Drogenproblem in Gießen weitet sich aus Zwischen Scherben, Crack und Dealern auf E-Rollern

Offener Konsum, gewalttätige Auseinandersetzungen, Pöbeleien: Die Problematik um die Gießener Drogenszene verschärft sich. Zahlen zeigen nun, wie stark. Anwohner fordern stärkeres Eingreifen.

Polizeikontrolle, junge Männer von hinten
Polizeikontrolle am Kirchenplatz in Gießen Bild © Rebekka Dieckmann
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Es stinkt vielen hier, und zwar buchstäblich. Über den Gießener Kirchenplatz weht ein unangenehmes Geruchsgemisch: Urin, Cannabis, alte Kippen. Überall liegen Scherben und Müll, teilweise auch Spritzbesteck. In den Ecken sammeln sich Menschen und Hunde, die meisten Sitzbänke sind belegt – allerdings kaum von Passantinnen und Passanten, die hier Pause vom Stadtbummel machen.

Die Problematik rund um die Drogen- und Alkoholszene ist in Gießen schon länger Thema. Der zentral gelegene Kirchenplatz gilt als beliebter Treffpunkt von Abhängigen, Dealern und Obdachlosen. Lange handelte es sich dabei um eine überschaubare, meist friedliche kleine Gruppe. Seit einiger Zeit hat sich die Lage jedoch verschärft.

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Anwohner berichten: Sowohl die Zahl der Menschen habe stark zugenommen als auch die Aggressivität, die von ihnen ausgehe. Auch vom Gießener hr-Studio aus, das direkt am Kirchenplatz liegt, sind mittlerweile häufig harter Drogenkonsum, offenes Dealen und Prügeleien zu beobachten. Stadt und Polizei nennen die Situation bedenklich.

Müll, Fäkalien, Lärm

Der Kirchenplatz ist umgeben von Cafés und Geschäften, für viele Menschen ist er im Alltag unumgänglich. Besonders aber die direkten Anwohnerinnen und Anwohner sind genervt, es hat sich eine Bürgerinitiative gegründet.

"Vor unseren Augen wird hier ganz offen alles Mögliche gehandelt und konsumiert", berichtet Anwohnerin Petra Hartmann. Nachts sei es laut, dazu kämen Müll und Fäkalien. "Es werden hier in der Öffentlichkeit alle körperlichen Bedürfnisse gestillt – ob im Museumseingang, am Kirchturm oder in unseren Vorgärten", kritisiert sie. "Und uns sagen sie dann: Wir sollen doch wegziehen."

Eine langjährige Anwohnerin erzählt, sie wisse tatsächlich von Nachbarn, die aufgrund dessen umgezogen seien. "Und vor meiner eigenen Haustür stand mal jemand mitten am Tag mit einer Crack-Pfeife in der Hand." Ein ansässiger Friseur berichtet, seine Angestellten müssten morgens über weggetretene Menschen steigen, die vor der Tür liegen würden.

Zahl der Drogendelikte steigt

Tatsächlich steigt im Kreis Gießen die Zahl der festgestellten Drogendelikte seit Jahren spürbar an – deutlich stärker als in weiten Teilen Hessens. Im benachbarten Marburg-Biedenkopf sieht es ähnlich aus. Dezidierte Zahlen für die Städte Gießen und Marburg liegen nicht vor.

Während die Zahl der Drogendelikte hessenweit innerhalb von zehn Jahren um rund 29 Prozent anstieg, stieg sie im Kreis Gießen um knapp 78 Prozent. In Marburg-Biedenkopf verdoppelte sie sich sogar. Beide Kreise zählen nun jeweils rund 1.000 Delikte im Jahr. Auch die allgemeine Straßenkriminalität hat in Gießen stark zugenommen.

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Besonders stark stieg die Zahl noch im Kreis Offenbach und im Main-Taunus-Kreis sowie in einigen ländlichen Regionen wie dem Werra-Meißner-Kreis und dem Kreis Hersfeld-Rotenburg. In Frankfurt gibt es zwar zahlenmäßig mit Abstand die meiste Drogenkriminalität, der Anstieg war mit knapp 25 Prozent in zehn Jahren aber vergleichsweise moderater.

LKA nennt verschiedene Gründe

Das Landeskriminalamt (LKA) nennt auf hr-Anfrage mehrere Faktoren für den Anstieg des Drogenkonsums in der Bevölkerung, etwa mehr gesellschaftlichen Druck und psychische Belastungen, insbesondere unter jungen Menschen. Auch neue synthetische Drogen oder psychoaktive Substanzen würden die Fallzahlen nach oben treiben, da sie häufig in großer Menge und zu relativ günstigen Preisen erhältlich seien.

