Von digitalen Gedenkräumen bis zu KI-Gesprächen Wie das Internet die Trauer verändert
Mal ist es ein virtueller Gedenkraum, mal die Facebook-Seite eines Verstorbenen: Trauer wird immer digitaler. Sogar Chats und Videocalls mit Toten sind dank KI möglich. Wissenschaftler aus Darmstadt und Tübingen untersuchen jetzt das digitale Erinnern – und seine Gefahren.
Mandys Gedenkraum ist groß, hell und lichtdurchflutet. Die Wände sind aus Beton, durch ein offenes Oval in der Decke scheint Sonnenlicht herein. In der Mitte des Raums wächst ein Baum mit roten Blättern, überall schweben Fotos aus ihrem Leben.
Geschafffen haben den Raum der Fuldaer Markus Traber, Lilli Berger aus Kassel und Entwicklerin Jennifer Beitel aus Bad Nauheim (Wetterau) – nicht in echt, sondern virtuell.
Während ihrer Masterarbeit an der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam beschäftigte Beitel sich mit digitalen Trauermöglichkeiten. In ihr reifte die Idee für eine Anwendung, mit der Menschen auf kreative Art ihre Trauer verarbeiten können.
Zu Besuch im eigenen Gedenkraum
Auf Instagram lernte sie damals Mandy kennen. Die schwer herzkranke Frau teilte dort bis zu ihrem Tod ihre letzte Lebensphase mit tausenden Followern.
"Mandy war als ehemalige IT-Projektmanagerin total offen gegenüber neuen Technologien", erinnert sich Jennifer Beitel. "Ihr gefiel die Idee, ihrer Instagram- Community einen Gedenkraum zu hinterlassen."
Als die Zusammenarbeit 2021 begann, war Mandy bereits im Hospiz. "Sie hat selbst die Bilder für den Gedenkraum zur Verfügung gestellt und ihn sogar noch betreten", erzählt Beitel. "Sie war sehr berührt. Er hat ihr gut gefallen."
Studie zum digitalen Erinnern
Ob virtuelle Gedenkräume, digitale Kondolenzbücher oder die online gebliebene Facebook-Seite einer verstorbenen Person: Trauer wird immer digitaler.
Ein Team von Forschern und Forscherinnen der Universität in Tübingen und des Frauenhofer Instituts in Darmstadt untersucht derzeit die Entwicklung des digitalen Erinnerns.
In der Studie "Edilife" befassen sich die Wissenschaftler etwa mit Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens. Auch Anwendungen zum Kommunizieren mit den Toten sind demnach immer verbreiteter.
Trauer in Abo-Form
"Dahinter steckt die Idee, dass eine Künstliche Intelligenz (KI) mit Kommunikationsdaten von Verstorbenen trainiert wird, bis sie den Sprachstil des oder der Verstorbenen nachahmen kann", erklärt Wissenschaftler Martin Hennig.
Mit dem verstorbenen Ehepartner zu chatten, als wäre er noch da oder sich sogar regelmäßig in Videocalls mit dem Avatar der toten Mutter unterhalten, ist auch jetzt schon möglich.
Start-ups vorwiegend aus dem US-amerikanischen Raum bieten diese Dienstleistungen in Abo-Form an – und verdienen daran. "Wir wollen mit der Studie für das Thema sensibilisieren und aufzeigen, wo Grenzen gezogen werden müssten", sagt Martin Hennig.
Interaktion statt Abschluss
Der Wissenschaftler bemüht das Bild des ummauerten Friedhofs. Der sei schließlich auch ein Gedenkort, den man sich nicht in einem Umfeld von Pop-ups und Werbebannern vorstellen könne.
Außerdem bestehe unter Experten die Sorge, die Trauernden könnten durch den Gebrauch von Chatbots oder Avataren Schwierigkeiten haben, mit dem Tod einer Person abzuschließen. "Weil ich nicht nur im Modus des Erinnerns bin, sondern im Modus einer realen, simulierten Interaktion", so Hennig.
Wie der Gang ans Grab
Dirk Pörschmann, Direktor des Museum für Sepulkralkultur in Kassel, findet es dagegen normal, dass moderne Technik zum Gedenken genutzt wird. Das habe es in der einen oder anderen Form schon immer gegeben, sagt er und erinnert an Post-mortem-Fotografien.
"In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Tote, vor allem verstorbene Kinder, so fotografiert, als würden sie noch leben", sagt Pörschmann. "Da steht die tote 12-jährige Tochter neben ihrer Mutter."
Der Museumsleiter sieht durchaus positive Effekte auf den Trauerprozess und vergleicht das Chatten oder Videotelefonieren mit dem realen Gang ans Grab. "Das tut mir genauso weh."
Frühzeitig Vorkehrungen treffen
Der Schmerz habe aber auch "eine transformatorische Kraft", findet Pörschmann. Indem man die Verlusterfahrung immer wieder durchlebe, könne man einen Umgang damit finden.
Er plädiert dafür, sich schon zu Lebzeiten zu fragen, ob man selbst für seine Nachkommen als Avatar oder Chatbot zur Verfügung stehen möchte. "So banal das klingt: Die einzige Gewissheit ist, dass wir irgendwann sterben werden." Das sollte man akzeptieren, meint Pörschmann – und Vorkehrungen dafür treffen.
Kein Ersatz für Trauerfeier
Mandy hat die virtuelle Welt für sich genutzt. Menschen aus aller Welt konnten sich in dem Gedenkraum mit dem roten Baum von ihr verabschieden. Eine reale Trauerfeier sollte das aber nicht ersetzen, sagt Entwicklerin Jennifer Beitel.
Er sei viel mehr als Ergänzung zu sehen. "Digitale Lösungen werden niemals den menschlichen Aspekt ersetzen, dass wir einander nahe sind und uns umarmen." Ein Jahr nach Mandys Tod ging der Gedenkraum offline – so, wie sie es sich gewünscht hat.