Virtuelle Modelle TU Darmstadt rekonstruiert zerstörte Synagogen
Zerstörte Synagogen zu neuem Leben erwecken – dieser Aufgabe hat sich seit vielen Jahren ein Darmstädter Architekt mit seinem Team verschrieben. In 3D-Modellen rekonstruieren sie die Gebäude bis ins kleinste Detail.
Das imposante Gebäude an der Friedberger Anlage in Frankfurt fällt vor allem durch seine fensterlose Fassade auf. Es ist ein Hochbunker, 1942 von Zwangsarbeitern errichtet – und zwar auf den Trümmern der Synagoge, die zuvor hier stand. Sie war während der November-Pogrome von Nazis angezündet worden, kurz darauf ließ die Stadtverwaltung die Mauern abtragen.
Heute wird das geschichtsträchtige Gebäude von der "Initiative 9. November" als Ausstellungs- und Gedenkort betrieben. Neben Informationstafeln und Fotos beeindruckt Besucherinnen und Besucher vor allem die virtuelle Kamerafahrt, mit der man nachvollziehen kann, wie die Synagoge einmal ausgesehen hat.
Die Synagoge im Frankfurter Ostend ist eines von 30 jüdischen Gotteshäusern, die der Darmstädter Architekt Marc Grellert und sein Team digital rekonstruiert haben.
Detektiv, Architekt und digitale Arbeit
Die Elemente der Synagogen werden digital und in 3D nachgebaut, detailgenau bis zu den Beschaffenheiten der Oberflächen. Baupläne, Fotos und Zeichnungen sind die Grundlage dafür.
Aber nicht immer sind alle Bereiche der Synagogen dokumentiert. "Fotografien des Innenraums gehen in der Regel in Richtung des Toraschrein, des wichtigsten Einrichtungsgegenstands einer Synagoge", erklärt Grellert. Nur selten gäbe es Bilder in die andere Richtungen. "Dann müssen wir versuchen, solche Bereiche nach der architektonischen Logik zu rekonstruieren."
Zeitzeugen als Quelle
Lange Zeit seien auch Zeitzeugen eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion gewesen, erzählt Grellert. Zum Beispiel bei der Synagoge in der Bleichstraße in Darmstadt.
Für deren Berichte sei er auch nach Israel und in die USA gereist. "Die Erinnerungen haben wir filmisch festgehalten. Die an die Synagoge, aber auch die an die Ausgrenzung", so Grellert. Diese Aufzeichnungen sind heute ebenfalls Teil der Ausstellung im Bunker an der Friedberger Anlage.
Von virtuell bis haptisch
Der Vorteil der Rekonstruktion am Computer: Die Ergebnisse können vielfältig präsentiert werden. In Einzelbildern, Kamerafahrten, mithilfe von Virtuell-Reality-Brillen oder gedruckt als 3D-Modelle.
Für das jüdische Museum Berlin hat das Team 2021 vier Modelle von Synagogen in Edelstahl ausdrucken lassen. "So kann man sie frei aufstellen und auch anfassen. Bei anderen Materialien würde man sie in eine Vitrine stellen müssen", erklärt Grellert. In der Edelstahl-Version würden die Gebäude haptisch erlebbar.
Ein Zeichen gegen Antisemitismus
Die Idee für das Projekt hatte Marc Grellert 1994. In der Nacht vom 25. März übten vier Neonazis einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Lübeck aus. Die fünf Bewohner, die sich zum Zeitpunkt des Brandanschlags in ihren Wohnungen über der Synagoge befanden, blieben unverletzt. Das Feuer, das die vier Männer in einem Seitengang gelegt haben, zerstörte aber den Vorraum der Synagoge sowie wichtige Dokumente.
Der Vorfall bewegte Grellert, Dozent an der TU Darmstadt und Experte für 3D-Konstruktion. Seine Idee: Mit der Rekonstruktion von Synagogen ein Zeichen setzen gegen den Antisemitismus. "Und natürlich auch einen kleinen Beitrag leisten zur Erinnerung an die Shoa." In den neuen Technologien sieht er die Chance, einen Zugang zum Thema für junge Menschen zu schaffen. Über Virtual Reality könne man zeigen, was einmal war und die Frage anstoßen: Warum gibt es das nicht mehr?
Neue Projekte im Rhein-Main-Gebiet
Insgesamt acht Synagogen aus Frankfurt, zum Beispiel die im Stadtteil Hoechst, sollen auf dem Computer nachgebaut werden. Zum Teil werden dafür bereits entstandene Modelle überarbeitet und mit neuer Technik aktualisiert. Andere müssen ganz neu rekonstruiert werden. Außerdem sollen drei Synagogen aus Darmstadt und zwei aus Mainz zugänglich gemacht werden.
Die Modelle und Bilder der TU sind bisher vor allem in Ausstellungen und vereinzelt auch auf der Homepage der Universität zu finden. Um die rekonstruierten Gotteshäuser noch mehr Menschen zugänglich zu machen, ist aktuell ein größerer Internetauftritt geplant.
Sendung: hr-iNFO, Aktuell, 09.11.2023, 12:45 Uhr
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