Tony-Sender-Preisträgerin Wiedenroth-Coulibaly Sie macht Schwarze Menschen sichtbar - seit Jahrzehnten
Sie ist eine der Mitbegründerinnen der Schwarzen Bewegung in Deutschland: Die Stadt Frankfurt zeichnet Eleonore Wiedenroth-Coulibaly mit dem Tony-Sender-Preis 2022 aus. Die Aktivistin möchte die Auszeichnung in besonderer Weise umwidmen.
An den einen Moment, in dem sie Aktivistin werden wollte, kann sich Eleonore Wiedenroth-Coulibaly nicht erinnern: "In meinem Leben ist Rassismus immer mitgeschwommen", sagt sie. "Immer. Immer."
Von klein auf seien da die kleineren und größeren Spitzen gewesen, die rassistischen Zuordnungen, die der Wiesbadenerin schon als Kind das Gefühl gaben, sie gehöre nicht dazu: "Oft kamen Leute durchaus freundlich auf mich zu, haben mich dann aber gerne auf Englisch angesprochen", erzählt die 67-Jährige. "Ich sagte dann, wir können schon Deutsch sprechen, aber viele Leute konnten nicht über ihren Schatten springen. Sie wollten mit mir nicht Deutsch sprechen, weil sie etwas anderes gesehen haben."
Am Alltagsrassismus fast zerbrochen
An diesem Alltagsrassismus sei sie manchmal fast zerbrochen, sie habe übers Auswandern nachgedacht. Ziel ihrer späteren aktivistischen Arbeit sei denn auch schlicht Überleben gewesen, sagt Wiedenroth-Coulibaly. "Deutschland hat mir psychisch nicht gestattet, hier zu leben."
Lange war sie mit sich allein, wie sie sagt. Ihr Rückhalt seien zunächst englische Songs Schwarzer Menschen gewesen, über die der Weg zu antirassistischer Schwarzer Literatur und zum Umgang mit Sprache allgemein geführt habe. Wiedenroth-Coulibaly wurde Dolmetscherin und Übersetzerin - schnell mit dem Blick darauf, wo dort die Rassismen sind.
Während ihrer Arbeit als Dolmetscherin habe sie schnell gemerkt, dass sie insbesondere Frauen helfen konnte: "Die Diskriminierungsmechanismen gleichen sich", sagt sie. Und so war sie unter anderem als Dozentin aktiv im Frauenprojekt Gallus, der Lehrerkooperative und dem Goethe-Institut, unterstützte überwiegend Frauen mit Migrationshintergrund.
Ziel: Schwarze Menschen zusammenzubringen
Mitte der 1980er Jahre wollte sie erstmals möglichst viele Schwarze Menschen zusammenbringen: "Wir mussten als Schwarze Personen reden und gucken, was wir uns mitzuteilen haben", erklärt sie. Was heute einfach wäre, sei damals viel Arbeit gewesen: Sie telefonierte alle ab, die sie kannte. Das erste Treffen war "augen- und herzöffnend", erzählt sie. Denn der Austausch habe die Erkenntnis gebracht, dass es nicht die Schwarzen Menschen waren, mit denen etwas nicht stimmt, sondern ihre Umwelt. "Es stärkt, wenn man diese ganzen Defizite nicht mehr auf sich bezieht, sondern dass es andere Kräfte sind, die an einem ziehen", sagt Wiedenroth-Coulibaly. "Ich war endlich nicht mehr mit mir allein."
Es folgten mehrere auch bundesweite Treffen, aus denen sich unter anderem die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und die ADEFRA - Schwarze Frauen in Deutschland gründeten. Über 37 Jahre und viele Veranstaltungen wie den "Black History Month" oder Ausstellungen wie "Homestory Deutschland" ist das her.
"Wir haben Sprache verändert"
Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen hat Wiedenroth-Coulibaly einiges bewegt: "Ich denke, wir haben Sprache verändert", resümiert sie. "Es gibt gewisse Ausdrücke, von denen viele Menschen akzeptieren, dass die nicht mehr gehen." Schwarze Menschen hätten sich sichtbar gemacht. Außerdem kämen sie nun in die akademische Welt hinein, und das nicht mehr nur als Hilfskräfte. Das sei vorher undenkbar gewesen.
Den Tony-Sender-Preis der Stadt Frankfurt, mit dem Eleonore Wiedenroth-Coulibaly am Freitag ausgezeichnet wird, möchte sie denn auch als "Bewegungspreis" verstanden wissen. Zur Verleihung habe sie viele Menschen eingeladen, die in verschiedenen Bewegungen auch eine Stimme haben, "so dass wir das zu unserem Preis machen", sagt sie. "Ich möchte den Preis nicht als Individuum annehmen."
Auch das Preisgeld von 10.000 Euro möchte sie für die Bewegung einsetzen. "Es gibt bestimmt Ideen für Projekte, in denen wir das Geld verwenden können", glaubt sie. Denn es gebe auch weiter viel zu tun. "Wir hätten gerne auch in Frankfurt Räumlichkeiten, die wir gestalten können", sagt Wiedenroth-Coulibaly. Büros müssten da hinein, Beratungsräume, Räume für Veranstaltungen, eine Kindergruppe. Wichtig sei, es müssten Räume sein, "in denen wir sagen können: Das sind Schwarze Räume."
Sendung: hr2-kultur, 14.10.2022, 7.10 Uhr
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