Bürokratische Hürden Gras-Anbau: Cannabis-Clubs warten noch immer auf Lizenzen
Seit rund sechs Monaten ist Kiffen legal, seit drei Monaten dürfen Cannabis-Clubs Gras anbauen - theoretisch. Praktisch haben die Behörden in Hessen noch keine einzige Lizenz erteilt. Anbau-Clubs beklagen bürokratische Hürden.
Der Anbau von Cannabis in dafür gegründeten Clubs kommt in Hessen nicht voran. Obwohl Anbauvereine seit drei Monaten eine Lizenz beantragen können, hat das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt als landesweit zuständige Behörde noch keinen einzigen der 20 eingegangenen Anträge genehmigt, wie es auf hr-Anfrage mitteilte.
Abgelehnt worden sei andererseits aber auch noch kein Antrag, wie ein RP-Sprecher ergänzte. Die Behörde rechne mit einer durchschnittlichen Dauer von drei Monaten für die Prüfungen der Anträge. Dafür müssen die Unterlagen aber vollständig vorliegen.
Nachbesserungen kosten Zeit
Dies sei oftmals nicht der Fall, erklärte das RP. Deshalb seien bisher auch erst zehn Anträge prüffähig gewesen. Wenn dann Nachbesserungen nötig seien, könne sich das Prozedere rasch verlängern.
Verzögerungen könnten zum Beispiel auftreten, wenn Anträge nicht vollständig sind oder sie nicht den Vorgaben entsprechen. Bei den Anträgen der Vereine seien durchaus Qualitätsunterschiede festzustellen, kommentierte ein RP-Sprecher.
Clubs beklagen bürokratische Hürden
In den Clubs haben sie einen anderen Verdacht: Die Politik stelle ihnen zahlreiche und hohe bürokratische Hürden in den Weg, bis der Anbau der berauschenden Pflanzen beginnen darf.
Innenminister Roman Poseck (CDU) und weitere Ministerien hatten sich in der Vergangenheit gegen eine Cannabis-Freigabe ausgesprochen. Poseck bezeichnete die bundesweite Teillegalisierung der Droge als Fehler: "Mit Ausnahme der Kiffer-Lobby haben alle Anderen nur Nachteile zu tragen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Poseck: "Gesetz ist ein Bürokratiemonster"
Eine Sprecherin des hessischen Innenministeriums in Wiesbaden erklärte, zahlreiche Vorgaben, die vom Bund noch nicht abschließend festgelegt worden seien, erschwerten die Genehmigung von Anbauvereinen. Andere wichtige Informationen für die antragstellenden Anbauvereinigungen sei sehr spät oder noch gar nicht kommuniziert worden.
Innenminister Poseck sprach von mehr Unsicherheit infolge der Teillegalisierung von Cannabis: "Für die Polizei bedeutet die neue Rechtslage deutlich mehr Arbeit und zusätzliche Kontrollaufgaben, zum Beispiel im Straßenverkehr und in den Innenstädten." Die zuständigen Behörden hätten einen beträchtlichen personellen Aufwand. "Das Gesetz ist und bleibt ein Bürokratiemonster, das Rechtsunsicherheit bewirkt und praktisch kaum umzusetzen ist."
Reaktionen auf Cannabis-Freigabe gespalten
Seit dem 1. April ist der Konsum von Cannabis in Deutschland mit Einschränkungen im öffentlichen Raum legal. Auch der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis steht nicht mehr unter Strafe. Die Reaktionen waren zunächst gespalten. Die einen sprachen von einer "Kehrtwende der Drogenpolitik", andere von einer "Katastrophe".
Anbauvereinigungen, auch Cannabis Social Clubs genannt, können seit dem 1. Juli einen Antrag stellen, um Cannabis gemeinschaftlich anzubauen und an Mitglieder des Vereins weiterzugeben.
Die Vereine oder Clubs dürfen maximal 25 Gramm Cannabis pro Tag und 50 Gramm pro Monat an ihre bis zu 500 Mitglieder abgeben. Sie dürfen zudem Samen und Stecklinge an die Mitglieder zum Eigenanbau zu Hause weitergeben. Hier sind maximal sieben Samen oder fünf Stecklinge pro Monat erlaubt. Nur Erwachsene dürfen den Clubs beitreten.
