Eskalation auf Raststätte Gräfenhausen Privat-Miliz aus Polen bedrängt streikende Lkw-Fahrer
Ein polnischer Spediteur versuchte am Karfreitag, einen Streik von Fahrern mit Gewalt zu beenden. Dafür beauftragte er wohl einen in Polen prominenten Detektiv. Am Ende wurden 19 Menschen vorübergehend festgenommen.
Nach dem Großeinsatz der Polizei auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen im Zusammenhang mit einer Streikaktion von Lkw-Fahrern hat sich die Lage inzwischen wieder beruhigt. Das teilte die Polizei am Samstag mit.
Der festgenommene polnische Speditionsinhaber und 18 seiner Sicherheitsmitarbeiter, die am Freitag gegen die streikenden Fahrer auf der Raststätte an der A5 bei Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg) vorgehen wollten und von der Polizei gestoppt wurden, sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, wie ein Polizeisprecher weiter sagte.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Darmstadt dauern die Ermittlungen an. Seitens der Staatsanwaltschaft bestehe derzeit kein Kontakt zu den polnischen Behörden, da hierzu zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Bedarf bestehe, teilte ein Sprecher dem hr am Samstag mit.
Schläger wollen Lkw-Fahrer einschüchtern
Am Karfreitag war die Lage eskaliert. Gegen 11 Uhr kam es zu handfesten Auseinandersetzungen, als sich der polnische Firmeninhaber in Begleitung mehrerer Personen Zutritt zu den abgestellten Lkw verschaffen wollte. Die Delegation glich dabei eher einer paramilitärischen Einheit denn einer Abordnung einer Spedition.
Ihr Ziel: Die rund 50 Lkw-Fahrer, die seit Tagen auf der Raststätte streiken, einschüchtern. Die Männer sind in den Streik getreten, weil sie von der polnischen Großspedition, für die sie fahren, offenbar seit über 50 Tagen kein Geld gesehen haben.
Polizei war mit Großaufgebot vor Ort
Teils mit panzerähnlichen Fahrzeugen fuhren die Männer auf der Raststätte vor, einige trugen sogar vermeintlich schusssichere Westen. Sie hatten offenbar den Auftrag, die Lastwagen zur Not mit Gewalt zu entwenden. Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), spricht auf Twitter von einer "Schlägertruppe aus Polen", die versucht habe, den Fahrern ihre Lkw zu "klauen".
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Die Polizei war mit großem Aufgebot und Hunden vor Ort, um die drohende Eskalation zu verhindern. Gegen die Tatbeteiligten wird nun unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, Bedrohung, Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Störung einer Versammlung ermittelt.
Miliz eines prominenten Privat-Detektivs
Auf dem schweren schwarzen Fahrzeug der polnischen Truppe steht der Name der "Detektei Rutkowski", eine Art Privat-Polizei des polnischen Unternehmers und Ex-EU-Abgeordneten Krzysztof Rutkowski. In Polen ist Rutkowski eine bekannte Figur, er machte immer wieder von sich reden, weil er als selbsternannter Detektiv seine Leute auf private Missionen schickte - das ganze dokumentierte er teils in einer eigenen Fernsehserie.
Auch in der Vergangenheit schickte Rutkowski seine "Patrol Rutkowski" ins Ausland. Auf einem Facebook-Bild ist er mit dem selben Fahrzeug zu sehen, das seine Leute auf der Raststätte in Gräfenhausen einsetzten. Beschriftung und Kennzeichen sind identisch.
"Telewizja Patriot 24", das zumindest teilweise Rutkowski gehören soll und ihn regelmäßig filmt, dokumentierte die Aktion gegen die Lkw-Fahrer auf dem Rastplatz am Karfreitag.
DGB-Vorstand fordert Konsequenzen
Gewerkschafter Körzell, der den Vorfall vor Ort erlebt hatte, bedankte sich für das rasche Eingreifen der Polizei. Die Gruppen seien mit einem Absperrband voneinander getrennt worden.
Der Besitzer habe nicht nur die Security-Leute mitgebracht, sondern in drei kleinen Bussen auch gleich Ersatzfahrer, so Körzell. Diese hätten erzählt, dass sie in der Nacht auf anderen Rastplätzen aus ihren eigenen Lastern geholt worden und nach Gräfenhausen gebracht worden seien.
