Prozess um Mord an 15-Jähriger Ein Augenblick, auf den Juttas Eltern 37 Jahre warten mussten

Zum Prozessauftakt in Darmstadt sitzen die Eltern der vor 37 Jahren ermordeten Schülerin Jutta Hoffmann erstmals dem mutmaßlichen Mörder direkt gegenüber. Sie wollen endlich wissen, was mit ihrer Tochter passiert ist. Doch er schweigt.

Der 62 Jahre alte Angeklagte (Mitte) wird in den Gerichtssaal in Darmstadt geführt.
Der 62 Jahre alte Angeklagte wird in den Gerichtssaal geführt. Bild © picture-alliance/dpa
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Um kurz nach 9 Uhr hebt der Angeklagte seinen Kopf und streift die schwarze Kapuze ab, die ihn zuvor vor den Blicken der unzähligen Kameras im vollbesetzten Gerichtssaal A213 des Darmstädter Landgerichts geschützt hat. Es ist der Augenblick, in dem die Eltern dem mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter Jutta Hoffmann erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen.

Ein Augenblick, auf den die mittlerweile 84 Jahre alte Mutter und ihr 87-jähriger Ehemann 37 Jahre warten mussten. Am Abend des 29. Juni 1986 soll der 62-jährige Verdächtige die damals 15 Jahre alte Jutta Hoffmann in Lindenfels (Bergstraße) überwältigt, gequält, vergewaltigt und erstochen haben. Sie war gerade auf ihrem Heimweg nach einem Schwimmbadbesuch. Im Februar 1988 fand ein Spaziergänger ihre skelettierte Leiche.

Staatsanwaltschaft wirft Angeklagtem Verdeckungsmord vor

Am Mittwoch hat der Prozess begonnen, die Staatanwaltschaft erhebt den Vorwurf des sogenannten Verdeckungsmordes. Der Angeklagte soll das Mädchen getötet haben, um seine vorherige Sexualstraftat zu vertuschen. Zum Zeitpunkt der Tat war er 25 Jahre alt.

Neue DNA-Spuren hatten die Polizei im Jahr 2020 auf die Spur des mutmaßlichen Täters gebracht. Weil Mord in Deutschland nicht verjährt, konnte der Verdächtige auch fast vier Jahrzehnte nach seiner Tat angeklagt werden.

"Der Prozess wühlt ganz viel auf"

Für Jutta Hoffmanns Familie ein langersehnter, aber ebenso belastender Moment. "Der Prozessbeginn wühlt wieder ganz viel auf, was man über die Jahre versucht hat zu verarbeiten", beschreibt Anwältin Angela Gräf-Bösch die Gefühlswelt der Familie in einer Verhandlungspause. Gräf-Bösch vertritt die Eltern und zwei Geschwister, die als Nebenkläger auftreten.

"Die Hoffnung ist natürlich, dass man auf die Fragen, die man sich über die Jahrzehnte gestellt hat, endlich Antworten bekommt", sagt die Anwältin. Die Familie wolle wissen, was genau mit Jutta passiert ist.

Der Angeklagte schweigt

Auf diese Antworten werden sie aber vorerst weiter warten müssen, denn gleich zu Beginn der Prozessauftakts wird klar: Der Angeklagte wird nichts sagen. Darauf habe man sich im Vorfeld mit dem Mandanten geeinigt, sagt sein Anwalt Andreas Sanders am Mittwochmorgen.

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Neben Juttas Eltern kommen auch noch zwei Geschwister zur Verhandlung, auch sie sitzen dem Angeklagten direkt gegenüber. Während Staatsanwältin Eva Heid die Anklage mit all den grausamen Details des mutmaßlichen Tatherganges verliest, schließt der Bruder die Augen. Er hört, wie der Täter Jutta zuerst in den Wald gedrängt und dann mit ihrem eigenen Gürtel gewürgt und dabei vergewaltigt haben soll. "Er wollte größtmögliche Kontrolle und Erregung", führt Heid aus, "und er wollte ihre Angst sehen." Dann habe er Jutta mit mehreren Stichen in den Oberkörper getötet.

