Einkaufen auf dem Land "Wie wenn morgens die Sonne aufgeht": Wenn der ganze Ort einen Supermarkt eröffnet

Pizza geplant und keine Hefe im Haus? Auf dem Land wird das zum Problem, denn in vielen kleinen Orten in Hessen gibt es keine Supermärkte mehr. Doch das könnte sich bald ändern. Helsa-Eschenstruth macht es vor, andere ziehen nach.

Eine junge Frau steht an einem Supermarktregal und sortiert Trockenfrüchte. Sie trägt lange, rotblonde Haare und eine blaue Jacke.
Filialleiterin Elisa Diehl in Helsa-Eschenstruth: Einkaufen und andere Menschen treffen steht im Vordergrund. Bild © Stefanie Küster/hr

Filialleiterin Elisa Diehl füllt mit ihrer Kollegin die Regale auf. An diesem Freitagmorgen ist es noch ruhig in der Tante Enso-Filiale in Helsa-Eschenstruth (Kassel). Nur ein paar Menschen aus dem Ort kaufen ein. Freitags gibt es trotz fehlender Wursttheke frisches Hack, Jutta Spieker legt zwei Packungen in ihren Wagen. Obst, Brot und Eier stehen auch noch auf ihrer Liste. "Das bekomme ich hier alles", sagt sie.

Dass es in seinem Eschenstruth wieder einen Supermarkt gibt, macht auch Ernst Himmelmann glücklich. "Das ist wie wenn morgens die Sonne aufgeht", schwärmt er. Für ältere Menschen wie ihn sei der Supermarkt im Ort "unverzichtbar".

Seit Oktober füllt der Tante Enso-Laden in Helsa eine seit Langem klaffende Lücke: Vier Jahre war der 2.000-Einwohner-Ort ohne Supermarkt - jetzt gibt es hier alles, was man braucht: frisches Obst und Gemüse aber auch Tiefkühlkost, Getränke und Drogerieartikel. Dafür haben die Menschen hier selbst gesorgt und Geld in die Hand genommen.

Audiobeitrag
Bild © Stefanie Küster/hr| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Jeder mit Tante Enso-Card ist Supermarktbesitzer

Tante Enso - das ist ein neues Geschäftsmodell zum wohnortnahen Einkaufen. Das System setzt darauf, dass möglichst viele Menschen mitmachen. Jeder kann für 100 Euro einen Anteil am neuen Supermarkt kaufen - und ist dann Besitzer einer Tante Enso-Karte.

Sind mindestens 500 Genossenschaftsmitglieder zusammengekommen, kann der Markt im Dorf öffnen. Hinter der Idee steht ein Unternehmen namens Tante Enso aus Bremen.

Supermarkt mit Wunschzettel

Die Warenvielfalt kann jeder mitbestimmen. Im Kassenbereich hängt eine große Tafel - hier schreiben Kundinnen und Kunden die Produkte drauf, die ihnen im Markt noch fehlen. Hier finden sich Anregungen wie Hühnerfilets, Spinat oder auch Pokémon-Karten. Alle zwei Wochen wertet Diehl die Tafel aus - je nachdem, wie viele Menschen sich ein Produkt wünschen, wird es ins Sortiment aufgenommen.

Doch hier wird nicht nur eingekauft. Fillialleiterin Diehl sieht das Gemeinschaftliche im Vordergrund. "Unser Tante Enso ist wie ein kleiner Treffpunkt", sagt sie. Kundinnen und Kunden stünden teilweise eine halbe Stunde im Gang und unterhielten sich über Neuigkeiten aus dem Ort.

Auf einer Tafel haben Kundinnen und Kunden ihre Wüsnsche für den Supermarkt geschrieben. Hier liest man Nutella Eis, Hühnchen mit Reis oder Fußball-Karten.
Ein Wunschzettel im Supermarkt: Kundinnen udn Kunden können hier Produktanregungen geben, die im Markt noch fehlen. Bild © Stefanie Küster/hr

Auch Balhorn bekommt eigenen Tante Enso-Laden

Auch 40 Kilometer weiter, in Balhorn, einem Ortsteil von Bad Emstal (Kassel) wird im Sommer ein Tante Enso-Laden öffnen. Es habe keine drei Wochen gedauert, bis ausreichend Anteilseigner zusammengekommen waren, erinnert sich Bürgermeister Daniel Rudenko (CDU).

Im Ort habe es nach dem Aus für den bisherigen Supermarktbetreiber eine "große Unsicherheit" in der Bevölkerung gegeben, so Rudenko. "Die Bürger sind jetzt erleichtert und froh, dass die Nahversorgung gesichert bleibt." Dazu komme Neugier und die Vorfreude, endlich den "eigenen" Tante-Enso eröffnen zu können.