Alles zeitintensiver als gedacht
In Hessen ist das alles noch Theorie. Solange den Vereinen die Lizenzen fehlen, können sie mit dem Anbau nicht beginnen. Insgesamt sei die Planung, vom Anbaus über den Aufbau von Strukturen bis hin zum Genehmigungsprozess wesentlich zeitintensiver als erwartet, sagte Sascha Hubing, Vorstand des Gießener Vereins Green House.
Er habe erwartet, dass eine Genehmigung schneller erteilt werden könne, so Hubing - und berichtet von Überraschungen. Wie der "kurzfristigen Mitteilung, dass für die Antragseinreichung ein Elster-Account mit der Steuernummer des Vereins erforderlich ist."
Allein die Erteilung dieser Steuernummer habe vier Woche gedauert. Mitte Juli hat Hubing den Antrag für die Cannabis-Zucht eingereicht berichtet er. Seitdem warte er auf Bearbeitung und Genehmigung.
Kosten laufen, Unsicherheit wächst
Während sein Verein auf grünes Licht warte, liefen die Kosten weiter - etwa Mieten und Betriebsausgaben, so Hubing. Der finanzielle Aufwand, auch für die Anschaffung von Anbau-Equipment, sei hoch. Zahlreiche andere Clubs haben schon viel investiert. Die Unsicherheit steige, sagt Hubing.
Auch Fynn von Kutzschenbach sieht Probleme auf dem Weg zum Anbaustart. Er hat mehrere Vereine im Rhein-Main-Gebiet gegründet und rechnet aufgrund der bürokratischen Hürden mit einem Anbaustart frühestens Anfang 2025.
Hohe Anforderungen an Schutzkonzepte
Wer eine Anbau-Lizenz will, muss hohe Anforderungen erfüllen. So müssen die Vereine Schutz- und Sicherheitskonzepte vorlegen. Ihr Anbaugebäude muss umzäunt, Türen und Fenster müssen einburchssicher sein. Derzeit erarbeitet das RP einen Leitfaden mit den Vorgaben.
Auch zum Gesundheits- und Jugendschutz erwarten die Behörden ein Konzept von den Antragstellern. Ein Mitglied des Vereins müsse zum Präventionsbeauftragten fortgebildet werden - als Ansprechperson in Sachen Suchtprävention. Das RP will die Vereine auch bei dieser Aufgabe mit einem Leitfaden unterstützen, teilt es mit.
Erst 300 Anträge bundesweit
Hessen ist nicht das einzige Bundesland, in dem es schleppend mit dem Cannabis-Anbau in Vereinen vorangeht. In Nordrhein-Westfalen etwa erhielt nach Angaben der zuständigen Bezirksregierungen ebenfalls noch kein Verein eine Zulassung.
Die Probleme sprechen sich offenbar herum. Deshalb gibt es bundesweit auch erst knapp 300 Anträge von Anbauvereinen. Das sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, der "Rheinischen Post". Die Zahl der Genehmigungen für Anbauvereine bewege sich zudem noch auf "sehr niedrigem Niveau".
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), zog eine gemischte erste Bilanz. "Der Weg bis zur kontrollierten Cannabisfreigabe war schwierig, und wir sind auch ein halbes Jahr nach dem beschlossenen Cannabisgesetz noch nicht bei dem angekommen, was wir im Koalitionsvertrag formuliert hatten", so Blienert.
Angst vorm Werbeverbot
Einige Vereinsvorstände von Cannabis-Clubs sind von den Anforderungen offenbar so verunsichert, dass sie nicht mit Medien-Vertretern sprechen möchten: "Die Nennung unseres Clubs kann schnell zu rechtlichen Problemen führen", sagte ein Club-Vorstand dem hr. Er befürchte, dass Stellungnahmen als Werbung (fehl-)interpretiert werden könnten. Denn Werbung für Cannabis-Clubs ist verboten.
Im benachbarten Bayern gebe es Fälle, in denen Behörden Cannabis-Clubs angezeigt hätten, weil sie der Ansicht waren, dass gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen worden sei. "Um Missverständnisse zu vermeiden und unnötige Risiken zu minimieren, haben wir uns entschieden, momentan nicht in der medialen Berichterstattung aufzutreten", erklärte der Vorstand.