Ärger in Alsfeld Berühmtes Fachwerk-Denkmal verfällt und erhitzt die Gemüter

Das alte Fachwerkhaus der Stadtschreiber ist in Alsfeld ein Kulturdenkmal. Als Miniatur-Format ist es sogar international bei Modellbauern bekannt. In Wirklichkeit verfällt es aber und sorgt für Streit zwischen Stadt und Eigentümer.

Bildkombination: links Screenshot eines Webshops mit dem Foto eines Modellbauhauses, rechts verfallendes und abgestützes Fachwerkhaus in einer Altstadt.
Idealtypische Miniatur und traurige Realität: Das ehemalige Haus der Alsfelder Stadtschreiber verfällt in der Altstadt (rechts). Das mehr als 600 Jahre alte Haus gibt es für den Modellbau auch im Miniaturformat zu kaufen (links). Bild © Screenshot viessmann-modell.com, osthessen-news.de
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Passanten, die an dem Schandfleck in der Alsfelder Altstadt vorbeikommen, sind erschüttert. "Skandal", schimpft einer. Ein anderer Mann schüttelt den Kopf und sagt: "Es ist eine Katastrophe. Man kann es nicht verstehen." Die Rede ist von einem alten, immer weiter verfallenden Fachwerkhaus am Kirchplatz der Vogelsberg-Stadt. Dass Häuser zerfallen, kommt zwar landauf, landab vor. Aber dieses Gebäude ist eine Besonderheit.

Das schmale, mehrgeschossige Haus ist mehr als 600 Jahre alt und gilt als herausragendes Kulturdenkmal der Stadt, das über die Grenzen von Alsfeld hinaus Berühmtheit genießt. Denn es dient als Vorbild für ein Miniaturhaus, das zum Beispiel Modelleisenbahn-Fans kaufen können und in ihren Ensembles integrieren. In Katalogen heißt es "house at church square in Alsfeld" (Haus am Kirchplatz in Alsfeld).

Stolz und Stabilität sind dahin

Historisch betrachtet handelt es sich um die ehemalige Heimstätte der Stadtschreiber - der einst höchsten, dort ansässigen Beamten. Doch Stolz und Stabilität sind dahin. Das Haus mit der Nummer 10 am Kirchplatz fristet seit Jahren ein trauriges Dasein, wie zuletzt auch die Oberhessische Zeitung und Osthessen-News berichteten.

Es ist verwittert und verfallen. Die Balken sind marode. Es wirkt, als könnte die Bruchbude jeden Moment zusammenbrechen. Damit der Kollaps vermieden wird, hat der Vogelsbergkreis - bei dem die Bauaufsicht angesiedelt ist - gehandelt.

Stützen als notdürftige Hilfe

Weil der Eigentümer auf Aufforderung nicht reagierte, wurde das aus dem 14. Jahrhunderte stammende Gebäude von innen und außen notdürftig mit Brettern und Balken stabilisiert. Somit ist nun sicherer. Passanten müssen nicht fürchten, im Vorbeigehen etwas auf den Kopf zu bekommen.

verfallenes Fachwerkhaus Alsfeld
Ein Stützkonstruktion aus Holz soll das alte Haus vor dem Zusammenbruch bewahren. Bild © osthessen-news.de

Schöner ist es durch das Ständer-Gerippe aber nicht geworden. Es trübt das Stadtbild. Und darauf hält Alsfeld mit seinen über 400 Fachwerkhäusern aus mehr als sieben Jahrhunderten viel - besonders bekannt ist das Rathaus mit seiner Rähmbaukonstruktion.

Auch Bürgermeister Stephan Paule (CDU) hat sich mittlerweile eingeschaltet. "Leider ist das Gebäude seit Jahrzehnten in schlechten Händen, die es immer weiter haben verfallen lassen", sagt er. Und entgegen allen Beteuerungen habe der aktuelle Eigentümer keine Schritte unternommen, das Gebäude zu sanieren.

Vorwürfe vom Bürgermeister

Paule wirft dem Eigentümer sogar "betrügerisches Gebaren" vor: "Es ist seine Schuld, dass ein wichtiges Kulturdenkmal auf diese Art und Weise verkommt." Eine Zwangsversteigerung sollte im Sommer die Wende bringen. Doch der Eigentümer erschien plötzlich auf der Bildfläche und sorgte mit einem Gebot dafür, dass das Gebäude nicht den Besitzer wechseln konnte. Alles blieb, wie es ist - wieder Stillstand.

verfallenes Fachwerkhaus Alsfeld
Seit Jahren steht das Haus leer und wartet auf eine Sanierung. Bild © osthessen-news.de

Der Eigentümer heißt Günther Gräff. Der 86 Jahre alte Jurist lebt nahe dem Starnberger See in Bayern. Er hat das Haus im Jahr 2014 erworben. Seine Großmutter sei in Alsfeld geboren worden, und er schätze das Haus sehr, sagte er hessenschau.de. Er habe vor Jahren eine Kunstsammlung dort unterbringen wollen. Doch daraus wurde offenbar nichts.

Bürgermeister Paule nennt den Eigentümer einen "Immobilien-Messi", der alte Gebäude erwerbe, dann aber nichts Vernünftiges mit ihnen anstelle. Auf Nachfrage bestätigte Gräff, dass er noch weitere Immobilien in Dresden besitze.

Für Sanierung fehlt Geld

Die erhobenen Vorwürfe hält Gräff für ungerechtfertigt. Er wolle das Haus am Kirchplatz herrichten lassen. Doch derzeit fehle ihm Geld. Er müsse erst noch andere Immobilien verkaufen, bevor er tätig werden könne. Und er suche private Investoren. Geldgeber dürften aber schwer zu finden sein. Denn laut Bürgermeister Paule liegt der Verkehrswert des Hauses bei null.

Das nächste Problem ist laut Eigentümer Gräff: Er könne nicht sanieren, wenn er nicht wisse, wie viel das Projekt koste. Er benötige die Expertise von Fachleuten, die ihm die Kosten skizzierten. Doch die seien derzeit schwer zu finden. Laut der Stadt Alsfeld dürfte eine Sanierung etwa 1,5 Millionen Euro kosten.

verfallenes Fachwerkhaus Alsfeld
Die Bausubstanz des Hauses ist in schlechtem Zustand. Eine Sanierung soll um die 1,5 Millionen Euro kosten. Bild © osthessen-news.de

Demo mit Grablichtern geplant

Das Hin und Her zwischen Stadt und Hauseigentümer beobachtet Jan-Patrick Wismar ungläubig staunend. Der Fachwerk-Fan aus Marburg setzt sich für den Erhalt historischer Bauten ein. Er hat auf Facebook eine Gruppe gegründet, die sich für eine Rettung des Kultur-Denkmals stark macht.

Am 10. Januar wollen Wismar und seine Mitstreiter Aufmerksamkeit erzeugen und eine Demo veranstalten - mit Grablichtern vor dem Haus. In Gießen hat soviel Engagement schon einmal etwas bewegt. Sie machten auf die Alte Post aufmerksam, die ebenfalls zu verfallen drohte. Mittlerweile ist in das historische Gebäude mit mehreren Mietern wieder Leben eingekehrt.

Weitere Informationen

Sendung: hr4, 07.12.2022, 15.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Michael Pörtner