Bis dahin müssen noch Umbauarbeiten in den ehemaligen Supermarkträumen stattfinden, aufgrund der angespannten Lage der kommunalen Haushalte plant die Gemeinde laut Bürgermeister "keine Investitionen".

Blick in einen Supermarkt: im Vordergrund frisches Obst und Gemüse. In einem Korb auf dem Boden sind Kartofffeln.
Frisches Obst und Gemüse, Tiefkühlkost, Drogerieprodukte: im Supermarkt bekommt man alles für den täglichen Bedarf. Bild © Stefanie Küster/hr

Sieben weitere Standorte geplant oder in Prüfung

Neben Helsa-Eschenstruth und Balhorn ist eine weitere hessische Filiale in Hohenroda-Mansbach (Waldeck-Frankenberg) in Planung. Außerdem würden sechs weitere Orte in Hessen geprüft, teilte eine Unternehmenssprecherin mit. 

Das Besondere an den Filialen: sie sind dank Selfcheckout-Kassen, also Selbstbezahlkassen, 24/7 geöffnet - jedenfalls für die Genossenschaftsmitglieder mit einer Tante Enso-Karte. Alle anderen können laut Unternehmen lediglich dann einkaufen, wenn die Kasse besetzt ist - werktags für gut zwanzig Stunden.

Zudem mache die Teilhaberschaft der Genossenschaft die Menschen eines Standorts zu Mitbesitzern ihres Ladens - inklusive Einkaufsvorteil.

Erst Wagen füllen, dann selbst kassieren

"Die Menschen sind sehr froh, wieder eine Nahversorgung im Ort zu haben", so die Sprecherin. Anfangs gebe es zwar Berührungsängste mit dem Selbstcheckout-Kassensystem, es spreche sich aber schnell herum, dass es "ganz einfach ist".

Das System ist nicht nur für die Kundinnen und Kunden interessant, auch regionale Erzeuger können davon profitieren, weil sie ihre Produkte ins Sortiment aufnehmen lassen können. In Helsa nutzen das gleich mehrere Anbieter. Und so gibt es neben Backwaren und Eiern auch vegane Produkte eines kleinen Startups aus dem Ort.

Das ist auch in Bad Emstal geplant. Laut Bürgermeister Rudenko sollen Landwirte aus der Region ihre Produkte künftig nicht nur über eigene Hofläden anbieten, sondern auch im Supermarkt vertreiben.

Blick in einen Supermarkt. Im Hintergrund sind Regale voller Waren, im Vordergrund ein Kassensystem, bei dem man selbst kassieren kann.
Erst Wagen vollpacken, dann selbst kassieren. Bild © Stefanie Küster/hr

Helsa: PV-Anlage und Mietvertrag decken die laufenden Kosten 

Nach gut vier Monaten Betrieb bekommt Helsas Bürgermeister Andreas Schönemann (SPD) viele positive Rückmeldungen - "auch über den Ort hinaus", wie er sagt. Die Eschenstrüther schätzten neben der Möglichkeit, im Ort einzukaufen, auch wieder einen Ort für Begegnungen und ein Schwätzchen zu haben, so das Stadtoberhaupt.

Doch ganz ohne Investitionen vor Ort kommt der Supermarkt nicht ins Dorf. So hat die Gemeinde Helsa die Immobilie laut Schönemann Ende 2023 gekauft, um eine Einkaufsmöglichkeit und eine Begegnungsstätte vor Ort zu schaffen.

Eine Photovoltaik-Anlage, die laut Schönemann noch fünf Jahre lang eine "hohe Einspeisungvergütung von jährlich etwa 25.000 Euro erzeugt" und ein Mietvetrag mit einer zehnjährigen Laufzeit sorgen für das nötige Geld - sogar so viel, dass für die Gemeinde ein Ertrag bleibe. Alle laufenden Kosten würden durch die Mieteinnahmen gedeckt.

In Helsa gibt es sogar weitere Pläne für den Supermarkt. Die Immobilie soll Stück für Stück weiter entwickelt werden, damit dort Menschen über den Einkauf hinaus zusammenkommen können. Dafür habe man bereits einen Raum hergerichtet, so der Bürgermeister. Auch weitere Sanitärbereiche sollen folgen.

Und dann kann hier bei Tante Enso weiter gefeiert werden - und die Neuigkeiten aus dem Ort die Runde machen.

Quelle: hessenschau.de