Theaterfestival in Frankfurt Wie die Sommerwerft den Frieden feiern will - ohne über Krieg zu reden
Die Sommerwerft kehrt am Wochenende zurück ans Frankfurter Mainufer. Friedenskultur ist das Motto - bei dem internationalen Theaterfestival soll es um Frieden im Alltag gehen, nicht um Kriege. Und das ohne viele Worte.
Ganz in Weiß tanzen sie durch die Frankfurter Innenstadt. Sie halten sich an den Händen, tragen auffällige Kostüme und weiße Schminke im Gesicht. Vom Goethe-Platz ziehen die 20 Tänzer und Tänzerinnen an diesem Freitag über den Römerberg bis zum Mainufer. An der Weseler Werft im Frankfurter Osten liegt ihr Ziel: die Sommerwerft.
Mit einer Parade durch die Stadt ist am späten Nachmittag das diesjährige internationale Performance-, Tanz- und Theaterfestival eröffnet worden. Von Freitag an werden dort gut zwei Wochen lang Theater-Aufführungen, Konzerte und Workshops geboten (26. Juli bis 11. August). Zum 23. Mal findet die Sommerwerft bereits statt. Der Eintritt ist kostenlos, über 100.000 Besucher werden erwartet.
Das Mainufer wird zum Festivalgelände mit Bühnen, Zelten, Essens- und Getränke-Ständen. Dabei geht es in diesem Jahr um nichts weniger als Frieden: "Friedenskultur" ist das Motto der Sommerwerft 2024.
Friedensmotto zielt nicht auf Kriege ab
Die Friedensparade zur Eröffnung der Sommerwerft trägt den Titel "Butterfly". Schmetterlinge würden nach einem kalten Winter Frühling bedeuten, erklärt der japanische Choreograf Shusaku Takeuchi bei den Proben. "Sie bringen Hoffnung, das Leben beginnt wieder."
Taekuchi performt den Butterfly-Tanz seit den 1980er-Jahren, wie er sagt. Die Parade habe er unter anderem vor dem Zerfall der Sowjetunion auf dem Roten Platz in Moskau aufgeführt, nachdem diese Abrüstungsschritte angekündigt hatte. Um aktuelle Kriege wie in der Ukraine und im Nahen Osten geht es bei der Sommerwerft aber nicht, betont Kuratorin Bárbara Luci Carvalho.
"Wir wollen ungerne über Frieden im Kontext von Kriegen reden, die in unterschiedlichen Ländern jetzt stattfinden", sagt sie. Das Festival soll Menschen dazu anzuregen, sich als Teil des Friedensprozesses zu sehen, und das auch in Frankfurt. "Es geht darum zu fragen: Inwiefern nehme ich Teil in einer Gesellschaft mit mehr Frieden?"
Gemeinsam soll bei der Sommerwerft dem Hass und der Aggression in der Gesellschaft eine "kulturelle Utopie" entgegengesetzt werden, bei der es um Zusammenleben, Gemeinsamkeiten und Solidarität gehe - trotz aller Unterschiede, wie die Sommerwerft im Programmheft betont.
Kunst kann Gefühle besser ausdrücken als Worte
Frieden mit sich selbst, den Anderen und im Zusammenleben - auf dieses Verständnis weist auch das Programm hin. Viele Workshops kommen aus der Achtsamkeitsbewegung. Es geht um den Einklang mit sich selbst und den Mitmenschen. Vermittelt durch Tanz, Theater, Kunst und Musik. "Es gibt so viele Erfahrungen von Schmerz und Trauma, die wir nicht in Worte fassen können", sagt Kuratorin Carvalho. "Es gibt eine bestimmte Erfahrung, die man nur mit Kunst schaffen kann."
Dabei geht es auch darum, sich selbst und seinen Körper besser kennenzulernen - und auch damit Frieden zu finden. Bei verschiedenen Workshops können Besucher und Besucherinnen sich austesten, aus dem Alltag ausbrechen und die eigenen Schamgefühle überwinden. Etwa beim Workshop "Free your Inner Clown". Wer dort mitmacht, soll den Clown in sich freien Lauf lassen (29. Juli, 18.30-20.30 Uhr, Workshop-Space Ost; 30. Juli, 18.30-20.30 Uhr, Workshop-Space Ost).
Beim Twerk-Workshop wird die eigene Sinnlichkeit erforscht: Dort wird gezeigt, wie Hüfte, Becken und Hintern für den Dancemove richtig bewegt werden müssen - Ziel ist es, sich vom Urteil anderer frei zu machen (2. August, 18-19.30 Uhr, Workshop-Space Ost). Aber auch klassische Yoga-Stunden gehören zur Sommerwerft (Mandala Yoga: 1. August; 19-20.30 Uhr, Workshop-Space Ost; Yoga: 8. August, 19-20.15 Uhr, Workshop-Space Ost).
Für Kinder gibt es eine eigene Bühne mit theaterpädagogischen Aufführungen sowie Workshops wie Improtheater (2. August, 17-19 Uhr, Workshop-Space West).
Theater aus aller Welt und Live-Konzerte
Eines der Highlights der Sommerwerft ist laut Kuratorin Carvalho in diesem Jahr das Theaterstück der brasilianischen Gruppe "Teatro Popular de Ilheus" (8. August, 21.45 Uhr, Teatro). Eineinhalb Jahre hätten sie die indigene Community Tupinambá in Brasilien besucht und interviewt. Die Aufführung wird in der Sprache der Tupinambá aufgeführt, dazu gibt es eine Audio-Übersetzung ins Englische. "Die Idee ist, dass sie ihnen und ihren Narrativen eine Bühne geben", sagt Carvalho.
Der Titel der Stücks "Borépeteĩ uno" bedeute auf Deutsch so viel wie Einheit - es ziele auf die Frage ab, wie wir "trotz unterschiedlicher Meinungen, unterschiedlicher Erfahrungen und Kultur" als Gesellschaft zusammenkommen könnten. Neben Theater-Aufführungen bietet das Programm an den 17 Tagen Live-Konzerte von Newcomern und Bands aus aller Welt. Neues kennenlernen und voneinander Lernen ist das Ziel.
Organisatoren leben zum Teil zusammen
Organisiert wird das internationale Theaterfestival seit mehr als 20 Jahren vom Förderverein Protagon. Ein Teil des Organisatoren-Teams lebt und arbeitet als Theaterkollektiv Antagon zusammen auf einem rund 6.000 Quadratmeter großem Gelände in Frankfurt-Riederwald. Während der Sommerwerft leben nach eigenen Angaben bis zu 180 Menschen aus aller Welt dort, darunter viele ehrenamtliche Helfer und Künstler.
Protagon zufolge entstehen dabei Kosten von rund 623.000 Euro. Gewinn erwirtschafteten sie mit der Sommerwerft nicht. Zwei Drittel der Kosten würden durch Fördergelder von Stadt und Land gedeckt.
Ist die Sommerwerft vorbei, wird die Winterwerft geplant, die Protagon zu Beginn des Jahres in Frankfurt veranstaltet. Anders als die Sommerwerft findet das internationale Theaterfestival dann nicht am Main, sondern auf dem Protagon-Kulturgelände im Frankfurter Osten statt.