Hinzu komme: Gestiegene Zahlen im Bereich Drogenkriminalität seien außerdem auf verstärkte Polizeimaßnahmen zurückführen, so das LKA. Mehr Kontrollen würden zwangsläufig zu mehr registrierten Straftaten führen. Das LKA betont, die Aufklärungsquote sei in diesem Bereich überdurchschnittlich hoch. Hessenweit liege sie bei 92 Prozent.

Polizei: Führen regelmäßige Kontrollen durch

In Gießen sagt Polizeisprecher Pierre Gath: Die Polizei wisse um die Beschwerden und habe die Situation auf dem Kirchenplatz stark im Fokus. "Wir sind hier täglich vor Ort." Die Polizei sei häufig in zivil da, führe zwischendurch aber auch großangelegte Kontrollaktionen durch. Bei einer Razzia vergangene Woche wurden beispielsweise drei Dealer festgenommen.

Polizist in Uniform
Pierre Gath ist Polizeisprecher in Gießen. Bild © Rebekka Dieckmann

Die Lage in einer Stadt wie Gießen sei komplex, sagt Gath zu möglichen Gründen: viele junge Menschen, starker Bevölkerungszuwachs, außerdem die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Dadurch seien viele Menschen nur übergangsweise in der Stadt, meint Gath, darunter auch perspektivlose, traumatisierte Menschen mit Geldsorgen.

Außerdem gebe es in Gießen wie in allen Städten Verdrängungseffekte. "Früher fand der Drogenhandel mehr an der Lahn statt, aber weil wir da inzwischen mehr kontrollieren, hat sich das hierher verschoben", so der Polzeisprecher. "Leider mitten in die Stadt."

Crack in Gießen angekommen

Besonders häufig stelle die Polizei Cannabis-Verstöße fest, so der Polizist. Aber auch Crack sei in Gießen angekommen. "Das Problem ist: Crack macht besonders schnell süchtig und bereitet nur kurze Highs – da ist der Beschaffungsdruck also besonders groß."

Probleme bereite der Polizei neuerdings auch, dass viele Dealer auf E-Rollern unterwegs seien. Damit könnten sie schnell flüchten und leichter Zwischendepots nutzen. "Das können Garagen oder Kellereingänge sein, aber wir hatten auch schon präparierte Getränkedosen dabei."

Stadt: Waffenverbotszone würde Kontrolldruck erhöhen

Auch die Stadt nennt die aktuelle Lage im Bereich Kirchenplatz "nicht gut". Man beobachte sie sehr aufmerksam und mit Besorgnis, heißt es auf hr-Nachfrage. Das Ordnungsamt führe ebenfalls regelmäßige Kontrollen durch.

Polizeikontrolle, Mann wird festgenommen
Am Kirchenplatz kommt es auch immer wieder zu Festnahmen. Bild © Rebekka Dieckmann

Zudem sei man im Gespräch mit Polizei und Landkreis über die Möglichkeit einer Waffenverbotszone für diesen Bereich. "Dies würde automatisch einhergehen mit einem verstärkten Auftreten von Polizeikräften und entsprechend den Kontrolldruck erhöhen."

Die Stadt verweist zudem auf langwierige Bauarbeiten am Kirchenplatz, die gerade beginnen. Die dafür notwendige Einzäunung werde dazu führen, dass sich die Szene gezwungenermaßen einen anderen Aufenthaltsort suchen werde, so die Vermutung.

Anwohner fordern stärkeres Eingreifen

Anwohnerin Petra Hartmann kann sich kaum vorstellen, dass die Baustelle viel ändern wird. Seit Monaten fordert die Bürgerinitiative Stadt und Polizei auf, mehr zu tun, etwa mehr Kontrollen und bessere Präventionskonzepte. Auch eine Beschilderung wie in Frankfurt sei wünschenswert. Die Stadt lehnt letzteres aber bisher ab.

"Wir wollen hier keinen Polizeistaat", betont Hartmann. Aber es müsse den Menschen klar sein: Wer die Regeln breche, habe mit Konsequenzen zu rechnen.

Monteure hängen in der Frankfurter Innenstadt ein Schild für mehr Sauberkeit auf.
Frankfurt will Vermüllung mit Schildern bekämpfen. Bild © picture-alliance/dpa
Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de