Interview zu Theaterstück "Leaks" in Frankfurt "Wir müssen die Rechten ärgern"
Die aktuelle Debatte über Menschen mit Migrationshintergrund mache etwas kaputt in Deutschland, sagt der Regisseur Nuran David Calis. Der wachsenden Angst vor Rechtsextremen stellt er sich am Schauspiel Frankfurt mit der bissigen Satire "Leaks. Von Mölln bis Hanau" entgegen.
In "Leaks. Von Mölln nach Hanau" (ab Samstag) inszeniert der Regisseur Nuran David Calis am Schauspiel Frankfurt einen bösen Satire-Ritt durch die deutsche Geschichte des Rechtsextremismus und seiner Verstrickung mit Sicherheitsbehörden seit 1945. Es geht um die rassistischen Morde in Mölln 1992, die NSU-Morde, das Attentat von Hanau, rechte V-Männer, rechtsextreme Polizeichats.
Im Gewand einer Late-Night-Show kommentieren, besingen und verkörpern vier Schauspieler*innen die Verflechtung der rechten Szene mit deutschen Behörden. Mal sind sie als Clowns verkleidet, mal als Nazis, mal als Verfassungsschützer.
Für Regisseur Nuran David Calis war die Satire die einzig passende Form im Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte, sagt er im Interview und warnt: Das Fundament des Theaters wackele gerade.
Das Gespräch führte Grete Götze.
hessenschau.de: Herr Calis, Ihr Stück basiert wie viele Ihrer Arbeiten auf dokumentarischen Recherchen und Interviews mit Experten. Warum haben Sie die Form der Satire gewählt, um die Verstrickung von Altnazis und deutschen Sicherheitsbehörden anzuprangern?
Nuran David Calis: Das Stück basiert auf den Berichten aus den bundesweiten Untersuchungsausschüssen und Interviews mit Wissenschaftlern. Aber die Form der Satire ermöglicht es uns, die Blödheit von Nazis und rechten Strukturen zu demaskieren.
Wir wehren uns mit den Mitteln der Komik, um uns von Nazis nicht den Mund verbieten zu lassen, denn sie wollen uns ja Angst einjagen.
Wenn ich mich im Theater mit diesen Menschen und ihren Werten auseinandersetze, dann möchte ich den Zuschauer im Brecht'schen Sinne nicht in die Verlegenheit des Mitfühlens hineingleiten lassen, sondern, dass er über Nazis lacht und über ihre Mechanismen nachdenkt.
Es soll keine Identifikation stattfinden. Deswegen ist die Form der Satire geeignet, in der wir so bissig auf die Angstmacher draufhauen können.
hessenschau.de: Sie haben in den vergangenen Jahren viel zu Rechtsextremismus gearbeitet und etwa bei Ihrem Stück "NSU.2.0" die Perspektive der Opfer beleuchtet. Warum haben Sie sich diesmal für die "Täterseite" entschieden?
Calis: Bei den Opfern und Angehörigen des NSU-Prozesses habe ich eine tiefe, starke Betroffenheit gespürt, die ich auch an die Zuschauer weitervermittelt habe.
Als ich entschieden habe, jetzt etwas über die Täter und ihre Strukturen zu erzählen, wollte ich nicht in eine ehrfürchtige Betroffenheitsfalle tappen, sodass ich mich nicht mehr traue, kreativ zu sein.
hessenschau.de: Was sollen die Zuschauer mitnehmen?
Calis: Einen Moment des Empowerments. Die rechte Szene setzt auf Angst, auf Einschüchterung. Das Mindeste, was Sie mitnehmen können, ist also, dass Sie einen Abend erleben, der frech und unanständig ist.
Das ist die große Kraft des Theaters, der Kunst. Wir würden niemals zu Waffen oder zu Gewalt greifen. Unsere Waffe ist die Kunst. Wir sind das "enfant terrible" einer Gesellschaft, das Autoritäten und Gewaltherrschaft infrage stellt und demaskiert. Da darf man im ästhetischen Sinn auch mal mit einer Axt daherkommen.
hessenschau.de: Den Wunsch, durch erdachte Geschichten im Theater der Wirklichkeit zu entfliehen, erfüllen Sie ja nicht.
Calis: Im Moment herrscht eine große Angst und Unsicherheit in unserer Gesellschaft. Über den Weg der Satire kann man eine Kraft spüren in sich, merken: Hey, ich kann mich dem Narrativ der rechtsradikalen Szene entgegenstellen.
Das Narrativ brauche ich mir nicht anhören, weil es mit meinem Leben gar nichts zu tun hat, sodass ich befreiter durch die Gegend gehen kann, differenzierter auf meine migrantische Bevölkerung schaue, vielleicht bemerke, dass die Debatte, die im Moment über Migration geführt wird, einseitig geführt wird.
