Mutmaßliche Kriegsverbrechen Aus Frankfurt in den Dschihad: Terroranklage gegen Nadja R.
IS-Unterstützerin Nadja R. hatte mit ihrem Hilferuf-Video 2017 eine Debatte über den Umgang mit IS-Anhängerinnen ausgelöst. Nun erhebt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt Anklage wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
"Bitte, ich brauche Ihre Hilfe, bitte helfen Sie uns. Ich möchte mit meinen beiden Kindern zurück nach Deutschland. Bitte helfen Sie uns, dass wir ganz schnell zurück nach Deutschland kommen."
Diese Sätze stammen von der mutmaßlichen IS-Unterstützerin Nadja R., veröffentlicht 2017 in einem Video der Wochenzeitung Die Zeit. Es war ein Hilferuf an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Rückholaktion der Bundesregierung
Damals saß die gebürtige Landshuterin Nadja R. gemeinsam mit ihren beiden Kindern in einem kurdischen Gefangenenlager fest. Zwischen ihrem Appell an die Bundesregierung und ihrer Rückkehr nach Deutschland vergingen fünf Jahre. In der bislang letzten Rückholaktion der Bundesregierung landete sie mit ihren beiden Kindern im Oktober 2022 am Flughafen Frankfurt.
Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft. Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft hat die 38-Jährige vor dem Oberlandesgericht angeklagt, wie sie am Donnerstag verkündete – unter anderem wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Die Anklage ist noch nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.
Anklage: 2014 einen Kämpfer im Internet kennen gelernt
Zuständig für die Ermittlungen ist eine Spezialabteilung der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft: die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus Hessen. Demnach soll sich die 38-Jährige seit 2009 in Frankfurt radikalisiert und in den folgenden Jahren die Ideologie des Islamischen Staates (IS) übernommen haben.
Nach hr-Informationen verließ sie 2011 ihren ersten Ehemann und die gemeinsamen Kinder in einer Stadt im nördlichen Baden-Württemberg, um sich der Salafistenszene in Frankfurt anzuschließen. 2014 entschloss sie sich dann aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft, Deutschland den Rücken zu kehren und den IS in Syrien zu unterstützen.
Im Jahr 2014 habe sie einen Kämpfer der Organisation in einem sozialen Netzwerk kennengelernt, mit dem sie auf dem Gebiet des IS nach islamischen Grundsätzen zusammenleben wollte. Laut Anklage reiste die Angeschuldigte am 3. Juli 2014 über die Türkei in die syrische Stadt Rakka, wo die Eheschließung nach islamischem Ritus erfolgt sei. Später landete sie den Ermittlungen zufolge im Irak.
Angeklagte eine Spionin des IS?
Beim IS, so lautet der Vorwurf, war Nadja R. als sogenannte Kommunikationsspionin in einem Fernmeldeamt der Terrormiliz beschäftigt. Genauere Angaben zu ihrer Tätigkeit macht die Generalstaatsanwaltschaft nicht. Jedenfalls habe ihr Ehemann eine militärische Ausbildung absolviert und anschließend an Kampfhandlungen teilgenommen.
Die Angeklagte sei ihrem Ehemann zu dessen jeweiligen Einsatzorten gefolgt. Zudem habe sie den Haushalt geführt und die gemeinsamen Kinder erzogen. So habe sie ihrem Mann dessen Tätigkeit für den IS ermöglicht. Die Ermittler sind auch überzeugt, dass Nadja R. im August 2014 in einem sozialen Netzwerk einen Beitrag veröffentlicht hat, "um heiratswillige Frauen zur Ausreise aus Deutschland auf das Gebiet des IS zu bewegen".
Für ihre "Arbeit" soll der IS die Eheleute bezahlt haben. Die genaue Summe ist nicht bekannt. Üblicherweise habe die Terrorgruppe pro Ehepaar monatlich 100 US-Dollar gezahlt, heißt es von der Generalstaatsanwaltschaft.
Angeklagt wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nadja R. werden auch "zwei Kriegsverbrechen gegen das Eigentum" zur Last gelegt. "Auf dem IS-Gebiet sollen die Eheleute von Mai 2015 bis Januar 2017 nacheinander zwei von der Vereinigung zugewiesene Unterkünfte in der Stadt Tal Afar im Irak besetzt haben, deren rechtmäßige Bewohner vor den herannahenden Truppen des IS geflohen waren", heißt es von den Ermittlern. "Es ist beabsichtigt, dass sich meine Mandantin geständig zu den Vorwürfen einlassen wird", sagte Anwalt Johannes Pausch dem Bayrischen Rundfunk.
Der Hilferuf von Nadja R. hatte 2017 eine Debatte darüber angestoßen, wie Deutschland mit den hunderten inhaftierten IS-Anhängerinnen und Anhängern in Syrien und Irak umgehen soll. Diese waren vor allem durch Kämpfer der kurdischen Autonomiegebiete festgenommen worden. Die Hoffnung der kurdischen Seite, dass die Bundesregierung ihre Staatsbürger bald zurückholt und sie damit humanitär entlastet, wurde enttäuscht.
Anders als andere europäische Staaten zögerte die Bundesregierung lange. Erst nach und nach wurden 26 Frauen, 76 Kinder und ein Heranwachsender aus Nordostsyrien nach Deutschland gebracht. Bei der voraussichtlich letzten Rückholaktion im Oktober 2022 war Nadja R. dabei.
Sendung: hr-iNFO, 06.04.2023, 12 Uhr
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