Gutachten Dach der Elisabethkirche brach auseinander wie eine Büroklammer
Ein Konstruktionsfehler am Dachstuhl, schlecht geleimte Holzträger und sechs Jahrzehnte Wind: Der Einsturz der Elisabethkirche in Kassel hat einem neuen Gutachten zufolge verschiedene Gründe.
Monatelang lagen die Trümmer des eingestürzten Dachs im Innenraum der katholischen Elisabethkirche. Während Kletterer noch die Bauteile und das Interieur aus dem Kirchenschiff bargen, überlegten Verantwortliche und Experten, ob und wie ein solcher Zusammenbruch hätte verhindert werden können.
Ein neues Gutachten des Kasseler Ingenieurbüros HAZ im Auftrag des Bistums Fulda gibt Aufschluss darüber, weshalb das Kirchendach Anfang November 2023 einstürzte. Die Schäden am Dachstuhl waren demnach schon vor dem Unglück massiv, aber von außen nicht erkennbar.
Fehler an der Dachkonstruktion
Das Dach der Elisabethkirche wurde, wie die Kirche selbst, in den Jahren 1959 und 1960 gebaut. Die Konstruktion war typisch für diese Zeit: Fünf Meter lange Holzträger waren in der Mitte des Daches verklebt. Der Dachstuhl stand an seinen Seiten auf kleinen Stützen auf der Kirchenmauer. Eine dieser Seiten hätte flexibel sein müssen, stellen die Gutachter fest.
Auf einer Rolle liegend hätte sich das Dach dann bei starkem Wind zwischen sechs und acht Zentimetern hin und her bewegen können, sagt einer der begutachtenden Bauingenieure, UIrich Huster. Die Spannung, die der Wind über Jahrzehnte auf die Seitenwände der Kirche ausübte, wäre so nicht auf die Holzkonstruktion übertragen worden.
Dachstuhl wurde jahrzehntelang auseinandergezogen
Stattdessen wurde jeder der Träger mit einer Art Schelle auf beiden Seiten an der Kirchenmauer verschraubt. Dadurch litt das in der Mitte zusammengeklebte Dach immer wieder unter einer Zugspannung nach außen, wie Huster weiter ausführt. Der Wind drückte auf die Mauern, und die Mauern zogen den Dachstuhl in entgegengesetzten Richtungen auseinander - jahrzehntelang.
"Man muss sich das Dach vorstellen wie eine Büroklammer", sagt Ulrich Huster: "Wenn man die oft hin und her biegt, ermüdet das Material an einer Stelle und bricht auseinander." Genau das passierte laut Gutachten mit dem Dachfirst der Elisabethkirche.
Die sogenannte Verzinkung, also die Stelle, an der die Holzstücke zusammengeleimt waren und ineinander griffen, öffnete sich durch den Druck der Seitenwände Stück für Stück.
Verzinkung löste sich wie ein Reißverschluss
"Das kann man sich so vorstellen wie einen Reißverschluss, der am Holzträger von unten nach oben aufgezogen wird", erklärt der ebenfalls am Gutachten beteiligte Ingenieur Lars Eisenhut. Durch schlecht auf den Trägern verteilten und gemischten Leim und die ungenaue Verarbeitung der Träger sei das Dach schließlich eingestürzt.
Grundsätzlich seien Leimverbindungen bei fachgerechter Ausführung kein Schwachpunkt, erklärt Eisenhut weiter. Der hier verwendete Leim Harnstoffformaldehyd werde heute aber nicht mehr verwendet. Weshalb er spröde wurde, ob wegen des Alters oder der Herstellungsweise, sollen weitere Experimente der Uni Kassel zeigen.
Husters und Eisenhuts Ingenieursberatung HAZ war schon kurz nach dem Einsturz des Kirchendachs vor Ort. Für ihr Gutachten konnten sie auch auf die Konstruktionspläne der Kirche von 1959 zurückgreifen.
Sie hätten mit einem 91-jährigen ehemaligen Mitarbeiter der Firma gesprochen, die die Träger damals herstellte, berichtet Huster. Dieser habe es "merkwürdig gefunden, dass die Elisabethkirche nach 60 Jahren noch so stand". In anderen Fällen seien die Gebäude bei unsauber gefertigten Trägern direkt beim Aufbau eingestürzt.
Kirchensperrungen als Konsequenz
Das Gutachten veröffentlichen will die katholische Kirche nicht. Die gewonnenen Erkenntnisse wolle sie aber deutschlandweit weitergeben. Als Konsequenz aus dem Kasseler Dachsturz seien kurz darauf zwei Kirchen gesperrt und mit Stützen gesichert worden. 31 von 48 ähnlich konstruierten Kirchen müssten noch geprüft werden.
Wie es für die Elisabethkirche weitergehen wird, soll nun eine Umfrage klären. Noch steht die Orgel im Innenraum und muss gestützt werden, das Gebäude ist nach wie vor eine Baustelle.
Erst ein provisorisches Dach könnte die Kirche für die Gemeinde erneut nutzbar machen. Die Kosten eines neuen Dachs möchte die Kirche nach Auswertung der Umfrage gegen seinen Nutzen abwägen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.07.2024, 19.30 Uhr
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