Wenn man sich überlegt, dass ein Viertel unserer Gesellschaft einen migrantischen Hintergrund hat und diese Menschen vielleicht "biodeutsche" Freunde oder Lebenspartner haben, heißt das ja, fast die Hälfte der Bevölkerung hat irgendwie mit einer migrantischen Szene zu tun.
Ich fände es toll, wenn der Zuschauer nach dem Abend darüber nachdenkt, wie sich unsere Gesellschaft gerade aufstellt und wie wir Debatten über unsere Minderheiten führen.
hessenschau.de: Was machen diese Debatten mit den vielen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland?
Calis: Viele diskutieren schon, ob sie auswandern sollen, zum Beispiel nach Kanada. Und das sind Menschen in der dritten oder vierten Generation, die seit zwei Generationen einen deutschen Pass haben.
Die deutsche Diskussion über Migranten, dass manche ihnen die Staatsbürgerschaft aberkennen und massenhafte Abschiebungen wollen, versetzt uns in eine Art Schockstarre.
Der Abend lenkt die Debatte auf das Wesentliche: dass es Leute gibt da draußen, die unser liberales, vielfältiges Leben in Frage stellen. Und die nicht differenziert auf ein migrantisches Leben schauen, sondern sich nur Negativbeispiele rausziehen, um dann politisches Kapital daraus zu schlagen.
Dem möchte ich mich als Künstler mit meiner Arbeit entgegenstellen.
hessenschau.de: Haben Sie nicht Angst, in die Schublade "Regisseur mit Migrationshintergrund" gesteckt zu werden, der nur Geschichten darüber erzählen will?
Calis: Als Künstler denke ich immer: Dieser kostbare Raum, der mir jetzt gegeben wird und diese Aufmerksamkeit, wie nutze ich sie am besten?
Deswegen habe ich entschieden, in diesem Bereich so viel zu arbeiten wie nur möglich, weil auch für solche Stimmen, wie ich sie vertrete, der Raum kleiner wird.
hessenschau.de: Ist das so?
Calis: Natürlich. Wenn ich zum Beispiel höre, dass die Frankfurter AfD und ihr Umfeld sagen: Die Oper kann bleiben, die macht das toll. Aber die vom Schauspiel Frankfurt sind alle Linksradikale. Dann denke ich mir im Umkehrschluss: Was hat die Oper bis jetzt falsch gemacht, dass sie so von der AfD so geschätzt wird?
Da müssten wir jetzt noch viel aktiver werden, die Rechten ärgern. Wir machen uns über sie lustig, wir überlassen ihnen die Räume nicht einfach so. Das ist der einzige Weg, sich gegen die zu wehren.
hessenschau.de: Hat sich durch die AfD der politische Diskurs verschoben?
Calis: Man sucht in der migrantischen Gesellschaft das schwarze Schaf. Aber fragt uns doch auch mal, wie wir uns fühlen! Die Lebensleistungen von uns, von meinen Großeltern sind enorm.
Trotzdem sorge ich mich um meine Töchter, die jetzt schon die vierte Generation in Deutschland sind. Man würde nicht erkennen, dass sie einen Migrationshintergrund haben. Sie haben blonde Haare, blaue Augen.
Aber es geht gerade etwas kaputt in unserem Land. Das finde ich wirklich tragisch. Solche Biografien wie die des türkischen Ehepaars aus Mainz, das den Corona-Impfstoff entdeckt hat, sind nicht mehr Gegenstand der Debatte.
Da würde ich mir über Theater, über Film, aber auch in die Parteien hinein eine neue Erzählung wünschen. Doch da gibt es auch eine Zurückhaltung.
hessenschau.de: Welche?
Calis: Ich weiß, dass man bei Projekten wie meinen vorsichtig ist, ob man die große Bühne oder die kleine Bühne nutzt, da muss man auch um seine Räume kämpfen und sie verteidigen.
Ich habe das Gefühl, dass eine Leitung solche Arbeiten gerne will, aber auch Sorge vor seinem Publikum hat. Es hängt alles zusammen. Der Sparzwang, der "Political-Correctness"-Zwang. Das Fundament des Theaters wackelt gerade auch finanziell.
Die AfD hat jetzt einen Weg gefunden, wie sie uns noch mehr die Luft abdrehen kann. Sie sitzt mittlerweile in den Stadträten, Senaten und Kulturausschüssen von Städten und Kommunen und versucht, Einfluss auf das Theater zu nehmen.
Sie will ihren Begriff von Kunst und Kultur durchsetzen, der identitär und völkisch ist. Es gilt, sich dem entgegenzustellen. Für mich als Künstler wäre es fatal, diesen Raum nicht dafür zu nutzen, um mich auf künstlerische Art und Weise zu wehren.