Reizgas, Schläge, Böller auf Fahrzeuge Einsatzkräfte fordern Konsequenzen nach Angriffen in Silvesternacht
Rettungskräfte, die sich "wie Freiwild" fühlen – Angreifer, denen "Gesundheit und Leben nichts wert" sind: Nach Attacken auf hessische Einsatzkräfte in der Silvesternacht fordern diese härteres Vorgehen gegen Straftäter.
Mit Reizgas attackierte Feuerwehrleute, Böller auf Einsatzfahrzeuge und ein Verletzter, der eine Sanitäterin angreift: Nach den Vorfällen in der Silvesternacht sehen Vertreter von Polizei und Feuerwehr Handlungsbedarf. Zwar sei es in Hessen, anders als in Berlin und anderen Städten, "vergleichsweise ruhig" geblieben, sagte der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jens Mohrherr.
Dennoch seien Feuerwehrleute "ins Visier von Rechtsbrechern geraten, denen offensichtlich Rechtsgüter wie Gesundheit und Leben nichts wert sind", betonte Mohrherr. Von der Justiz erwarte er "schnelle Signale und zügige Verfahrensbefassungen". Dabei müsse die "ganze Bandbreite der Tatbestände" ausgeschöpft werden.
Polizei: "Jeder Angriff macht etwas mit den Angegriffenen"
"Böller-Verbotszonen könnten helfen, entsprechende Stadtteile in den Silvesternächten zu befrieden", sagte Mohrherr weiter. Gleichzeitig sei mehr notwendig als plakative Verbote. "Wir brauchen eine Diskussion in der Mitte der Gesellschaft, dieses verachtenswerte Verhalten zu verurteilen und als einen Angriff gegen den Rechtsstaat zu begreifen", forderte Mohrherr. "Jeder Angriff macht etwas mit den Angegriffenen." Das Erlebte könne man "nicht mit der Uniform nach Dienstende in den Spind hängen".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Landeschefin der hessischen Sozialdemokraten, verlangte eine strenge Bestrafung der Täter. Sie sagte: "Das ist ein Ausmaß an Gewalt, das fassungslos und wütend macht – und es zeigt eine Verrohung, die konsequentes Handeln erfordert."
Bereits seit 2017 gibt es ein eigenes Gesetz, das schärfere Straftatbestände für Angriffe auf Rettungs- und Sicherheitskräfte verankert. Bis zu fünf Jahre Haft können seitdem für solche Angriffe verhängt werden.
Feuerwehrverband sieht neue Dimension des Ausmaßes
"Wir fordern schnelleres und vor allem konsequenteres Handeln der Justiz, auch wenn dies öfters das Höchststrafmaß bedeutet", sagte der Präsident des Landesfeuerwehrverbandes, Norbert Fischer, mit Blick auf die Verschärfung des Strafrechts bei Angriffen auf Einsatzkräfte.
Nach Angaben des Verbands ist die Gewaltbereitschaft gegenüber Einsatzkräften mittlerweile zu einem Dauerthema geworden. "Aber dieses Ausmaß hat eine neue Dimension angenommen", sagte Fischer. Hinterhältige Angriffe durch gewaltbereite Gruppen gingen "auf keinen Fall". An manchen Stellen hätten die Störer Barrikaden errichtet, die die Einsätze unnötig erschwerten.
970 Feuerwehreinsätze in ganz Hessen
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft, Siegfried Maier, sagte dem hr, Straftaten wie Angriffe auf Einsatzkräfte müssten auch konsequent veröffentlicht werden. "Damit zukünftige Straftäter wissen, dass das nicht ohne Konsequenzen bleibt", wie Maier betonte. Er sagte, Staatsanwaltschaften ließen solche Verfahren öfter fallen, "weil das öffentliche Interesse nicht so groß ist".
Nach Angaben des Innenministeriums in Wiesbaden mussten die Feuerwehren im Land in der Silvesternacht zu mehr als 970 Einsätzen ausrücken. Vorwiegend habe es sich um Kleinbrände gehandelt, wie brennende Mülltonnen oder Hecken. In den beiden Vorjahren, als der Verkauf von Feuerwerk untersagt war, waren es lediglich 311 (Jahreswechsel 2021/2022) sowie 99 Einsätze (2020/2021) gewesen.
Rhein nennt Angriffe abstoßend
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte am Montag: "Angriffe auf Einsatzkräfte sind immer auch Angriffe auf die Gesellschaft und damit auf uns alle." Die Einsatzkräfte verdienten jeden Tag Respekt, weil sie täglich für die Sicherheit und Gesundheit der Bürger kämpften. "Angriffe und Drohungen gegen Polizistinnen und Polizisten, gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte sind abstoßend", mahnte Rhein. "Solche Taten müssen mit der vollen Härte des Rechtsstaates bestraft werden."
