Tagung "Dead or Alive?" Warum an der Uni Frankfurt zu Zombies geforscht wird
Von wegen seichte Unterhaltung: Bei einer Tagung an der Goethe-Universität Frankfurt steht der Zombie im Mittelpunkt. Zwei Forscher erklären im Interview, warum die Figur für die Wissenschaft spannend ist und warum sie nicht nur Angst, sondern auch Hoffnung machen kann.
Mit ihrer Forschung zu Zombies hat die Frankfurter Goethe-Uni ein eher ungewöhnliches Forschungsprojekt. Tim Lanzendörfer, Wissenschaftler am Fachbereich Englisch and American Studies, untersucht Zombies seit 2009. Sein Kollege Marlon Lieber befasst sich seit 2014 mit der Figur des Zombies in Horrorfilmen und -literatur.
Am Donnerstag und Freitag befasst sich die internationale Konferenz "Dead or Alive? The Current State of Zombie Studies" in Frankfurt mit dem aktuellen Forschungsstand. Was sie an der Figur des Untoten fasziniert, erklären die Wissenschaftler im hessenschau.de-Interview.
hessenschau.de: Zombie-Geschichten würden die meisten Menschen wohl als seichte Unterhaltung bezeichnen. Sie betreiben dazu wissenschaftliche Forschung – warum?
Marlon Lieber: Die Geschichten artikulieren Probleme, die in der Gegenwart wichtig sind. Es geht darin um Wirtschaftskrisen, Armut und Elend und um Grenzen, aber auch um Widerstand oder Revolution. In dem bekannten Horrorfilm "Night Of The Living Dead" von 1968 beispielsweise spielen Rassismus, Sexismus und Militarismus eine große Rolle.
Es geht in dem Film darum, wer der Anführer einer Gruppe von Überlebenden ist, ein schwarzer oder ein weißer Mann. Der weiße Mann verkörpert darin das Prinzip Rassismus. Er findet es ganz fürchterlich, dass da ein schwarzer Mann ist, der ihm nicht gehorcht und widerspricht.
Der Film endet damit, dass der schwarze Mann von einer Art Bürgerwehr erschossen wird. Entweder, weil sie ihn als Zombie deuten, oder weil sie einfach keinen Unterschied machen zwischen einem schwarzen Mann und einem Zombie.
Das ist ein sehr expliziter Kommentar auf den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Natürlich gibt es auch Filme, wo weniger dahinter steckt. Aber es gibt eben auch die, die den Zombie ganz klar zum Vehikel von der Gesellschaftskritik machen.
Tim Lanzendörfer: Es gibt ein Buch, das heißt "Alison Hewitt is Trapped". Er zeigt ein ganz banales Beispiel für eine Reorganisation nach einer Katastrophe. Eine dominante männliche Figur führt eine Gruppe von mehrheitlich Frauen an, die versucht, in Sicherheit zu gelangen.
Über die Zeit stellt sich heraus, dass diese männliche Figur überhaupt keinen Führungsanspruch begründen kann. Sie ist nur aus den hergebrachten Strukturen, in denen wir Geschlechterverhältnisse immer noch denken, an diese Position gelangt.
Das Buch, das ansonsten keinen tiefsinnigen Kern hat, dreht an diesem Rad und stellt am Ende genau diese Frage: Warum war das am Anfang die scheinbar natürlichste Art und Weise, diese Gruppe zu bilden?
hessenschau.de: Die Themen Sexismus und Rassismus beschäftigen unsere Gesellschaft, genauso wie das Klima. Naturkatastrophen spielen in vielen Horrorfilmen eine Rolle, bis hin zum drohenden Weltuntergang. Warum?
Lanzendörfer: Bei den meisten apokalyptischen Texten steht im Vordergrund, dass die Vernichtung der menschlichen Zivilisation bis auf wenige Überlebende immer dazu führt, dass sich die Natur Räume zurückerobert.
In sehr vielen Texten wird explizit darauf hingewiesen, wie heilsam diese Art von Rückeroberung wirkt. Wie friedvoll es sich auf die Überlebenden auswirkt, dass man eben keine Industrie, keine Flugzeuge oder Autos mehr hat. Stattdessen gibt es dann überwucherte Highways und von der Natur zurückeroberte Städte.
Das ist nicht offensichtlich Kritik, aber alle apokalyptischen Zombie-Narrative sagen: Diese menschliche Zivilisation macht die Naturräume einfach kaputt, die eigentlich da wären.
Lieber: Ich finde an Zombie-Erzählungen, die das zum Thema machen, interessant, dass es da gar nicht so sehr um die Frage geht, wie wir uns der Natur gegenüber verhalten sollten. Vielmehr geht es darum, wie denn menschliche Gesellschaften mit Fluchtbewegungen umgehen.
Der Film "The Land Of The Dead" endet mit einer humanistischen Geste. Der menschliche Protagonist sagt sinngemäß über die Zombies: "Wir müssen die nicht bekämpfen. Die suchen genauso so wie wir eigentlich nur Platz." Der Film sagt damit, dass man eigentlich mit Menschen, die flüchten, die einen Platz zum Leben suchen, solidarisch sein sollte.