"Dass der Inhaber der Spedition einen paramilitärischen Schlägertrupp inklusive Panzerfahrzeug nach Deutschland schickt, um mit martialischer Bedrohung einen Protest von Lkw-Fahrern zu beenden, ist ein ungeheuerlicher Vorgang", sagte Körzell. Das müsse Konsequenzen haben. Es müsse unter anderem geprüft werden, ob wegen ihres Auftretens und Uniformierung der Straftatbestand der Amtsanmaßung vorliege. Auch über eine Ausweisung und die Verhängung eines Einreiseverbots nach Deutschland müsse nachgedacht werden, da die Männer eine ernste Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten, teilte der DGB mit.
Protest gegen Arbeitsbedingungen
Dass die Spedition die Fahrer offenbar seit Wochen nicht bezahlt, ist nur einer der Gründe für den anhaltenden Protest. Die Männer, die zumeist aus Usbekistan, Georgien und anderen osteuropäischen Ländern stammen, wollen ihre Forderung nach fairer Bezahlung und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen durchsetzen. Auch in Südtirol, Italien und den Niederlanden gibt es Streiks.
"Das sind keine normalen Arbeitsbedingungen, die wir haben", sagte einer der Streikenden. Ein anderer klagte: "Eigentlich habe ich drei Jobs. Ich sitze nicht nur hinter dem Steuer, ich muss auch die Be- und Entladung machen und bin für die Sicherheit verantwortlich." Dennoch warte er seit Wochen auf seinen Lohn. Teilweise bekämen Fahrer Reparaturen von ihrem Lohn abgezogen, das Geld, das sie für Essen bekommen, reiche vorne und hinten nicht.
Die Trucker sind nicht alleine: Gewerkschafter und Vereine aus der Umgebung haben Lebensmittel und Getränke gespendet, Verdi-Fahnen hängen als Zeichen der Solidarität an Lastwagenplanen. Berater des Netzwerks "Faire Mobilität" waren vor Ort und machen auch in sozialen Netzwerken auf den Protest der Fahrer aufmerksam.
"Was wir hier erleben, ist leider ein Stück weit traurige Realität im Güterverkehr in Europa", sagte der hessische Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Rudolph, der die Streikenden ebenfalls besuchte. Die Rechtslage sei eigentlich klar: "Es gilt der Lohn des Landes, in dem gefahren wird." Die Realität sei leider eine andere, so Rudolph. Es gebe viele Arbeitgeber, die Fahrer "für wesentlich weniger Geld durch Europa schicken". Diese Menschen würden nicht nur unter prekärsten Verhältnissen arbeiten, sondern auch leben.
Ruf nach besseren Kontrollen
Statt maximal zwei Wochen am Stück unterwegs zu sein, seien sie tatsächlich oft über Wochen und Monate in Europa auf den Fernstraßen und schliefen dann auch verbotenerweise nur in ihren Wagen. Hinzu komme: Laut ihren Verträgen seien die Fahrer wohl Scheinselbstständige.
Die geltenden Regeln müssten auch eingehalten und besser kontrolliert werden, so Rudolph. Der hessische DGB-Chef tritt noch für weitere Forderungen ein: "Wir wollen den Tarif des Landes, in dem entladen wird." Und noch etwas betont er: "Wir brauchen klare Regel dafür, dass Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in Deutschland auch gegen die Arbeitgeber in Polen vollstreckt und durchgesetzt werden können."
SPD und Linke zeigen sich solidarisch
Ähnlich sieht das Günther Rudolph, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag: "Wir brauchen dringend mehr Kontrollen und die Einhaltung geltenden Rechts, dazu bedarf es aber mehr Personal", sagte er am Freitag laut einer Mitteilung. "Leider sehen wir an dem Beispiel auf der Raststätte Gräfenhausen an der A5, dass Ausbeutung im Fernkraftverkehr auch in Deutschland immer noch an der Tagesordnung ist." Das Vorgehen des Spediteurs auf dem Rastplatz dürfe der Rechtsstaat nicht dulden.
Auch die hessische Linke äußerte sich zu den Vorgängen. "Wir stehen solidarisch an der Seite der streikenden Lkw-Fahrer in Gräfenhausen", sagte Landesvorsitzende Christiane Böhm. Wenn Arbeitgeber Arbeitskämpfe durch vermeintlich rechte Kräfte gewaltsam auflösen möchten, sei das ein Skandal, der an die "dunkelsten Momente der deutsche Geschichte" erinnere. Beobachter vor Ort hätten bei den Männern aus Polen einschlägige rechte Szenekleidung und Tätowierungen festgestellt, so Böhm.
Unklar ist, wie es jetzt in Gräfenhausen weitergeht. Die Streikenden wollen ihre Arbeit auch weiterhin nicht wieder aufnehmen und bleiben vorerst auf der Raststätte.
Sendung: hessenschau, 07.04.2023, 19.30 Uhr
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