Angeklagter zeigt keine Reaktion

Die Schwester der Ermordeten kämpft mit den Tränen, sieht dabei dem Angeklagten aber die ganze Zeit ins Gesicht, vermutlich in der Hoffnung, ein Zeichen der Reue oder eine andere Regung zu erkennen. Irgendetwas, das Emotionen verrät.

Doch der mutmaßliche Mörder zeigt keinerlei Reaktion, stoisch verfolgt er das Geschehen. Juttas Eltern scheinen fast ins Leere zu blicken, vielleicht haben sie einfach keine Kraft mehr, zu weinen. Die Belastung der vergangenen Tage, Jahre und Jahrzehnte ist ihnen anzumerken.

Von dem Verdächtigen lässt sich nach dem ersten Verhandlungstag ein zumindest schemenhaftes Bild zeichnen. Er wurde 1961 in Bensheim (Bergstraße) geboren und ist gelernter KFZ-Mechaniker. Er wechselte oft den Job und den Wohnort. Etwa ein Jahr vor dem Mord an Jutta war er auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine Haftstrafe für ein Sexualverbrechen abgesessen hatte. Weitere Gewaltverbrechen wurden von Richter Wagner erwähnt, zudem machte er Andeutungen zu einer sexuellen Beziehung des Angeklagten zu seiner Cousine.

Frage nach der Schuldfähigkeit

Die vergangenen Jahre verbrachte der Angeklagte in der geschlossenen Forensik in Neustadt in Schleswig-Holstein. Im weiteren Verlauf des Prozesses wird es auch darum gehen, ob er zum Zeitpunkt der Tat voll schuldfähig war. Wird er schuldig gesprochen und für voll schuldfähig erklärt, droht ihm eine lange Haftstrafe: "Für Mord gibt es lebenslänglich", sagt Staatsanwältin Heid.

Nachdem die ermittelnden Beamten damals keinen Täter finden konnten, landete der Fall bei den sogenannten Cold-Case-Einheiten von Landeskriminalamt (LKA) und Polizei Südhessen. Die Cold-Case-Ermittler überprüfen ungeklärte Mordfälle von Zeit zu Zeit systematisch auf neue Hinweise. So auch Polizeihauptkommissarin Tanja Becker vom LKA, die die aktuellen Ermittlungen leitet.

DNA-Spuren an Spaten

Zum Prozessauftakt schildert die Polizeibeamtin, wie sie die Spur zu dem 62-Jährigen aufgenommen haben. Den entscheidenden Hinweis gaben demnach DNA-Spuren von einem Spaten, der nach dem Fund der skelettierten Leiche im Jahr 1988 unweit des Fundorts sichergestellt wurde.

Mit dem Spaten soll der Angeklagte das tote Mädchen vergraben und ihr Grab dann mit Blättern und Zweigen bedeckt haben. "Der Spaten wurde zuvor nie auf DNA-Spuren untersucht", schildert Becker. Man habe sich bis dahin auf andere Beweisstücke konzentriert.

Damit ist auch klar, dass der entscheidende Hinweis nicht etwa im Rahmen der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY…Ungelöst" im März diesen Jahres einging, wie vielfach berichtet wurde. Mit der Sendung habe man nur einen "Impuls in Richtung Täter" setzen wollen, erklärte Staatsanwältin Heid. Kurz nach der Sendung wurde Haftbefehl gegen Peter F. erlassen.

Es steht ein langer Prozess bevor

Der Familie der Toten wird es letztendlich egal sein, wer wann welchen Hinweis gegeben hat. Sie will, dass der Mörder ihrer Jutta zur Verantwortung gezogen wird. Bis ein Urteil fällt, werden aber noch viele Wochen oder gar Monate vergehen. Der Prozess, dessen Anklageschrift allein 200 Seiten umfasst, ist vorerst bis ins Jahr 2024 hinein terminiert.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 15.11.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de