Ein Sprecher des Innenministeriums teilte mit, die Einsatzkräfte seien für das gesellschaftliche Zusammenleben von zentraler Bedeutung "und erfahren, obwohl sie sich selbstlos für die Allgemeinheit einsetzen, immer häufiger Anfeindungen, Beleidigungen und leider auch körperliche Gewalt". Die Landesregierung setze sich seit vielen Jahren "für eine neue Kultur der Wertschätzung und für mehr Anerkennung und Respekt ein". Mitte Oktober hatte Innenminister Peter Beuth (CDU) zu Respekt und Unterstützung für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten aufgerufen.
Vorschlag: Verbotszonen und öffentliche Feuerwerke
Feuerwehr-Gewerkschafter Maier betonte, Einsatzkräfte fühlten sich allein gelassen. "Viele haben die Erfahrung gemacht, dass sie als Freiwild unterwegs sind." Die Angst der Gewerkschaft sei, "dass niemand mehr freiwillig Dienst bei Rettung und Feuerwehr mache. "Das sollte die Politik im Auge haben und nicht vergessen", sagte Maier.
Statt allgemeinem Feuerwerks-Verbot und Verkaufsverbot – dadurch würden illegale Feuerwerkskörper im Ausland gekauft, die gefährlicher seien – schlug Maier Böller-Verbotszonen vor. Er sagte: "Vielleicht kann man der Bevölkerung als Lösung öffentliche Feuerwerke anbieten mit dann hoffentlich friedlichen Feiermeilen."
Feuerwehrleute mit Reizgas attackiert
In Hessen waren in der Silvesternacht Einsatzkräfte unter anderem in Dreieich (Offenbach) attackiert worden. Ein 19-Jähriger griff zwei Feuerwehrleute mit Reizgas an und verletzte sie. Wie Stadtbrandinspektor Markus Tillmann mitteilte, sprang der Mann unvermittelt vor ein Feuerwehrauto und zwang den Fahrer zu einer Vollbremsung. Als der Feuerwehrmann die Fensterscheibe herunter drehte, habe der 19-Jährige aus einer sechsköpfigen Gruppe heraus Reizgas in das Einsatzfahrzeug gesprüht. Dabei sei der Fahrer verletzt worden.
Anschließend habe der 19-Jährige einen weiteren Feuerwehrmann mit Reizgas attackiert und verletzt, wie Tillmann sagte. Beide Einsatzkräfte seien ambulant in einem Krankenhaus behandelt worden. Nach Angaben der Polizei wird gegen den Angreifer wegen des Verdachts auf gefährliche Körperverletzung ermittelt. Das Feuerwehrauto war den Angaben zufolge auf dem Weg von einem Einsatz zurück in die Wache, als die Attacke passierte.
Verletzter Mann verletzt Sanitäterin
Auch in Wiesbaden wurden Rettungskräfte angegriffen. Die Besatzung hatte einen 24-jährigen Mann im Nachgang einer Körperverletzung versorgt. Dabei trat der 24 Jahre alten Mann nach den Rettungskräften und verletzte eine ebenfalls 24 Jahre alte Sanitäterin. Der Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes Wiesbaden sagte dem hr, sie habe den Mann erst behandelt, dann habe er sich die EKG-Pflaster vom Körper gerissen und dabei die Frau verletzt. Sie habe nach ambulanter Behandlung ihren Dienst fortsetzen können.
In einigen Stadtteilen in Frankfurt wurden nach Angaben der Polizei Feuerwerkskörper gezielt auf Menschen abgeschossen. Unter anderem auf der Einkaufsstraße Zeil im Frankfurter Stadtzentrum sei es zu solchen Vorfällen gekommen, berichteten die Beamten. Ein Mitarbeiter der Feuerwehr sei dabei verletzt worden. Böller seien auch auf Fahrzeuge – darunter auch Einsatzfahrzeuge und Boote der Polizei – und Geschäfte geworfen worden. Der Landesfeuerwehrverband gab an, auch Feuerwehrleute im Einsatz seien gezielt mit Pyrotechnik beschossen worden.
Beamte in Berlin "unter Beschuss"
In Berlin waren Beamte beim Löschen eines brennenden Autos nach eigenen Angaben "massiv mit Böllern angegriffen" worden. Außerdem versuchten 60 bis 80 Menschen, ein Fahrzeug mit Feuerwerk anzuzünden. Polizisten seien "sprichwörtlich unter Beschuss genommen" worden. Die Polizei Berlin twitterte: "Die Gewalt, die unsere Kolleginnen und Kollegen in der Silvesternacht erleben mussten, ist unerträglich. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dem deutlich entgegen zu wirken."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 02.01.2023, 16.45 Uhr
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