Neukirchen Drei Kinder in Dorfteich ertrunken - Ex-Bürgermeister erneut vor Gericht
Mehr als sechs Jahre nach dem Tod von drei Kindern in einem Teich in Neukirchen hat der Berufungsprozess gegen den damaligen Bürgermeister begonnen. Am ersten Verhandlungstag stand ein unbearbeitetes Versicherungsschreiben im Mittelpunkt.
Ist ein Bürgermeister verantwortlich, wenn in seiner Gemeinde ein Teich nicht ausreichend gesichert ist und Kinder darin ertrinken? Genau das ist 2016 in Neukirchen (Schwalm-Eder) passiert: Drei Geschwister ertranken damals in einem Löschteich.
Der Prozess gegen den damaligen Bürgermeister Klemens Olbrich (CDU) wird seit Mittwoch neu aufgerollt. Vor dem Landgericht in Marburg geht es erneut um die Frage seiner Mitschuld am Tod der Kinder.
Ex-Bürgermeister: Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen nie Thema
Der "tragische Unglücksfall" begleite ihn sein ganzes Leben, sagte Olbrich. Er bekräftigte am ersten Verhandlungstag, er habe den Teich nicht als gefährlich wahrgenommen. "Es gab keine Hinweise aus der Bevölkerung, auch nicht von professionellen Dritten." Die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen sei nie ein Thema gewesen.
Andernfalls wären natürlich entsprechende Maßnahmen ergriffen worden, betonte Olbrich. "Dass Wasser per se gefährlich ist, das weiß man ja." Aber über diese abstrakte Gefahr hinaus habe es keine Wahrnehmung gegeben.
Pflastersteine rutschig geworden
In erster Instanz hatte das Amtsgericht Schwalmstadt Olbrich im Februar 2020 wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 4.000 Euro verurteilt. Eine Strafe von 12.000 Euro (120 Tagessätze zu 100 Euro) wurde zur Bewährung für zwei Jahre ausgesetzt.
Das Amtsgericht sah als erwiesen an, dass Olbrich seiner "Verkehrssicherungspflicht" nicht nachgekommen sei: Der Teich war vor Jahren saniert worden, dabei war ein Teil des Ufers mit Pflastersteinen befestigt worden. Diese Steine seien über die Jahre glitschig geworden und es sei eine gefährliche Stelle entstanden, wo die drei Geschwister im Alter von fünf, acht und neun Jahren im Juni 2016 ertranken.
Geschwister versuchten zu helfen und verunglückten
Die Anklage geht davon aus, dass mindestens ein Kind beim Spielen ins Wasser fiel und die anderen beim Versuch, Hilfe zu leisten, ebenfalls verunglückten. Die Kinder hatten alleine an dem Teich gespielt und wurden von ihrem elfjährigen Bruder gefunden.
Olbrich hätte diese Stelle mit Rettungssteinen oder Gittern sichern müssen, urteilte das Gericht seinerzeit. Sowohl der frühere Bürgermeister als auch die Staatsanwaltschaft Marburg legten Berufung gegen das Urteil ein. Letztere hatte eine Geldstrafe von 9.000 Euro gefordert.
Versicherung schätzte Teich als verkehrsgefährlich ein
Am Mittwoch stand vor Gericht zunächst ein Schreiben der GVV Kommunalversicherung vom April 2014 im Mittelpunkt. Darin schätzte die Mitgliederversicherung für Städte, Gemeinden, Kreise, kommunale Unternehmen und Sparkassen den Teich auf die Anfrage eines Verwaltungsmitarbeiters der Stadt hin als verkehrsgefährlich ein.
Aus haftungsrechtlichen Gründen empfahl sie der Kommune, das Gelände einzuzäunen beziehungsweise abzusichern. Olbrich will den Inhalt des Schreibens erst im März 2020, und somit erst kurz nach dem Urteil des Amtsgerichtes, zur Kenntnis genommen haben. Zwar sei ihm der Brief 2014 "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" vorgelegt worden - darauf lässt auch ein Sichtvermerk Olbrichs in Form eines roten Striches schließen. Aber er habe weder auf den Betreff noch auf den Inhalt geschaut, sondern lediglich das Logo des Versicherers wahrgenommen.
Olbrich: Brief nicht bewusst zurückgehalten
Er sei davon ausgegangen, es handle sich um ein "normales Versicherungsschreiben" und habe es an die zuständige Abteilung weitergeleitet. Auch habe er nicht vermerkt, um Rücksprache zu bitten, wie sonst üblich in fraglichen Fällen, erklärte er. "Ich ging davon aus, dass das Schreiben in der zuständigen Abteilung bearbeitet wird", so Olbrich weiter. In der Folge sei niemals jemand mit dem Anliegen auf ihn zugekommen.
Der Ex-Bürgermeister betonte, andernfalls wären Maßnahmen eingeleitet worden. "Natürlich hätten wir das gemacht. Das ist unser täglich Brot." Er könne nicht erklären, warum das Schreiben nicht bearbeitet wurde. Erst im März 2020 sei das Dokument ihm dann zur Kenntnis gebracht worden. Er habe damals ein paar freie Tage gehabt. Anschließend habe ihn sein Vertreter auf das Schreiben aufmerksam gemacht.
Den Verdacht, er habe den Brief bewusst zurückgehalten, wies Olbrich vehement zurück. "Ich muss nichts vertuschen, es gab keinen Plan. Hätte ich das Schreiben früher gekannt, hätte es auf den Tisch gehört."
Bundesweites Aufsehen
Der Fall in Neukirchen sorgte damals bundesweit für Aufsehen, viele Kommunen warteten auf die Entscheidung im Prozess, die auch Einfluss auf andere Gemeinden haben könnte, in denen es ähnliche Teiche und Gewässer gibt.
Der Teich in Neukirchen war in den vergangenen Jahren als Freizeitanlage mit Grillplätzen genutzt worden, nur ein Schild wies auf mögliche Gefahren hin: "Betreten auf eigene Gefahr. Eltern haften für ihre Kinder."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 08.02.2023, 16.45 Uhr
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