Textile Weltkarte 250 Quadratmeter Stoff bringen das Marburger Kunstmuseum an seine Grenzen
Drei Jahre lang hat die Frankfurter Künstlerin Julia Krause-Harder Stoffberge zusammengenäht. Heraus kam eine gigantische textile Weltkarte, die nun erstmals vollständig im Kunstmuseum in Marburg hängt.
Für die Antarktis war leider kein Platz mehr, stellte Museumsdirektor Christoph Otterbeck fest. Beim besten Willen – der südlichste Kontinent passte einfach nicht mehr in den größten Ausstellungsraum des Marburger Kunstmuseums.
Die Antarktis hängt deswegen ein Stockwerk weiter unten im Foyer des Museums, quasi als Begrüßung zur Ausstellung. Und geografisch sei das ja durchaus angemessen, wenn sie etwas weiter unten ist als der Rest, meint Otterbeck.
Zwei Wochen dauerte es, bis alle Inseln und Kontinente an Ort und Stelle hingen. Die Weltkarte der Frankfurter Künstlerin Julia Krause-Harder ist eine raumumfassende, farbenprächtige Installation, die Besucherinnen und Besucher im Marburger Kunstmuseum quasi umgibt. Teile des gigantischen textilen Kunstwerks wurden bereits an verschiedenen Orten ausgestellt, nun hängt die Karte erstmals vollständig in Marburg.
Drei Jahre Arbeit
An dem Kunstwerk hatte Krause-Harder drei Jahre lang intensiv genäht, geknotet und gestrickt mit dem Ziel, eine vollständige Weltkarte aus unterschiedlichen Materialien zu erstellen. Damit ermöglicht sie einen Blick auf die Welt, wie sie sie sieht - in ihrer ganz eigenen Ästhetik.
Krause-Harder verarbeitete dabei enorme Mengen an Textilien. Für jedes Land wählte sie Materialien aus, die sich aus ihrer Sicht farblich oder inhaltlich auf die Eigenschaften des jeweiligen Landes oder der Region beziehen. Zum Teil stickte sie auch Schrift oder Symbole auf.
Deutschland beispielsweise strickte sie in warmem Rot und Orange, Kanada erstrahlt als weiter blauer Batik-Himmel, Südafrika nähte sie als Patchwork-Landschaft in Grün- und Beigetönen. Die Ukraine sticht neben dem rot-gemusterten flächigen Russland besonders heraus: türkisblau mit Friedenstaube.
Teil des Atelier Goldstein
Julia Krause-Harder, geboren 1973 in Kronberg im Taunus, ist im Frankfurter Atelier Goldstein tätig, das ein besonderes Konzept hat: In der Galerie arbeiten 14 Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung.
Anders als dies etwa bei vielen therapeutischen Angeboten der Fall ist, steht dabei stets die Kunst im Vordergrund und nicht die eventuelle Beeinträchtigung. Kunstwerke aus dem Atelier haben es mittlerweile in renommierte Sammlungen und auf die documenta geschafft.
Jahrelange Faszination für Dinosaurier
Auch Julia Krause-Harder hat ihre Werke schon auf der ganzen Welt ausgestellt. Bekannt wurde sie für ihre Dinosaurier-Skulpturen aus Alltagsgegenständen, Spielzeugen und anderen Materialien, die von einer Metall-Konstruktion zusammengehalten werden.
Auch diese jahrelange tiefe Faszination für Paläontologie in Verbindung mit Geografie zeigt sich auf der Weltkarte: Stellenweise hat sie Fundorte von Dinosaurier-Skeletten markiert. In der Marburger Ausstellung werden außerdem noch andere Werke mit Dinosaurier-Thematik gezeigt.
"Logistische Herausforderung"
Die Weltkarte aufgehängt hat Lutz Pillong, Mitarbeiter im Atelier Goldstein. "Das ganze Werk ist insgesamt eine echte logistische Herausforderung", sagt er. Man habe lange nach einer geeigneten Fläche gesucht. Denn: Insgesamt benötige das Kunstwerk etwa 400 bis 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Der Maßstab der Karte liege etwa bei 1:1,3 Millionen.
Krause-Harder habe die unzähligen kleinteiligen Stoff-Elemente mit einer haushaltsüblichen Nähmaschine zu großen Flächen zusammengesetzt, berichtet Pillong. "Das sind irgendwann wahre Stoffberge gewesen, mit denen sie da hantiert hat." Allein halb Eurasien umfasse zusammengerollt etwa einen Kubikmeter Stoff.
In Marburg habe man aus Platzgründen etwas von den realen geografischen Gegebenheiten abweichen müssen – etwa durch die Auslagerung der Antarktis und indem Nord- und Südamerika nebeneinander statt übereinander gehängt wurden. Südostasien wurde außerdem auf den Boden gelegt.
Stoffberge aus kleinen Elementen
Angefangen habe alles mit dem Tschad, erinnert sich Pillong und erzählt: Krause-Harder habe sich im Entstehungsprozess immer wieder intensiv mit einzelnen Ländern beschäftigt, sich belesen, sie zum Teil auch bereist. Weil sie eine besondere Beziehung zu dem afrikanischen Land aufgebaut habe, habe sie ihn auch in der Karte besonders hervorgehoben.
Pillong erklärt noch eine weitere Besonderheit: Krause-Harder habe das Werk eigentlich so konzipiert, dass es gar nicht als Fläche gedacht ist, sondern auf einer Sphäre liegen könnte. Das heißt: Es könnte rein theoretisch auch als tatsächliche Welt-Kugel ausgestellt werden - wenn sich denn eine geeignete und ausreichend große Kugel dafür fände.
"Enorm viel Material, Vorstellungskraft und Ernsthaftigkeit"
Zwischen ihren Stoffbergen traf Julia Krause-Harder 2018 auch Museumsdirektor Christoph Otterbeck. Bei seinem Besuch im Atelier Goldstein war das Werk noch in Arbeit, so wie die Marburger Kunsthalle damals selbst. Otterbeck erzählt, das Museum habe damals noch in seiner langjährigen Umbauphase gesteckt und sich dabei auch intensiv mit Fragen rund um Inklusion und Barrierefreiheit im Betrieb auseinander gesetzt.
Julia Krause-Harder habe da gesessen "mit enorm viel Material, Vorstellungskraft und Ernsthaftigkeit", erinnert sich der Museumsdirektor. "Da habe ich schon die Dimensionen erahnt und sofort gesagt: Wenn das fertig ist, müssen wir das irgendwie zeigen."
Sendung: hr-fernsehen, 16.5.23, 19.30 Uhr
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