Auftakt am Landgericht Fulda Ex-Pfarrer aus Kalbach gesteht in Missbrauchsprozess Kontakte zu Kindern
Nach sexuellen Online-Chats mit Minderjährigen muss sich ein Geistlicher aus Kalbach vor Gericht verantworten. Zum Prozessbeginn in Fulda räumte der Priester einen Teil der Vorwürfe ein. Ermittler hoffen derweil auf mehr Rechte.
Der wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs über das Internet angeklagte Pfarrer aus dem osthessischen Kalbach hat zum Prozess-Auftakt am Dienstag ein Teilgeständnis abgelegt. Der inzwischen suspendierte katholische Geistliche räumte vor dem Landgericht Fulda ein, über eine Chat-Plattform Kontakte zu Kindern und Jugendlichen aufgenommen zu haben.
Zu Prozess-Beginn sprach der 43-Jährige wenig, ließ seinen Anwalt lieber für sich reden. Verteidiger Axel Dohmann verlas eine persönliche Erklärung seines Mandanten. "Ich habe damals zu meiner Schande wenig über die Folgen meines Handelns nachgedacht", gibt der Geistliche darin an. Inzwischen sei ihm klar, dass er "großes Leid" bei den Minderjährigen ausgelöst habe.
Opfer nicht identifiziert
Zwischen September 2021 und Juli 2022 soll der Angeklagte auf der Chat-Plattform gezielt Kinder und Jugendliche kontaktiert haben. Dort soll er ihnen laut Anklage kinderpornografische Videos vorgespielt haben. Außerdem soll er sie aufgefordert haben, sich vor der Webcam auszuziehen und sexuelle Handlungen vorzunehmen.
Von den Webcam-Übertragungen soll der Angeklagte heimlich Aufnahmen angefertigt und diese auf seinem Computer gespeichert haben. Diese Videos soll er auch an Dritte weitergegeben haben.
Deswegen muss er sich neben dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ohne Körperkontakt auch wegen des Verdachts des Herstellens und des Besitzes von Material mit sexueller Gewalt gegen Kinder- und Jugendliche verantworten.
Nach einem Tipp von Ermittlern aus den USA, denen die Chat-Aktivitäten aufgefallen waren, wurden im Juli 2022 die Wohn- und Büroräume des Ex-Pfarrers in Kalbach durchsucht. Die deutschen Ermittler stellten elektronische Speichermedien und IT-Hardware mit belastendem Material sicher.
71 Fälle sind nun angeklagt. Die Opfer sind allerdings nicht identifiziert, wie der Anwalt erklärte. Einige Personen in den Videos seien maskiert gewesen.
Mal begann es mit Flaschendrehen
Eine Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, wo die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität (ZIT) sitzt, hatte am Dienstag beim Prozess-Auftakt eine lange Liste mit angeklagten mutmaßlichen Taten zu verlesen. Die Fälle ähnelten sich dabei sehr.
Stets habe der damalige Pfarrer Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen über die Chat-Plattform angebahnt. Mitunter begannen die Chats demnach harmlos. Kinder- und Jugendlichen hätten zunächst Flaschendrehen gespielt oder getanzt, bevor es dann zu sexuellen Handlungen gekommen sei.
Zu seinen Chats und Video-Treffen mit Minderjährigen ließ der Angeklagte verlesen, sie hätten ihn "auf eine seltsame Weise angezogen und fasziniert." Er sei "in einer Art zunehmendem Rausch" gewesen und habe "immer weitere Vorstöße auf dieser Plattform unternommen".
Überfordert bei der Arbeit, einsam in der Beziehung
Der suspendierte Pfarrer gewährte am Dienstag außerdem Einblicke in seine Lebenssituation im mutmaßlichen Tatzeitraum: Während der Corona-Pandemie habe sich sein Arbeitspensum extrem erhöht. Er habe sich überfordert, ausgebrannt und von seinem Vorgesetzten im Stich gelassen gefühlt, so der Angeklagte weiter.
Auch die heimliche Beziehung, die er zu seiner Freundin unterhielt, habe gelitten, erklärte er vor Gericht. Wegen des Zölibats durfte er laut Kirchenrecht eigentlich keine sexuelle Beziehung führen. Er habe aber Schwierigkeiten mit einem Leben im Zölibat gehabt, habe sich seit seiner Pubertät zu Frauen hingezogen gefühlt. Wegen der Beziehungsprobleme zu seiner Freundin und empfundener Einsamkeit habe er sich dann ins Internet gestürzt.
90.000 Hinweise pro Jahr aus den USA
Dort fielen seine Umtriebe der Einrichtung "National Center for Missing and Exploited Children" (NCMEC) in den USA auf. Dass deutsche Behörden von dort Tipps bekommen, ist keine Seltenheit. Doch nicht immer können Ermittler hierzulande sie nutzen.
Oberstaatsanwalt Benjamin Krause sagte dem hr, das Bundeskriminalamt und die Behörden bekämen pro Jahr 90.000 solcher Hinweise. "Wir müssen aber 20 bis 25 Prozent der Fälle einstellen, weil uns Staatsanwälten die Hände gebunden sind bei der Identifizierung der Tatverdächtigen", so Krause.
Mehr Rechte für Ermittlungen gefordert
Zwar bekämen die Ermittler häufig Hinweise aus den USA, welche Internetverbindung Tatverdächtige verwendet hätten - die sogenannte IP-Adresse. "Wir können die aber in Deutschland mangels Speicherung nicht zuordnen", beklagte der Oberstaatsanwalt.
Nur vier von zehn Fällen ließen sich so aufklären. "Das macht uns als Staatsanwälten nahezu fassungslos", so Krause, "dass da seit Jahren nichts passiert und wir so viele Fälle einstellen müssen".
Urteil im Oktober erwartet
Krause forderte daher eine Mindestspeicherung von IP-Adressen, wie es sie im europäischen Ausland schon gibt. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag aus Hessen ist am Freitag Thema im Bundesrat.
Im Fuldaer Prozess könnte hingegen in den nächsten Wochen ein Urteil fallen. Bis Ende Oktober sind zehn Prozesstage terminiert. Der Angeklagte hat weitere Einlassungen angekündigt. Das Gericht könnte den Mann für alle Taten zu einer Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis verurteilen, erklärte Oberstaatsanwalt Krause.
Das Bistum Fulda kündigte an: Wenn es zu einer Verurteilung komme, werde sich auch ein kirchenrechtliches Verfahren anschließen.