Virale Fake-News auf Instagram Das steckt wirklich hinter der angeblichen Gruppenvergewaltigung in Frankfurt
Ein Instagram-Video über eine angebliche Gruppenvergewaltigung in Frankfurt geht viral. Fast alles an der Geschichte ist erfunden. Doch das scheint tausende Kommentatoren nicht weiter zu kümmern.
Es ist nicht weniger als eine Horror-Geschichte, die sich derzeit auf Instagram verbreitet. Erzählt von einer KI-Frauenstimme: Eine 18 Jahre alte Frankfurterin verabredet sich über eine Dating-App mit einem Mann. Doch statt Romantik erwartet sie ein Martyrium.
Sie wird von ihm und einem Mittäter überwältigt und in eine Wohnung gezerrt. Dort, so verkündet die KI-Stimme, wird der Frau eine "lähmende Flüssigkeit" verabreicht, ehe sie über Stunden vergewaltigt und gefoltert wird. Die angeblichen Täter: zwei Afghanen.
Rassistische Parolen in den Kommentaren
Seine Wirkung verfehlt das knapp einminütige Video nicht. In den zwei Wochen seit seiner Erstellung wurde es fast 11.000 mal geliked. Mehr als 4.000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt, das Video zu kommentieren - und damit die Reichweite des Beitrags weiter zu erhöhen. Neben rassistischen Parolen finden sich in den Kommentaren auch immer wieder Aufrufe zur Wahl der AfD.
Mehreren hunderttausend Instagram-Nutzern wurde das Video bereits angezeigt. Das Problem: Der Inhalt des Videos ist ungefähr so real wie die KI-Stimme der Erzählerin. Als erstes hatte die Frankfurter Rundschau hierüber berichtet.
Ein Fall bis zur Unkenntlichkeit verzerrt
Man kann dem oder den Machern des Videos vieles nachsagen, nur nicht, dass sie sich sonderlich Mühe gegeben haben. Der Beitrag wird mit den immer selben Bildern von Polizisten im Frankfurter Bahnhofsviertel illustriert.
Die Untertitel strotzen vor Rechtschreibfehlern und die computergenerierte Frauenstimme trägt die "Horrorgeschichte" aus Frankfurt so leidenschaftslos vor, als würde sie die Anleitung eines Elektrogeräts vorlesen.
Doch in den Augen zahlreicher Kommentatorinnen und Kommentatoren tut dies der Glaubwürdigkeit keinen Abbruch.
Zumal der oder die Macher des Instagram-Videos eine in den Sozialen Medien weit verbreitete Taktik anwenden: Auf einem wahren Kern aufbauen, um diesen dann ohne Rücksicht auf Fakten zu entstellen.
Das ist wahr an der Geschichte im Video
Wahr ist, dass eine zum Zeitpunkt der angeblichen Tat 18-Jährige behauptet, bereits Mitte 2021 von zwei jungen Männern afghanischer Herkunft zu sexuellen Handlungen genötigt und vergewaltigt worden zu sein.
Wahr ist auch, dass dies in Frankfurt stattgefunden haben soll - im Stadtteil Sossenheim um genau zu sein. Im Dezember 2024 wurde der Fall vor dem Amtsgericht Wiesbaden verhandelt. Alle anderen Details sind schlicht erlogen.
Grausame Details erfunden, Freispruch verschwiegen
Denn weder fand die Tat in einer Wohnung statt noch wurde dem Opfer eine "lähmende Flüssigkeit" verabreicht. Auch von Folter war in der Anklage nicht die Rede.
Der Empörungs-Post auf Instagram dichtet grausame Details hinzu, und lässt ganz nebenbei eine entscheidende Information weg: Die beiden Angeklagten wurden freigesprochen.
Nach Auskunft des Wiesbadener Amtsgerichts handelte es sich um einen "deutlichen Freispruch". Der Vorsitzenden Richterin seien erhebliche Zweifel an der Schilderung der Angeklagten gekommen, weil sie dieser "nicht im vollen Umfang habe folgen" können, erklärte eine Sprecherin des Gerichts auf hr-Anfrage. Im Vorfeld habe es eine "Vorverurteilung" der Angeklagten gegeben, die so nicht hätte stattfinden dürfen.
Alkohol am Weiher in Sossenheim
Was tatsächlich am 13. Juni 2021 passiert ist, lässt sich auch vor Gericht nicht eindeutig klären. Das Opfer im Strafprozess behauptete, einen der Angeklagten über eine Dating-App kennengelernt und sich mit ihm und dem zweiten Angeklagten an einem Weiher in Frankfurt-Sossenheim verabredet zu haben.
Dort habe man gemeinsam Alkohol getrunken, ehe sie von einem der Angeklagten in ein Gebüsch gedrängt worden sei. Dort habe er sie zu sexuellen Handlungen gedrängt. Anschließend sei sie von dem zweiten Angeklagten vergewaltigt worden. Beide Angeklagten bestritten die Tat. Die sexuellen Handlungen seien einvernehmlich gewesen, behaupteten sie.
Bild-Bericht als Grundlage
Diese Version des Geschehens schilderte die mittlerweile 21 Jahre alte Frau auch einer Reporterin der Bild-Zeitung. Der Bericht des Boulevard-Mediums dürfte den unbekannten Erstellern des Videos als Instagram-Videos als Grundlage gedient haben.
Denn in dem Anfang Oktober 2024 erschienenen Artikel wurde statt des tatsächlichen Namens des mutmaßlichen Opfers ein Synonym verwendet: Sina. Derselbe Name wie im Hetz-Video auf Instagram.
Vorgehensweise wie bei Desinformationskampagnen
Das Innenministerium in Wiesbaden bestätigte derweil auf hr-Anfrage, dass das Video und die dazugehörige Hintergrundgeschichte der Polizei bereits bekannt sind. Zum Ersteller und dem Verbreitungsgrad könnten jedoch keine Angaben gemacht werden.
Nach Einschätzung des Ministeriums seien bei dem Video zwar weder "ein extremistischer Inhalt oder eine gezielte Einflussnahme auf die Bundestagswahl" offenkundig, es sei aber davon auszugehen, dass einzelne Akteure im Vorfeld der Wahl verstärkt Desinformation verbreiten.
Das Instagram-Video über die angebliche Gruppenvergewaltigung entspreche jedoch einer hier üblichen Vorgehensweise: "Aufgreifen von aktuellen Themen in Verbindung mit Falschinformationen mit dem Ziel, die Bevölkerung zu verunsichern und das Vertrauen in den Rechtsstaat zu schwächen", so die Einschätzung aus Wiesbaden.
Opfer-Anwalt ist empört
Empörung löst das Video derweil aber nicht nur bei "Multikulti-Gegnern" im Netz aus, sondern auch beim Anwalt des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers - allerdings aus ganz anderen Gründen.
Als "Frechheit" bezeichnet der Frankfurter Jurist Ulrich Warnke das Machwerk: "Da hat sich jemand den Fall geschnappt, um ihn willkürlich zu verzerren." Das sei ruchlos, dadurch werde von der eigentlichen Tat abgelenkt.
Warnke ist weiterhin von der Richtigkeit der Angaben seiner Mandantin überzeugt. Die Richterin habe zwar zurecht auf Widersprüche in den Aussagen ihrer Mandantin hingewiesen, diese seien jedoch bei Aussagen von Opfern von Gewalttaten normal - insbesondere, wenn die Tat lange zurückliegt. So wie in diesem Fall.
Auf Rechtsmittel habe er dennoch verzichtet. Er gehe nicht davon aus, dass das Urteil in der nächsten Instanz revidiert werden würde.