36 Jahre nach Grubenunglück in Borken Rettungsgondel auf Mülldeponie wieder aufgetaucht
Eine Rettungsgondel hat sechs Bergmännern beim Grubenunglück im nordhessischen Borken einst das Leben gerettet - danach verschwand sie. Jetzt hat sie ein Museumsleiter durch einen Zufall wieder entdeckt. Eine kuriose Spurensuche.
Jahrelang stand die Rettungsgondel von Stolzenbach einsam in der Lagerhalle einer Mülldeponie, nur einmal im Jahr wurde sie für Wartungsarbeiten hervorgeholt. Dabei hat die knallrote Gondel für viele Betroffene eine große Bedeutung: Beim größten Unglück im deutschen Braunkohlebergbau mit 51 Toten hat sie vor 36 Jahren sechs Menschen das Leben gerettet.
Nachdem das Kohlebergwerk in Borken (Schwalm-Eder) am 1. Juni 1988 von einer Kohlestaubexplosion erschüttert wurde, waren die 57 verschütteten Bergleute nur schwer zu erreichen. Die Gondel beförderte schließlich sechs Kumpel aus einem Nebenstollen an die Oberfläche. Deshalb sei der Fund eine Sensation, sagt Historiker Ingo Sielaff, der seit 2012 das Braunkohle-Bergbaumuseum in Borken leitet.
66 Stunden in der Dunkelheit
"Für mich ist diese Gondel der Weg in die Freiheit, von der Todesangst in den neuen Lebensmut", erzählt der Museumsleiter. "Die Gondel konnte die Menschen ans Tageslicht bringen. Das war für sie wie eine neue Geburt."
Die Grube Stolzenbach war eine der wenigen weltweit, in denen Braunkohle unter Tage abgebaut wurde. Um die Kohle abzubauen und stillgelegte Stollen kontrolliert zum Einsturz zu bringen, wurde im Berg regelmäßig gesprengt.
Eine dieser Sprengungen ging schief: Sechs Sprengladungen sollten einen stillgelegten Stollen einstürzen lassen. Fünf davon zündeten wie geplant, die sechste aber erst verspätet und im aufgewirbelten Kohlestaub. Der dadurch erzeugte Feuerball raste daraufhin durch die Tunnel, befeuerte sich immer wieder selbst und wurde zur "Explosionswalze".
Wie hr-Recherchen im Jahr 2008 ergaben, war die Gefahr durch Braunkohlefeinstaub schon 21 Jahre zuvor bekannt gewesen. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand.
Wieso ist die Grube explodiert?
Die Grube Stolzenbach war eine der wenigen weltweit, in denen Braunkohle unter Tage abgebaut wurde. Um die Kohle abzubauen und stillgelegte Stollen kontrolliert zum Einsturz zu bringen, wurde im Berg regelmäßig gesprengt.
Eine dieser Sprengungen ging schief: Sechs Sprengladungen sollten einen stillgelegten Stollen einstürzen lassen. Fünf davon zündeten wie geplant, die sechste aber erst verspätet und im aufgewirbelten Kohlestaub. Der dadurch erzeugte Feuerball raste daraufhin durch die Tunnel, befeuerte sich immer wieder selbst und wurde zur "Explosionswalze".
Wie hr-Recherchen im Jahr 2008 ergaben, war die Gefahr durch Braunkohlefeinstaub schon 21 Jahre zuvor bekannt gewesen. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand.
66 Stunden hatten die Männer in der eingestürzten Mine ausharren müssen. Manch einer habe in der Dunkelheit bereits mit seinem Leben abgeschlossen, so der Historiker. Denn nach der Explosion seien zwar die sogenannten Grubenwehren mobilisiert worden, die Anfangsphase der Rettungsaktion sei aber chaotisch abgelaufen.
Die Helfer mussten jeden Bereich des rund zwanzig Kilometer langen Tunnelsystems systematisch und mit Sauerstoffmasken absuchen. Doch erst im allerletzten Winkel war die Chance für die Überlebenden am größten, sagt Sielaff.
Rettung nur dank Gondel möglich
An dieser Stelle, auf einem Kornfeld über dem Ostfeld der Grube, hatten die Helfer ein Loch gebohrt, um Luft in die Grube zu lassen. Hier orteten sie mithilfe eines Mikrofones schließlich die Klopfgeräusche der Eingeschlossenen – der Hessische Rundfunk hatte dazu ein Richtmikrofon aus dem Studio Kassel herbeibebracht. Im nächsten Schritt kam die rote Gondel zum Einsatz. Es sei Glück gewesen, dass diese zu diesem Zeitpunkt an einem Ort in der Nähe gestanden habe, so Sielaff.
Der damalige Regierungspräsident hatte sie aus dem Nachbarort Wabern nach Borken bringen lassen. Danach verschwand die Gondel scheinbar spurlos – und ließ sich für das nach der Tragödie geschaffene Borkener Braunkohle-Bergbaumuseum nicht mehr ausfindig machen.
"Hey, Mann, ich glaube, ich habe die Rettungsbombe gefunden"
Vor einigen Tagen klingelte das Telefon von Museumsleiter Sielaff: "Hey, Mann, ich glaube ich habe die Rettungsbombe von Stolzenbach gefunden", zitiert Sielaff im hr-Gespräch den Anrufer. Sie stünde in einer Halle der Mülldeponie in Wabern-Uttershausen, so der Hinweis. Ein Besuch Sielaffs brachte dann Klarheit: Tatsächlich befindet sich die Gondel seit 36 Jahren auf der Deponie.
Ulrich Jäger ist dort Betriebsleiter und wusste die ganze Zeit um die Geschichte des Korbes in der Lagerhalle. Dass der Museumsleiter danach suche, war ihm aber nicht bekannt. Jäger begann seine Arbeit bei der Deponie im Jahr 1986 und verlud das Gerät damals sogar selbst, um es nach Stolzenbach zu bringen. Das Bergamt, dem die Deponie untersteht, hatte dem Regierungspräsidenten zuvor von der Gondel erzählt.
Einmal im Jahr im Einsatz
Die Begeisterung des Borkener Museumsleiters kann Jäger nachvollziehen. "Für die Region war das damals ein schwerer Schock", sagt er. "Ich kannte selbst zwei Menschen, die von dort geborgen worden sind, deswegen weiß ich, was das Gerät geleistet hat."
Die Frage, ob das Objekt nicht ins Museum gestellt werden könnte, habe er sich aber nie gestellt, sagt der Deponiechef. Dazu bräuchte die Anlage nämlich erstmal einen Ersatz – samt teurer TÜV-Zulassung. Bis heute erfüllt die Gondel in Wabern eine buchstäblich tragende Rolle: Mit ihr wird einmal im Jahr festgestellt, ob die Abwässer der Altdeponie in Ordnung sind. Dazu wird das Arbeitsgerät in einen fünfzig Meter tiefen Schacht hinabgelassen.
Im täglichen Gebrauch ist die Kapsel also gar keine "Rettungsbombe", mit denen eingeschlossene Bergleute an die Erdoberfläche gezogen werden können. Sondern eine Sicherheits- und Wartungsgondel, die als solche vermutlich noch jahrzehntelang in Wabern im Einsatz sein wird.
Redaktion: Bernhard Böth
Sendung: hr-fernsehen, maintower, 08.05.2024, 18 Uhr