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Erster Prozess nach Eritrea-Festival in Gießen

Menschen mit verpixelten Gesichtern, Fäusten in der Luft, manche am Boden, vor einer Polizeikette.

Vor dem Amtsgericht Gießen hat der Prozess gegen einen 24-Jährigen begonnen, der sich an gewaltsamen Protesten gegen das Eritrea-Festival vor einem Jahr beteiligt haben soll. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Gewalt rund um das Festival das Gericht noch lange beschäftigen wird.

Steine und Flaschen prasseln auf eine Polizeiabsperrung herunter, eine aufgebrachte Menschenmenge blockiert die Kreuzung vor der Konrad-Adenauer-Brücke in Gießen, die Polizei setzt Pfefferspray ein: Diese Szenen aus Videos vom 8. Juli 2023 sind am Donnerstag im Gießener Amtsgericht zu sehen.

Hier hat am Vormittag der erste Prozess zu den Ausschreitungen rund um das Eritrea-Festival begonnen, bei denen vor knapp einem Jahr insgesamt 26 Beamte verletzt worden sein sollen.

Angeklagter als Teil großer Gruppe

Angeklagt ist ein 24 Jahre alter eritreischer Staatsbürger, der seit 2015 und bis zu seiner Untersuchungshaft seit Ende Februar in der Schweiz lebte.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann unter anderem schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Er soll sich als Teil einer etwa 100-köpfigen Gruppe an den gewaltsamen Übergriffen auf Polizeikräfte beteiligt haben.

Gewaltsamer Protest gegen regimenahe Veranstaltung

Für die Opposition innerhalb der eritreischen Diaspora gilt das Eritrea-Festival als Propaganda-Veranstaltung, die das Regime in ihrem Heimatland stützt. Immer wieder kommt es deshalb bei ähnlichen Veranstaltungen zu teils gewaltsamen Gegenprotesten, so wie am 8. Juli 2023 in Gießen.

Knapp 1.000 Kräfte der Polizei aus mehreren Bundesländern sollten damals verhindern, dass die Situation um die zweitägige Veranstaltung in den Hessenhallen eskaliert, wie es schon 2022 passiert war.

Dennoch kam es in den Morgenstunden des 8. Juli zu teils gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, als diese versuchten, zum Festivalgelände zu gelangen.

Videos bringen nur bedingt Klarheit

Dass der 24 Jahre alte Angeklagte, der bislang nicht vorbestraft ist, unter den Gegendemonstranten war, bestreitet er vor Gericht nicht. Ob er verantwortlich für dort stattgefundene Gewalttaten ist - und falls ja, für welche, beantworten auch die am ersten Prozesstag gezeigten Videos nicht abschließend.

Darauf ist zwar unter anderem zu erkennen, wie der Mann gegen 9.50 Uhr auf zwei Polizeibusse klettert, die den Weg zum Festivalgelände blockieren. Die Verteidigung betont aber, der 24-Jährige sei danach friedlich geblieben und habe sich nicht an gewaltsamen Aktionen beteiligt.

Die Videos zeigen auch, wie der Angeklagte immer wieder im Pulk der Demonstrierenden kurz zu sehen ist. Die Verteidigerin erklärt, der Polizeikessel habe verhindert, dass sich ihr Mandant von dem Geschehen entfernen konnte.

Angeklagter vorerst frei

Obwohl ein Urteil noch aussteht und der Prozess in der kommenden Woche mit der Anhörung von weiteren Zeugen fortgesetzt werden soll, kam der Angeklagte am Donnerstag frei. Der Vorsitzende Richter Dietrich Becker setzte den Haftbefehl gegen eine Kaution von 5.000 Euro außer Vollzug.

Das Gericht erwarte nicht, dass es noch neue Erkenntnisse gebe, sagte der Richter. Zuvor waren zwei Polizeibeamte, die ebenfalls als Zeugen befragt werden sollten, nicht zu der Verhandlung erschienen - eine Beamtin hatte sich kurzfristig krankgemeldet, ein weiterer Beamter fehlte unentschuldigt. "Das ist alles in hohem Maße misslich", sagte Becker.

Erster von möglicherweise Dutzenden Prozessen

Der erste Verhandlungstag in diesem Fall lässt ahnen, wie umfangreich die Aufarbeitung der Ausschreitungen vor knapp einem Jahr insgesamt noch werden könnte.

Nach mehr als 650 Ermittlungsverfahren, die die Polizei in dem Zusammenhang aufgenommen hat, folgten bislang 50 Anklagen und Strafbefehle der Gießener Staatsanwaltschaft. Die übrigen Verfahren seien entweder eingestellt worden, noch offen, oder es werde noch per Haftbefehl nach den Verdächtigen gefahndet, so die Staatsanwaltschaft.

Insgesamt liege darin eine "erhebliche Mehrbelastung", welche die Behörde angesichts einer sowieso schon hohen Belastung vor große Herausforderungen stelle. Zusätzliches Personal gebe es für die Fälle rund um das Eritrea-Festival nicht.

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