber von Konkurrenzdruck merkt man wenig: Die Stimmung ist gut. Alle helfen sich gegenseitig und drücken sich die Daumen.
Wiesbaden ist "Place to be"
Luna Lange ist 21 Jahre alt und zum Studium nach Gießen gezogen. Sie hat schon in mehreren Schulmusicals und anderen Produktionen mitgespielt und sagt: "Ich hatte so Lust, wieder Musicals zu machen und hab gegoogelt, wo es Angebote gibt."
In Marburg hatte sie die nächsten Auftritte: als Magenta in der Rocky Horror Picture Show und als eines der Soul Girls in Jesus Christ Superstar. Dann wurde ihr das Casting in Wiesbaden empfohlen. Schon die erste Aufgabe, die anspruchsvolle Choreografie, hat sie beeindruckt: "Das zeigt ja, was hier für ein Niveau ist. Ich glaube, das hier ist der Ort ‚to be‘ in Hessen."
Professionelle Bedingungen
Das Alleinstellungsmerkmal des JUST ist genau dieses professionelle Niveau: "Hier geben wir Leuten, die das ernsthaft als Beruf in Erwägung ziehen, die Chance, unter professionellen Bedingungen ein Stück zu entwickeln", sagt Leiterin Iris Limbarth.
Dieses Stück steht dann zwei Jahre lang im Spielplan des Staatstheaters. "Natürlich schafft es nicht jeder in den Beruf, aber die, die es wirklich wollen, haben sehr gute Chancen", erklärt Limbarth. "Wir haben mittlerweile einen guten Ruf und einen hohen Output an Leuten, die dann auf die Hochschulen gehen."
Berühmteste Absolventin
Auf ihre erfolgreichen Ehemaligen angesprochen, lacht sie: "Unser berühmtestes Beispiel ist natürlich Jasna Fritzi Bauer, die eine große Filmkarriere gemacht hat." Seit 2021 ist die Schauspielerin unter anderem als Tatort-Kommissarin in der ARD zu sehen.
Nach dem diesjährigen Vorsprechen nimmt Iris Limbarth zwölf der Castingteilnehmer ins Ensemble auf. Cecinho und Luna haben es geschafft. Sie werden künftig in Wiesbaden auf der Bühne zu sehen sein.
Doch auch für die anderen ist nicht alles verloren: Ihnen empfiehlt Iris Limbarth, einfach im nächsten Jahr wiederzukommen und es erneut zu versuchen.