Ambulante Operationen in Kronberger Zahnarztpraxis Anästhesist wegen Tod eines vierjährigen Mädchens vor Gericht
Ein vierjähriges Mädchen starb 2021 nach einer Behandlung in einer Zahnarztpraxis in Kronberg. Der zuständige Narkosearzt muss sich deswegen nun vor Gericht verantworten. Ihm wird auch noch in weiteren Fällen gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Kritiker führen solche Fälle auf strukturelle Mängel zurück.
Ein abgebrochener Zahn wurde der vierjährigen Emilia zum Verhängnis. Der angeklagte Anästhesist hatte das Mädchen Ende September 2021 vor einer Zahnbehandlung in seiner Praxis in Kronberg betäubt. Emilia erlitt aufgrund eines verunreinigten Narkosemittels eine Blutvergiftung, sie überlebte die Behandlung nicht. Drei weitere Kinder sollen bei der Behandlung einen septischen Schock erlitten haben. Sie mussten ins Krankenhaus.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft geht zudem davon aus, dass der Narkosearzt nur wenige Wochen vor dem tödlichen Zwischenfall in derselben Praxis schon einmal bei einem Kind hohes Fieber verursacht hat. Ob dabei auch verunreinigtes Narkosemittel die Ursache war, ließ sich nicht mehr nachweisen. Auch dieser Fall wurde angeklagt.
Der Anästhesist muss sich deshalb seit Montag vor dem Landgericht Frankfurt wegen Körperverletzung mit Todesfolge in der Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen verantworten. Die ursprünglich eingeleiteten Ermittlungen gegen die Betreiberin der Zahnarztpraxis wurden eingestellt.
Keine offizielle Statistik zu Todesfällen bei ambulanten Operationen
Der Fall in der Kronberger Praxis ist kein Einzelfall. Ebenfalls im Jahr 2021 starb in Hessen ein dreijähriger Junge nach einer Polypenentfernung in einer HNO-Praxis in Kassel. Im Aufwachraum war es bei dem Jungen zu Komplikationen mit den Atemwegen gekommen. Er starb an mangelnder Sauerstoffversorgung des Hirns, auch eine von einem Arzt eingeleitete Reanimierung konnte ihn nicht retten.
Wie oft ambulante Operationen in Arztpraxen durch verunreinigte Narkosemittel oder Sauerstoffmangel nach der Narkose tödlich enden, kann niemand sagen. Eine offizielle Statistik wird darüber – anders als bei Narkosezwischenfällen in Krankenhäusern – in Deutschland nicht geführt.
Eltern im Aufwachraum allein gelassen
Auch wenn Narkosen bei gesunden Kindern sehr sicher seien, könne es zu Komplikationen bei Kindern kommen, sagt Christiane Beck. Sie ist Sprecherin des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie (Wakka) der Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Das höchste Risiko läge bei Kindern bis zu vier Jahren. Wenn es zu Komplikationen kommt, seien es häufig Probleme mit der Sauerstoffversorgung nach der Narkose.
Weil die Atemwege der Kinder anatomisch klein sind, reicht laut der Expertin oft eine geringe Schwellung, um die Atemwege zu verlegen. "Wichtig sind das schnelle Erkennen der Komplikation und ihre sofortige Behandlung", so Beck.
Doch dafür gibt es bei ambulanten Operationen oft kein Personal. Außerdem sparen Ärzte an technischen Geräten, die bei einer Unterversorgung des Kindes mit Sauerstoff Alarm schlagen. Eltern werden im Aufwachraum der Praxen oft mit ihren Kindern allein gelassen und sind mit dem Erkennen lebensgefährlicher Situationen überfordert.
Experte: Manche Ärzte wollen ein paar Euro sparen
Uwe Schulte-Sasse sieht darin keine schicksalhaften Einzelfälle, sondern ein trauriges Muster, dessen Ursache in einer "Billigproduktion" in Arztpraxen liege. Als erfahrener Anästhesist war Schulte-Sasse in mehreren Gerichtsverfahren nach Todesfällen von Kindern als Gutachter tätig.
Dabei stellte er fest, dass viele Fälle einem Muster folgten. Um ein paar Euro zu sparen, missachten Anästhesisten Standards bei der Narkoseführung, bei der Überwachung der Patienten oder, zum Beispiel, wenn sie eine Flasche Propofol auf mehrere Patienten aufteilen. Das passierte wiederholt bei Kindern, die weniger Narkosemittel brauchen als Erwachsene - und weil es für sie keine kleineren Flaschen gab, müssten die Ärzte einen Rest wegwerfen.
Idealer Nährboden für Bakterien
Doch die Sparsamkeit kann an dieser Stelle leicht gefährlich werden, warnt der Experte: "Propofol muss man sich wie Kartoffelsalat vorstellen, der in einer fetthaltigen Emulsion schwimmt. Das ist ein idealer Nährboden für Bakterien."
Deshalb dürfe man aus medizinischer Sicht Narkosemittel nicht mehrfach aus derselben Flasche ziehen, betont Schulte-Sasse. Das Risiko einer Verunreinigung sei zu groß - und damit die Gefahr, Bakterien direkt ins Blut der Patienten zu injizieren.
Milde Justiz bleibt ohne Abschreckungseffekt
Jahrzehntelang hat die Justiz solche Fälle meist als fahrlässige Tötung mit Geldstrafen belegt. Ärzte haben ihre Strafe bezahlt und konnten weiter in ihrem Beruf arbeiten.
Doch mehrere höchstrichterliche Urteile in den letzten Jahren weisen in eine andere Richtung. Mit dazu beigetragen haben Eltern, die jahrelang dafür gekämpft haben, dass Ärzte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. So wie die Mutter eines 2007 in Hamburg gestorbenen Jungen. Ihr damals neunjähriger Sohn war nach einer Bagatell-OP in einer Hamburger HNO-Praxis gestorben, weil der Arzt ihn im Aufwachraum nicht ausreichend überwacht hatte.
Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen immer wieder ein. Die Mutter zog vor die höchsten Gerichte, um eine Anklage zu erzwingen. Vor wenigen Wochen bestätigte der Bundesgerichtshof eine Verurteilung des Hamburger HNO-Arztes wegen Körperverletzung mit Todesfolge als rechtskräftig. 17 Jahre nach dem Tod des Jungen.
Richter: Prozess in Frankfurt könnte abschreckende Wirkung haben
Nach Ansicht von Tim Neelmeier, Richter für Medizinrecht in Schleswig-Holstein, verhindern milde Strafen der Justiz ein Umdenken bei Ärzten. "Es geht nicht darum, Ärzte für Kunstfehler zu bestrafen, denn Fehler können jedem passieren." Es gehe um Fälle, bei denen Ärzte "schon vor Beginn der Behandlung wissen, dass sie die medizinischen Standards nicht einhalten werden". Sei es, weil sie Narkosemittel mehrfach aus derselben Flasche zapfen oder die Vitalfunktion der Kinder im Aufwachraum nicht ausreichend überwachen.
Die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolgen bei dem heute in Frankfurt beginnenden Prozess ist seiner Meinung nach geeignet, "eine abschreckende Wirkung zu entfalten". Damit andere Ärzte wüssten: "Niemand darf wissentlich Patienten einer vorhersehbaren Lebens- oder Gesundheitsgefahr aussetzen", so Neelmeier.