Gutachten Dach der Elisabethkirche brach auseinander wie eine Büroklammer

Ein Konstruktionsfehler am Dachstuhl, schlecht geleimte Holzträger und sechs Jahrzehnte Wind: Der Einsturz der Elisabethkirche in Kassel hat einem neuen Gutachten zufolge verschiedene Gründe.

Eine Bronzefigur mit abgeschlagenen Händen vor einer Flatterleine
Eine Marienbronze aus dem Altarraum der Elisabethkirche. Das einstürzende Dach beschädigte sie stark. Bild © Leander Löwe (hr)
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Gutachten nach Einsturz der Elisabethkirche in Kassel

hs 11.07.2024
Bild © hessenschau.de
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Monatelang lagen die Trümmer des eingestürzten Dachs im Innenraum der katholischen Elisabethkirche. Während Kletterer noch die Bauteile und das Interieur aus dem Kirchenschiff bargen, überlegten Verantwortliche und Experten, ob und wie ein solcher Zusammenbruch hätte verhindert werden können.

Ein neues Gutachten des Kasseler Ingenieurbüros HAZ im Auftrag des Bistums Fulda gibt Aufschluss darüber, weshalb das Kirchendach Anfang November 2023 einstürzte. Die Schäden am Dachstuhl waren demnach schon vor dem Unglück massiv, aber von außen nicht erkennbar.

Fehler an der Dachkonstruktion

Das Dach der Elisabethkirche wurde, wie die Kirche selbst, in den Jahren 1959 und 1960 gebaut. Die Konstruktion war typisch für diese Zeit: Fünf Meter lange Holzträger waren in der Mitte des Daches verklebt. Der Dachstuhl stand an seinen Seiten auf kleinen Stützen auf der Kirchenmauer. Eine dieser Seiten hätte flexibel sein müssen, stellen die Gutachter fest.

Ein Holzträger liegt mit einer verbogenen Stahlstange auf dem Boden.
Einer der Gründe für die Belastung des Daches: die fest verdübelten Schellen. Bild © Leander Löwe (hr)

Auf einer Rolle liegend hätte sich das Dach dann bei starkem Wind zwischen sechs und acht Zentimetern hin und her bewegen können, sagt einer der begutachtenden Bauingenieure, UIrich Huster. Die Spannung, die der Wind über Jahrzehnte auf die Seitenwände der Kirche ausübte, wäre so nicht auf die Holzkonstruktion übertragen worden.

Dachstuhl wurde jahrzehntelang auseinandergezogen

Stattdessen wurde jeder der Träger mit einer Art Schelle auf beiden Seiten an der Kirchenmauer verschraubt. Dadurch litt das in der Mitte zusammengeklebte Dach immer wieder unter einer Zugspannung nach außen, wie Huster weiter ausführt. Der Wind drückte auf die Mauern, und die Mauern zogen den Dachstuhl in entgegengesetzten Richtungen auseinander - jahrzehntelang.

"Man muss sich das Dach vorstellen wie eine Büroklammer", sagt Ulrich Huster: "Wenn man die oft hin und her biegt, ermüdet das Material an einer Stelle und bricht auseinander." Genau das passierte laut Gutachten mit dem Dachfirst der Elisabethkirche.

Ein zerbrochener Stegträger von der Seite
Die Träger schlecht verleimt, die Last zu groß: Die Stegträger brachen direkt an der Verzinkung. Bild © Leander Löwe (hr)

Die sogenannte Verzinkung, also die Stelle, an der die Holzstücke zusammengeleimt waren und ineinander griffen, öffnete sich durch den Druck der Seitenwände Stück für Stück.

Verzinkung löste sich wie ein Reißverschluss

"Das kann man sich so vorstellen wie einen Reißverschluss, der am Holzträger von unten nach oben aufgezogen wird", erklärt der ebenfalls am Gutachten beteiligte Ingenieur Lars Eisenhut. Durch schlecht auf den Trägern verteilten und gemischten Leim und die ungenaue Verarbeitung der Träger sei das Dach schließlich eingestürzt.

Grundsätzlich seien Leimverbindungen bei fachgerechter Ausführung kein Schwachpunkt, erklärt Eisenhut weiter. Der hier verwendete Leim Harnstoffformaldehyd werde heute aber nicht mehr verwendet. Weshalb er spröde wurde, ob wegen des Alters oder der Herstellungsweise, sollen weitere Experimente der Uni Kassel zeigen.

Ein Mann mit Helm kniet in der Elisabethkirche und kratzt auf einem der Holzleimträger herum
Ingenieur Lars Eisenhut zeigt an einem der Träger, wie spröde der Leim geworden ist. Bild © Leander Löwe (hr)

Husters und Eisenhuts Ingenieursberatung HAZ war schon kurz nach dem Einsturz des Kirchendachs vor Ort. Für ihr Gutachten konnten sie auch auf die Konstruktionspläne der Kirche von 1959 zurückgreifen.

Sie hätten mit einem 91-jährigen ehemaligen Mitarbeiter der Firma gesprochen, die die Träger damals herstellte, berichtet Huster. Dieser habe es "merkwürdig gefunden, dass die Elisabethkirche nach 60 Jahren noch so stand". In anderen Fällen seien die Gebäude bei unsauber gefertigten Trägern direkt beim Aufbau eingestürzt.

Kirchensperrungen als Konsequenz

Ein Mann mit Helm und Holzblock in der Hand steht in der Elisabethkirche
Ingenieur Ulrich Huster vom Büro HAZ. Bild © Leander Löwe (hr)

Das Gutachten veröffentlichen will die katholische Kirche nicht. Die gewonnenen Erkenntnisse wolle sie aber deutschlandweit weitergeben. Als Konsequenz aus dem Kasseler Dachsturz seien kurz darauf zwei Kirchen gesperrt und mit Stützen gesichert worden. 31 von 48 ähnlich konstruierten Kirchen müssten noch geprüft werden.

Wie es für die Elisabethkirche weitergehen wird, soll nun eine Umfrage klären. Noch steht die Orgel im Innenraum und muss gestützt werden, das Gebäude ist nach wie vor eine Baustelle.

Die demolierte Orgel trohnt auf der Empore im sonst leeren Kirchenraum.
Die Orgel steht noch in der Elisabethkirche, muss aber gestützt werden. Bild © Leander Löwe (hr)

Erst ein provisorisches Dach könnte die Kirche für die Gemeinde erneut nutzbar machen. Die Kosten eines neuen Dachs möchte die Kirche nach Auswertung der Umfrage gegen seinen Nutzen abwägen.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.07.2024, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de