Klage vor dem Bundesfinanzhof Warum Graffiti an der Wand für das Finanzamt kein Kunstwerk ist
Ist Graffiti Kunst? Kommt darauf an, sagt das Finanzamt: Auf Leinwand gesprayt ist es Kunst, auf einer Mauer nicht. Graffitis als Auftragsarbeiten an Gebäuden und Wänden müssen daher mit 19 Prozent versteuert werden. Ein Bad Vilbeler Künstler will das ändern und zieht vor Gericht.
Eine 350 Meter lange Schallschutzwand bei Bad Vilbel ist die Leinwand von Sebastian Stehr: Er sprüht dort Portraits, eindrucksvolle Gesichter verbunden mit Gedichten und Texten, die zum Nachdenken anregen sollen. Seine fotorealistischen Bilder sind die Eyecatcher, die die Menschen dazu bringen, auch die Texte zu lesen, hat er beobachtet.
Mit 14 Jahren hat Stehr angefangen mit dem Sprayen, mit 16 hatte er erste Aufträge als Graffiti-Künstler. Inzwischen verdient der 49-jährige Bad Vilbeler mit Auftragsarbeiten seinen Lebensunterhalt. Er sprayt unter dem Pseudonym indian_t2b im Auftrag von Kommunen, Firmen und Privatleuten und hat dafür auch schon Preise gewonnen.
40.000 Euro Steuernachzahlung
Mit dem Finanzamt hatte der selbständige Künstler bislang nie Probleme. Bis er einen Brief vom Finanzamt bekam. Der war für ihn ein Schock: Er soll 40.000 Euro Umsatzsteuer nachzahlen, rückwirkend für fünf Jahre.
Für Stehr ist die Nachforderung existenzbedrohend. "Alles, was ich mir die letzten 25 Jahre aufgebaut habe, wäre dann kaputt", sagt der Vater von zwei Kindern. Er ging deshalb vor Gericht und klagte gegen das Finanzamt Friedberg.
Freiberufler, nicht Künstler
Das Finanzamt hatte nach einem für Stehr sehr erfolgreichen Jahr seine Steuererklärung genauer angeschaut und festgestellt: Seine Arbeit unterliegt gar nicht der ermäßigten Umsatzsteuer für Kunst von sieben Prozent. Stattdessen sollte Stehr wie andere Freiberufler seine Aufträge mit 19 Prozent versteuern.
Das Problem: Graffiti und generell Kunst im öffentlichen Raum ist als Kunstform im Steuergesetz gar nicht erfasst. Andere bildende Künstler wie Maler oder Bildhauer zahlen für Auftragsarbeiten nur einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent, so wie Stehr bislang auch.
Der Untergrund macht den Unterschied
Doch Graffiti entsteht naturgemäß auf Wänden und an Gebäuden - ein Umstand, den die Gesetzgebung bisher nicht berücksichtigt und der zu der Ungleichbehandlung zwischen "mobiler" und "immobiler" Graffiti führt.
"Würde er auf einer Tafel aus Holz oder auf einer Leinwand sprayen, die der Stadt liefern und die hängt sie hin, dann wäre es Kunst im steuerrechtlichen Sinne und mit sieben Prozent versteuert", erklärt Stehrs Anwalt Christian Förster.
"Nicht nachvollziehbare Unterschiede"
Ein Missstand, den der Deutsche Kulturrat schon seit Jahren beklagt, sagt Dagmar Schmidt, Vorsitzende des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK). Wie viele andere Ungleichbehandlungen von Kunstformen sei die unterschiedliche Bewertung historisch gewachsen, heute aber nicht mehr nachvollziehbar.
Der Verband fordert zusammen mit dem Deutschen Kulturrat von der Politik einen einheitlichen Umsatzsteuersatz von sieben Prozent für Kunst aller Genres. Das würde "für Klarheit sorgen und die üblicherweise in künstlerischen Techniken ausgeführten Leistungen gleich behandeln", hieß es in einer Stellungnahme des Kulturrats schon 2022.
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Wieder auf der Tagesordnung
Dass Stehr wegen seiner Steuernachforderung vor Gericht ging, hat das Thema "Graffiti als Kunstform" wieder auf die Tagesordnung gebracht. Das Finanzgericht in Kassel hatte geurteilt, dass das Finanzamt Friedberg richtig entschieden habe und hatte eine Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.
Nun sei die ganze Szene verunsichert, sagt Sebastian Stehr. Viele Graffiti-Künstlerinnen und -Künstler hätten Angst vor Nachforderungen der Finanzämter. Nicht zu Unrecht, sagt BKK-Vorsitzende Schmidt: "Es besteht durchaus die Gefahr, dass das Urteil eine Vorbildwirkung hat."
Bundesfinanzhof soll klären
Stehr will nun als letzte Möglichkeit mit seinem Anwalt zum Bundesfinanzhof gehen, um dort eine Gesetzesänderung zu erreichen. Ein mutiger Schritt. Die Chancen auf Erfolg lägen erfahrungsgemäß bei nur bei 20 Prozent, sagen die beiden.
Auch Dagmar Schmidt vom Verband Bildender Künstler findet den Versuch, den Missstand auf dem Rechtsweg zu beheben, "hochinteressant", hält ihn aber für wenig erfolgversprechend: "Ich wünsche dem Kollegen alles Gute."