Diese Haltung ist auch ganz wichtig im Kontext der Klimakatastrophe. Menschen werden in Zukunft noch viel mehr Platz zum Leben verlieren und neuen Platz zum Überleben suchen. Und wenn man Grenzen zumacht und diese Menschen bekämpft, dann verhält man sich letztendlich barbarisch.
hessenschau.de: Aber in Zombiefilmen und -literatur geht es doch eher um das Gegenteil: Um einen Lebensraum, der beschützt wird vor angreifenden Zombies. Sind sie nicht immer eine Bedrohung?
Lanzendörfer: Zombies als Figur sind relativ flexibel. Entweder sieht man sie tatsächlich als das Andere, als das unüberwindbar Feindselige, um Sachen zu sagen wie: "Da draußen vor unseren Grenzen stehen ganz viele Leute, die hier rein wollen und die uns Böses wollen." Das birgt auch die Gefahr, dass Zombies zum Beispiel als Metapher für Geflüchtete verwendet werden.
Auf der anderen Seite kann man diese gleiche Figur aber auch für das genaue Gegenteil verwenden, je nachdem, wie man sie ausbaut.
Lieber: Es gibt politisch progressive und politisch reaktionäre Zombiefilme. Sehr viele tendieren aufgrund der Logik der Gattung dazu, relativ reaktionär zu sein, aber sie müssen es nicht.
hessenschau.de: Zombies werden in dem Genre als willenlos, unkontrolliert und mit verzerrtem Gesicht dargestellt. Eine Art entmenschlichte Menschen. Wie ist die Figur entstanden?
Lanzendörfer: Der Zombie stammt, soweit wir das nachvollziehen können, aus afrikanischen Kulturen und deren Religionen, die im Zuge des Sklavenhandels in die Karibik gekommen sind.
Insbesondere auf Haiti hat man dort eine eigene Art von Religion und Kultur, nämlich den Vodoun, praktiziert. In dieser Vorstellung waren Zombies eine Art wiederbelebte Tote, die auf den Plantagen Arbeit für andere, lebendige Menschen verrichtet haben. Das ist eine Umschreibung der afro-karibischen Sklaverei, die da in den Vordergrund gestellt wird.
Die Idee des Arbeitssklaven, der durch Gifttränke in einem Dämmerzustand gehalten wird, kommt in den 1920er/30er Jahren durch die amerikanische Besetzung von Haiti in die Populärkultur, insbesondere in Hollywood, und landet dann in ersten Filmen. In dem Film "White Zombie" von 1931 taucht genau diese Figur unter dem Begriff Zombie zum ersten Mal auf.
Das beschreibt den rassistischen Ursprung der Figur, die Sklaverei repräsentiert. Das Bild der willenlosen, von anderen kontrollierten Arbeitern bleibt. Sie werden dargestellt als andersartige Gruppe, die wir komisch finden.
In den 1960ern taucht die Figur dann wieder auf im amerikanischen Kino, aber dann in Form des Menschenfresser-Zombies. Manche Wissenschaftler sagen: Als der Zombie noch dieser seelenlose Arbeiter war, hatte er noch ein kritischeres Potenzial, weil fürchterliche Ausbeutungsverhältnisse thematisiert wurden. Und das sei in der Entwicklung der Figur hin zum Menschenfresser manchmal verloren gegangen.
hessenschau.de: Jetzt haben wir vor allem über die problematischen Aspekte der Zombie-Erzählungen gesprochen. Trotzdem sehen Sie in ihrer Forschung auch optimistische Aspekte – welche sind das?
Lanzendörfer: Der Zombie ist gerade in neueren Fassungen immer eine apokalyptische Figur. In, sagen wir, 95 Prozent der Fälle vernichtet er komplett das, was da war. Das kann der Zombie sehr gut: Einen kompletten Neuanfang ermöglichen, bei dem wir eine Vielzahl von Dingen ausprobieren können.
Lieber: Die Apokalypse hatte ursprünglich eine ganz andere Bedeutung, als wir sie heutzutage verwenden. Wenn wir von apokalyptischen Filmen oder Romanen sprechen, meinen wir meistens das Ende der Welt.
Ursprünglich, also zum Beispiel in der christlichen Tradition, hatte Apokalypse aber auch die Bedeutung der Offenbarung. In der Bibel geht es nicht nur darum geht, dass irgendwas zu Ende geht, sondern dass sich dabei eben auch etwas offenbart.
Wenn Zombiefilme oder -Texte sich vorstellen, dass die Gesellschaft, in der wir leben, zu Ende geht, verraten sie auch etwas über alternative Möglichkeiten. Da ermöglichen die Erzählungen sich Gedanken zu machen, wie die menschliche Gesellschaft gestaltet werden könnte.
Das Gespräch führte Lara Karbalaie.
Sendung: hr2-kultur, Am Morgen, 21.09.2023, 06:00 Uhr
Ende der weiteren Informationen