"Biologische Atombombe" Invasiver Kalikokrebs bedroht heimische Tierwelt
Erst vor ein paar Jahren wurde er erstmals in Hessen nachgewiesen, inzwischen breitet sich der Kalikokrebs entlang des Rheins aus. Der Allesfresser aus Amerika kann ganze Biotope innerhalb kurzer Zeit vernichten.
Er wird bis zu zehn Zentimeter groß, wirkt unscheinbar und ist eine große Gefahr für die heimische Tier- und Pflanzenwelt: der nordamerikanische Kalikokrebs. 1995 wurde er bei Baden-Baden erstmals in Europa nachgewiesen, inzwischen bedroht er auch hessische Gewässer, vor allem im südhessischen Ried.
Ausbreitung in Rheinauen
Ausgebreitet hat er sich entlang des Rheins. "Der Rhein selbst ist für ihn gar kein so guter Lebensraum", sagt Experte Rainer Hennings aus Fürth im Odenwald. Er ist Gewässerökologe und beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten intensiv mit Krebsen.
"Der Kalikokrebs liebt am meisten schöne, weichgründige, schlammige Gewässer, die nach Möglichkeit auch langsam fließen oder stehen", legt Hennings dar. Deshalb besiedele er vom Rhein aus vor allem die Auengewässer und Grabensysteme.
Vom Biotop zur toten Suppe
Und von diesen Habitaten für Amphibien, Insekten und Fische lässt der Krebs meist wenig übrig. Der Allesfresser macht sich über die Wasserpflanzen her, frisst Laich und Kaulquappen von Fröschen und die Larven von Libellen. Selbst kleine Fische können ihm zum Opfer fallen.
Wenn am Ende nichts mehr übrig ist, fressen sich die Kalikokrebse sogar gegenseitig auf. Am Ende bleibt von einem einst blühenden Biotop oft nur noch eine tote, braune Suppe, wie Beispiele aus Baden-Württemberg zeigen.
Bald nach Geburt geschlechtsreif
2018 wurde der Kalikokrebs erstmals in Hessen nachgewiesen. Im darauf folgenden Jahr erhielt Hennings einen Auftrag zu seiner Erforschung. "Da war er schon im ganzen nördlichen Ried in den Gräben verbreitet." Selbst den ebenfalls aus Nordamerika eingeschleppten Kamberkrebs habe er dort verdrängt.
Auch am Kühkopf bei Riedstadt (Groß-Gerau) ist der Kalikokrebs gefunden worden, einem "Hotspot der Biodiversität", wie Hennings sagt: "Da ist der letzte intakte Moorfroschbestand in Hessen." Er habe 2019 in einem Gutachten angeraten, die Population umzusiedeln. Teilweise sei dies auch umgesetzt worden.
Was den Kalikokrebs so unheimlich erfolgreich macht, ist vor allem seine hohe Reproduktionsrate. "Ein Weibchen kann zwischen 200 und 500 Eier tragen", berichtet der Experte. Sie betrieben außerdem ausgezeichnete Brutpflege.
Haben sich die jungen Krebse vom Muttertier gelöst, werden sie noch im gleichen Jahr geschlechtsreif und vermehren sich rasant weiter. "Das ist mehr als ein Schneeballsystem", sagt Hennings. "Man kann das wirklich als biologische Atombombe bezeichnen."
Als Köder aus Kanada eingeschleppt?
Experten mutmaßen, dass kanadische Soldaten den Krebs als Angelköder mit nach Deutschland gebracht haben. Unweit des Erstfundorts bei Baden-Baden gab es noch Anfang der 1990er Jahre einen kanadischen Luftwaffenstützpunkt. "Er ist wahrscheinlich der einzige fremde Krebs, der im Düsenjäger hier gelandet ist."
Der Kalikokrebs hat wenige natürliche Feinde. In größeren Seen könnten Raubfische ihm vielleicht noch nachstellen. An kleinen Gewässern, so glaubt Hennings, könnten höchstens mal Reiher Jagd auf ihn machen. "Aber da müssten schon 50 Reiher eng gedrängt um so einen Teich stehen, damit das eine Auswirkung hat."
Gewässer mit Sperren schützen
Dem Roten Amerikanischen Sumpfkrebs, einer weiteren eingeschleppten Art, wollte man in der Vergangenheit mit dem Besatz von Aalen beikommen, etwa in der Grube Prinz von Hessen bei Darmstadt oder am Schultheisweiher in Offenbach. Das hat teilweise gut funktioniert.
Eine weitere Möglichkeit, kleinere Gewässer zu schützen, ist, sie mit Krebssperren zu umgeben, so dass die Einwanderer dort nicht ins Wasser kommen. Diese Sperren müssen aber gewartet werden. Schon eine winzige Lücke, durch die ein Weibchen mit Eiern schlüpfen würde, könnte die Bemühungen zunichte machen.
Kein kulinarisches Highlight
Der Kalikokrebs eignet sich zwar für den menschlichen Verzehr, aber viel ist an ihm nicht dran. "Man kann eigentlich nur das Fleisch aus dem Schwanz essen", so Hennings. Er schmecke auch nicht so gut wie andere Krebse. Fangen und verwerten dürfen ihn auch nur Fischereischeininhaber mit Berechtigung für das jeweilige Gewässer.
Los wird man ihn wohl nicht mehr, da ist sich der Experte sicher. "Das ist vielleicht noch in kleinen isolierten Gewässern möglich, um besonders wertvolle Bestände anderer Arten zu schützen", sagt Hennings. Flächendeckend könne man nur versuchen, die Kaliko-Bestände so gut wie möglich einzudämmen.
Vortrag in Lampertheim
Am Freitag um 18 Uhr hält Hennings einen Vortrag im Anglerheim des ASV Lampertheim (Bergstraße) zum Thema Kalikokrebs. Eingeladen ist dazu auch der Naturschutzbund Nabu. "Damit die mal ein bisschen sensibilisiert werden", sagt Hennings. Denn bislang hätten nur wenige Experten den invasiven Krebs auf dem Schirm.