Autobahn durch Dannenröder Forst Verkehrsfreigabe für umstrittenes A49-Teilstück kommt bald
In Kürze komplettiert ein neues Autobahn-Teilstück die A49 in Mittelhessen. Dort, wo sich vor vier Jahren Demonstranten, Waldbesetzer und die Polizei im Dannenröder Forst einen erbitterten und kostspieligen Konflikt lieferten. Ein Rückblick und Ausblick.
Nach langen und aufsehenerregenden Protesten von Umweltschützern im Dannenröder Forst gegen den umstrittenen Ausbau der Autobahn 49 (Gießen-Kassel) in Mittelhessen steht in Kürze die Verkehrsfreigabe bevor. Die Projektgesellschaft Deges will den Abschnitt im Dezember in Betrieb nehmen. Eine genauer Termin steht aber noch nicht fest, wie eine Sprecherin auf hr-Anfrage sagte.
Rund vier Jahre, nachdem die letzten Bäume in Wäldern gefällt wurden bei großangelegten, von der Polizei bewachten Rodungen für die Autobahntrasse, steht das Verkehrsprojekt vor der Fertigstellung. Die Arbeiten seien im Zeitplan, sagte eine Sprecherin der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges).
Nach dem Abschluss der schweren Bauarbeiten geht es zum Abschluss nur noch um die Feinkosmetik. Letzte Fahrbahn-Markierungen und Beschilderungen werden angebracht, wie eine Sprecherin der Deges sagte.
Freigabe für 31-km-Teilstück der A49
Die Autobahn 49 soll Kassel und Gießen besser verbinden. Zudem sollen umliegende Straßen sowie die Autobahnen 5 und 7 entlastet werden. Zwischen der Anschlussstelle Fritzlar (Schwalm-Eder) und dem neuen Ohmtal-Dreieck im Vogelsberg gliedert sich die Strecke in vier Teilstücke und führt über rund 62 Kilometer.
Bereits in Betrieb ist die Strecke bis südlich von Schwalmstadt. Der etwa 31 Kilometer lange Lückenschluss von Schwalmstadt über die Anschlussstelle Stadtallendorf-Nord bis zum Ohmtal-Dreieck an der A5 steht nun bevor.
Ziel: Vernetzung von Wirtschaftsräumen
Der Autobahn-Abschnitt ist bedeutsam für die Landes- und Regionalplanung, wie das Verkehrsministerium in Wiesbaden erklärte. Die A49 solle die Wirtschaftsräume Kassel und Gießen und andere größere Städte vernetzen. Profitieren werde zum Beispiel Stadtallendorf (Marburg-Biedenkopf) als Industrie-Standort mit seinen 13.000 Arbeitsplätzen.
Zudem würden die stark frequentierten Bundesstraße 254 und vor allem die B3 mit ihren aktuell hoch belasteten Ortsdurchfahrten von überregionalem Verkehr, von Lärm und Schadstoffausstoß entlastet, erklärte das Ministerium.
Umstrittenes Verkehrsprojekt
Gegen die Rodungen für den Autobahn-Weiterbau hatte es im Herbst und Winter 2020 massive Proteste von Umweltschützern gegeben. Sie sahen das Projekt im krassen Widerspruch zu einer umweltfreundlichen Verkehrswende und Klimapolitik. Der A49-Weiterbau wurde zu einem der umstrittensten Verkehrsprojekte Deutschlands.
Deswegen errichteten Klima-Aktivisten, die überregional und aus dem Ausland angereist waren, Hunderte von Barrikaden und Baumhäuser. So wollten sie die Arbeiten aufhalten. Einer der Schauplätze, an denen es zum Clinch zwischen Demonstranten und Polizei kam, war der Dannenröder Forst in Homberg/Ohm (Vogelsberg) - er wurde zum Symbol des Konflikts, bei dem es um mehr ging als ein paar Kilometer Autobahn.
Großaufgebot der Polizei im Einsatz
Nach dem Start der Räumungen Anfang Oktober war ein Großaufgebot der Polizei wochenlang damit beschäftigt, die Baumfällungen zu ermöglichen. Höhenkletterer holten die Demonstranten von den Bäumen und gespannten Seilen sowie aus Baumhäusern heraus und seilten sie ab.
Im Verlauf der Räumungen und Rodungen kamen es immer wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Die Klima-Aktivisten warfen der Polizei vor, unnötig und übertrieben gewaltsam vorzugehen. Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer kamen zum Einsatz.
