Vorwurf der fahrlässigen Tötung Vater von Hanau-Opfer stellt Strafanzeige gegen Polizeibeamte

Weil der Notruf bei dem rassistischen Anschlag von Hanau nicht erreichbar war, hat der Vater eines der Opfer erneut Anzeige erstattet - dieses Mal gegen leitende Polizeibeamte.

Vater Niculescu Păun in schwarzem Mantel steht vor einem großen Gedenkstein seines getöteteten Sohnes, daneben Kerzen. Im Hintergrund ein Parkplatz und eine Wohnsiedlung.
Vater Niculescu Păun trauert am Denkmal seines getöteten Sohnes am Hanauer Kurt-Schumacher-Platz. Bild © Heiko Schneider / hr
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Vater von Hanau-Opfer stellt Strafanzeige gegen Polizeibeamte

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"Ich habe meinen besten Freund verloren", sagt Niculescu Păun mit leiser Stimme. Er steht vor dem Denkmal seines Sohnes am Hanauer Kurt-Schumacher-Platz - an dem Ort, an dem Vili-Viorel vor fast fünf Jahren getötet wurde. "Ich bin sicher: Er könnte heute noch leben." 

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Niculescu Păun will beweisen, dass nicht nur Attentäter Tobias R. verantwortlich für den Tod seines Sohnes ist, sondern auch Beamte der Polizei. Deshalb hat er jetzt erneut Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet. 

Notruf war nicht erreichbar 

Beim rassistischen Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 hatte Vili-Viorel Păun den Attentäter in der Innenstadt verfolgt, woraufhin dieser auf Păuns Auto schoss. Der 22 Jahre alte Păun versuchte mehrfach, den Notruf zu alarmieren, konnte ihn aber nicht erreichen.  

Unter anderem Recherchen des hr deckten auf: Der Hanauer Notruf war in der Anschlagsnacht personell unterbesetzt. Außerdem war die Technik so veraltet, dass Notrufe nicht weitergeleitet wurden - der Notruf war schlicht nicht erreichbar. Insgesamt erschoss der Attentäter neun Menschen aus rassistischen Motiven, darunter Vili-Viorel Păun auf dessen Autositz.  

Ein mit Thermofolie abgedecktes und Polizeisperrband versehenes Auto am Tatort im Hanauer Stadtteil Kesselstadt - das Auto des getöteten Vili Viorel Păun.
Der Mercedes von Păun nach dem Anschlag von Hanau. (Archivfoto) Bild © Wiesbaden 112

Namen und neue Details bei Untersuchungsausschuss

Vili-Viorels Vater Niculescu hatte wegen des nicht erreichbaren Notrufs schon einmal eine Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Hanau lehnte Anfang Juli 2021 ein Ermittlungsverfahren aber ab.

Sie begründete dies unter anderem damit, dass nicht klar sei, was genau passiert wäre, wenn Vili-Viorel Păun den Notruf doch erreicht hätte. Außerdem richtete sich die damalige Anzeige gegen die Polizei als Organisation, nicht gegen namentlich benannte Beamte. 

Unter anderem im Rahmen des mittlerweile abgeschlossenen Untersuchungsausschusses zum Anschlag im hessischen Landtag kamen Namen und weitere Details ans Licht. So war die Notruf-Situation bei der Hanauer Polizei intern schon lange vor dem Anschlag Thema. Unternommen wurde dagegen aber nichts. 

Der Vorwurf: Technische Situation schon lange bekannt 

Konkret richtet sich die neue Strafanzeige, die dem hr vorliegt, vor allem gegen den ehemaligen Leiter der für Hanau zuständigen Polizeidirektion Main-Kinzig-Kreis, Jürgen Fehler, und den damaligen Leiter des Polizeipräsidiums Südosthessen, Roland Ullmann. Aber auch gegen den damals zuständigen Leiter der Einsatzabteilung sowie "alle etwaigen weitere im Sinne der Anzeige fahrlässig handelnde" Polizeibeamte. 

Fehler erklärte im Untersuchungsausschuss, dass er wusste, dass bei der Hanauer Polizei Notrufe nicht eingehen konnten, wenn andere Anrufe die Leitung blockierten. Der Vorwurf der Anzeige: dass Fehler "dennoch keine Bemühungen an den Tag legte, eine (übergangsweise) Lösung zu finden und auf den Dienstweg zu bringen".  

Polizeistation "völlig unterdimensioniert besetzt"

Auch Ullmann sagte im Untersuchungsausschuss aus. Er habe entschieden, mit der sogenannten "Zentralisierung" des Notrufs zu warten, bis der Neubau des Polizeipräsidiums in Offenbach abgeschlossen sei.

Dazu heißt es in der Anzeige: "Eine Übergangslösung für die immerhin acht Jahre lange bestehende Verzögerung des Neubaus hinsichtlich der dezentralen Notrufsysteme, insbesondere in der Polizeistation Hanau I, veranlasste Ullmann nicht."

Beide sagten zudem aus, dass ihnen die prekäre personelle Situation auf der Hanauer Polizeistation I bekannt war. Auch hiergegen wurde nichts unternommen, so dass die Polizeistation laut Anzeige in der Anschlagsnacht mit vier Einsatzbeamten und zwei Praktikanten "völlig unterdimensioniert besetzt war". 

Niculescu Păun zeigt das Handy seines erschossenen Sohnes
Niculescu Păun zeigt das Handy seines erschossenen Sohnes Vili Viuorel Păun (Archivbild). Der 22-Jährige hatte in der Tatnacht vier Notrufe abgesetzt. Bild © hessenschau.de

Letzte Chance auf etwas Gerechtigkeit 

Mit der Anzeige möchte Niculescu Păun sie dazu bringen, Verantwortung für den Tod seines Sohnes zu übernehmen. "Sie waren für die Sicherheit von uns allen verantwortlich", sagt er. Aber die Beschuldigten seien ihrer Verantwortung nicht nachgekommen.

Păun hofft, knapp fünf Jahre nach dem Tod seines Sohnes doch noch so etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren. Es ist zeitgleich seine letzte Chance: Am Jahrestag endet die Verjährungsfrist für eventuelle Straftaten rund um den Anschlag.

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Redaktion: Anikke Fischer

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de