99-Jähriger nicht verhandlungsfähig Früherer KZ-Wächter soll nicht vor Gericht
Ein mutmaßlicher ehemaliger SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen soll nicht vor Gericht. Das Landgericht Hanau hält den 99-Jährigen nicht mehr verhandlungsfähig. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.
Wie das Landgericht Hanau am Mittwoch mitteilte, hat es bereits am 6. Mai die Zulassung der Anklage gegen den mutmaßlichen früheren SS-Mann abgelehnt. Der 99-Jährige sei aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft verhandlungsunfähig.
Vor Gericht bringen wollte ihn die Staatsanwaltschaft Gießen. Sie wirft dem Mann in einer Anklage von August 2023 vor, von 1943 bis 1945 Aufseher im Konzentrationslager Sachsenhausen gewesen zu sein. Dort soll er in mindestens 3.322 Fällen Beihilfe zum Mord an Häftlingen geleistet haben.
Zweites Gutachten sieht schlechteren Zustand
Wegen des hohen Alters des Beschuldigten hatte die Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2022 ein Gutachten über seine Verhandlungsfähigkeit erstellen lassen. Dies kam zunächst zu dem Ergebnis, dass der Mann trotz eines stärker beeinträchtigten gesundheitlichen Zustands für zwei bis drei Stunden am Tag an Verhandlungen teilnehmen könne.
Empfohlen wurde auch, für eine mögliche Hauptverhandlung ein zweites Gutachten einzuholen. Dieses wurde laut Landgericht im Oktober 2023 beauftragt. Es sei zu dem Schluss gekommen, dass sich der Zustand des 99-Jährigen weiter verschlechtert habe und eine Verhandlungsfähigkeit nicht mehr bestehe. Dieser Einschätzung sei man nun gefolgt, so das Gericht.
Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Gießen am Donnerstag sofortige Beschwerde ein. Sie gehe - entgegen dem Gutachten - von einer zumindest eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten aus. Für die Entscheidung ist nun das Oberlandesgericht Frankfurt zuständig.
Kontakt zu Häftlingen und Mitwirkung am Lagergeschehen
Der Anklage zufolge hatte der 99-Jährige als Angehöriger eines SS-Totenkopf-Wachbataillons die Häftlinge bewacht. Auch mit der Bewachung von Häftlingstransporten und der Überführung von Häftlingen vom Bahnhof in das Hauptlager sei er beauftragt worden.
Über den Zustand der KZ-Häftlinge muss der Mann laut Anklage Bescheid gewusst haben, da er einen direkten Einblick ins Lagergeschehen gehabt habe. Er habe zum reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung beigetragen, und das sei ihm bewusst gewesen.
Über die Zulassung des Verfahrens hat die Jugendstrafkammer des Landgerichts Hanau entschieden, weil der Beschuldigte zur Zeit der ihm vorgeworfenen Taten 18 bis 20 Jahre alt war und damit als Heranwachsender galt.
Redaktion: Martin Pesch
Sendung: hr-iNFO, 26.06.2024, 19 Uhr