Stahlkugeln, Steine und Flaschen flogen
Die Polizei beklagte ihrerseits massive Gewalt der organisierten Waldbesetzer-Szene. Einsatzkräfte seien teils mit Stahlkugeln aus Zwillen beschossen, mit Steinen, Flaschen und Fäkalien beworfen oder mit Pyrotechnik angegriffen worden. Rund 60 Beamtinnen und Beamte wurden während des Einsatzes verletzt.
Viele Aktivisten demonstrierten hingegen friedlich und passiv, indem sie auf Bäume kletterten oder in den Sitzstreik traten.
Hessens damaliger Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) war ein Gegner des Projekts. Er hielt den A49-Ausbau für falsch, wie er sagte. Das Projekt sei aber demokratisch beschlossen und höchstrichterlich bestätigt worden vom Bundesverwaltungsgericht.
Nach 68 Einsatztagen war Schluss
Am 8. Dezember 2020 beseitigte die Polizei nach 68 Einsatztagen die Überreste des letzten Protestcamps. An dem Tag fiel auch der letzte Baum in der knapp drei Kilometer langen Schneise durch den Dannenröder Forst.
Zuvor bereits waren im Herrenwald bei Stadtallendorf sowie im Maulbacher Wald bei Homberg Bäume gefällt worden. Insgesamt ging es um eine Rodungsfläche von rund 85 Hektar, 27 davon im besonders umkämpften Dannenröder Forst.
Einsatzkosten: mehr als 30 Millionen Euro
Um die Rodungen zu ermöglichen, betrieb die Polizei hohen Personalaufwand. Laut hessischem Innenministerium waren mehr als 100.000 Beamtinnen und Beamten vor Ort, auch aus anderen Ländern und von der Bundespolizei. Zeitweise begleiteten mehr als 2.000 Kräfte täglich die Rodungen. Dementsprechend hoch waren auch die Kosten: mehr als 30 Millionen Euro für Personal und Einsatzmittel laut Ministerium.
Die Konflikte rund um die A49 hatten auch ein weitreichendes juristisches Nachspiel, das selbst heute noch nicht abgeschlossen ist. Nach Angaben des Innenministeriums wurden etwa 1.500 Ordnungswidrigkeiten und fast 500 Straftaten von Einsatzkräften im Zusammenhang mit den Protesten und dem Großeinsatz angezeigt - es ging sogar später mitunter um den Verdacht des versuchten Totschlags.
Es gab etliche Gerichtsverfahren, die meisten gegen Klima-Aktivisten und Waldbesetzer. Teilweise mussten sich Demonstranten verantworten, weil sie sich von Autobahnbrücken abseilten und den Verkehr lahmlegten.
Aber auch Beamte mussten wegen ihrer Vorgehensweisen und Schlagstockeinsatz bei Räumungen Rechenschaft ablegen.
Kosten von 1,45 Milliarden Euro
Im März 2021 begannen dann die Bauarbeiten. Je zwei Fahrspuren pro Richtung wurden angelegt und knapp 40 Brücken gebaut. In Schwalmstadt wurde eine Autobahnmeisterei eingerichtet.
Die Kosten für den neuen Autobahn-Abschnitt betragen 1,45 Milliarden Euro, wie die Deges mitteilte. Darin enthalten seien aber nicht nur der Bau, sondern auch die Betriebskosten und die Aufwendungen zum Erhalt des Abschnitts - und das für 30 Jahre. "Das ist ein Pauschalbetrag. Die Baukosten werden nicht einzeln ausgewiesen", sagte eine Deges-Sprecherin.
Bürgermeisterin hofft auf Aufschwung durch A49
Die Bürgermeisterin vom Homberg/Ohm (Vogelsberg), Simke Ried (CDU), hofft, dass die rund 7.500 zählende Stadt von der Autobahn profitieren wird. Die Stadt verzeichnet bereits einen leichten Zuzug - das könnte dank der künftig besseren Anbindung für Pendler nach Nordhessen und ins Rhein-Main-Gebiet noch zunehmen, glaubt sie.
Und auch wirtschaftlich rücke die Region jetzt stärker in den Fokus, sagt die Rathaus-Chefin. Ablesen lasse sich das am geplanten neuen Gewerbegebiet von Homberg. Dort sollen neben einheimische Betrieben auch überregionale Firmen zum Zuge kommen.
Zudem könnte der Tourismus profitieren - die Gegend ist bei Wanderern beliebt, es brauche allerdings noch Übernachtungsmöglichkeiten, um etwa auch Urlauber auf der Durchreise anzuziehen, sagt die Bürgermeisterin. "Wenn wir die Autobahn schon haben, dann will ich auch, dass wir was daraus machen."