ADHS-Therapie auf dem Board Skaten statt Ritalin soll Aufmerksamkeit von Kindern schärfen
Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität sind die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Der Verein Skate-Aid Odenwald will Sport als Alternative zu Pillen testen.
"Nach dem Skaten wackele ich nicht mehr so mit meinen Beinen und kann auch ruhiger sitzen", erzählt Joshua. Er besucht die fünfte Klasse und wurde diagnostiziert mit ADHS. "Ich skate gerne, weil es Bewegung ist. Man kann sich gut austoben, neue Tricks lernen. Am meisten gefällt es mir, die Rampen runterzufahren."
Joshua ist eines von 16 Kindern aus dem ganzen Odenwaldkreis, die in die Erwin-Hasenzahl-Halle in Michelstadt gekommen sind. Beim freien Training des Vereins Skate-Aid können sie lernen, das Gleichgewicht zu halten und sich auf dem Skateboard zu bewegen.
Die Halle wird dafür zum Skate-Park umfunktioniert, es geht um Selbstbestimmung und Spaß. Dieses Angebot richtet sich an alle Kinder – ob mit ADHS, oder ohne.
Skate-Aid auch im Odenwald
Gegründet wurde Skate-Aid 2009 vom "Vater der deutschen Skateboard-Szene", Titus Dittman. Mittlerweile ist die Marke auf der ganzen Welt vertreten. Seit März 2024 gibt es Skate-Aid auch im Odenwald.
Die Vereinsvorsitzenden Anika Gross und Maic Brechner sind seitdem mit Rampen, Knieschonern und Skateboards im ganzen Landkreis unterwegs, um Kinder von dem Sport zu überzeugen.
Besonderes Angebot für Kinder mit ADHS geplant
Mit dem geplanten Projekt "Skaten statt Ritalin" will Skate-Aid Odenwald nun einen nächsten Schritt für den Verein einleiten und sich auf die Behandlung von Kindern mit ADHS und anderen sogenannten hyperkinetischen Störungen konzentrieren.
Besonders im ländlichen Bereich gäbe es dafür großen Bedarf, erklärt Anika Gross, die auch als Sozialpädagogin arbeitet. "Kinder mit einer Diagnose haben im Odenwald wenig Anlaufpunkte. Wir kämpfen mit der Abwanderung von Ärzten und Therapeuten auf dem Land und brauchen solche therapeutischen Angebote." Das Skaten setze dort an und schaffe eine neue wichtige Freizeitaktivität für diagnostizierte Kinder.
Ritalin und Aufmerksamkeitstraining
Ein klassisches Therapieangebot bei ADHS sieht eine Behandlung mit dem Medikament Ritalin vor. Der Arzneistoff hilft den Kindern, sich besser zu konzentrieren.
Sich einzig und allein auf das Medikament zu stützen, sieht Psychologe Oliver Weger jedoch als problematisch. "Ritalin ist erwiesenermaßen wirksam", betont er. Es gebe aber ein hohes Missbrauchspotenzial und Alternativen zu den Pillen seien wichtig.
"Kinder mit ADHS können auch von anderen Behandlungsansätzen profitieren. Wenn man das Problem im Kern angehen möchte, dann ist ein Aufmerksamkeitstraining notwendig".
Skaten hilft, den Fokus zu halten
Ein solches Aufmerksamkeitstraining finden Kinder auf dem Skateboard, sagt Maic Brechenser. Durch das Skaten werde die Aufmerksamkeit auf einen Punkt gebündelt: Auf das Gleichgewicht, die Fußstellung oder den Trick.
Teamsportarten seien eher nichts für Kinder mit ADHS, sagt Anika Gross. "Im Fußball oder im Handball gibt es klare Linien. Das ist für Kinder mit ADHS oft ein Problem. Sie können sich nicht auf ein Elfmeterschießen konzentrieren oder warten bis sie den Ball wieder haben."
Beim Skaten bleibe wenig Raum, sich auf anderes zu konzentrieren und sich ablenken zu lassen. Der Verein verweist diesbezüglich auf eine Studie der Universität Münster. Demnach verbessere Skaten die motorischen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten bei Kindern mit ADHS.
Kinder- und Jugendklinik unterstützt das Projekt
Auch die Kinder- und Jugendklinik in Riedstadt unterstützt den Verein und sieht in dem Konzept einer Skate-Therapie einen möglichen Behandlungsansatz.
Der nicht leistungsorientierte und elternfreie Erlebnisraum fördere die Körperwahrnehmung und das Selbstwirksamkeitserleben und trainiere dadurch die Selbstregulation und Frustrationstoleranz.
"Durch das Skaten lässt mein ADHS nach"
Bei Lenny und Joshua, die beide mit der Diagnose ADHS leben, greift das Konzept. Beim Skaten in Michelstadt komme er zur Ruhe, sagt Joshua. "Das ist immer ein gutes Gefühl. Ich spüre das so richtig, wenn das Training vorbei ist", sagt er.
Auch Lenny, der die dritte Klasse besucht, kämpft oft mit der Unaufmerksamkeit. Für ihn fühle sich so an, als hätte er seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle, erzählt er. "Aber durch das Skaten lässt mein ADHS nach." Es komme dann zwar schnell zurück. "Aber dann gehe ich auch wieder skaten."
Projekt ist auf Spenden angewiesen
Kindern wie Lenny und Joshua wollen die Vereinsvorsitzenden von Skate-Aid Odenwald helfen. Mit "Skaten statt Ritalin" wollen sie ihr Angebot erweitern. Es soll bis zu fünfmal die Woche Trainings im ganzen Odenwaldkreis speziell für betroffene Kinder geben.
Die Zusammenarbeit mit Ärzten und Therapeuten soll enger ablaufen. Der Betreuungsschlüssel soll gesenkt werden, damit sie sich intensiver mit den Kindern befassen können. Für die Finanzierung des Projektes werden derzeit Spenden gesammelt.
Freies Training soll die Zeit bis zum Projektstart überbrücken
Bis die Finanzierung steht, sind Kinder mit dem Aufmerksamkeits-Defizit im Odenwaldkreis weiterhin auf die freien Trainings des Vereins angewiesen.
Zu den freien Trainings darf jeder im Alter von sechs bis achtzehn Jahren erscheinen, ganz ohne Druck und ganz ohne Erwartungen, egal mit welchem Erfahrungsgrad auf dem Skateboard.