Hessische Helfer im Hochwassergebiet "Da liegen ganze Hausstände auf Müllbergen"
Das Hochwasser in Rheinland-Pfalz ist gewichen, der Schlamm geblieben - und der viele Müll. Aus Hessen sind weiterhin Helferinnen und Helfer im Einsatz. Protokolle aus dem Katastrophengebiet.
Zwei Wochen sind vergangen, seitdem Teile Westdeutschlands eine verheerende Flut erlebten. Die Aufräumarbeiten in den verwüsteten Gebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dauern an, auch hessische Helferinnen und Helfer sind im Einsatz. Die meisten wollten längst wieder zu Hause sein - doch sie blieben, als sie merkten, was die Katastrophe vor Ort angerichtet hat.
Besonders schwer getroffen hat es Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo Helfer des THW-Ortsverbands Marburg im Einsatz sind und sich mit Opfern der Katastrophe angefreundet haben. Hier berichten einige von ihnen.
Johannes Justus, THW-Ortsverband Marburg
"Ich bin seit knapp einer Woche hier. Das Heftigste, das ich gehört habe, war die Geschichte von einem Bundeswehrsoldaten. Er erzählte mir von einem riesigen Schuttberg, den er mit seinen Kameraden abtransportieren sollte. Der Schutt sei vorher kontrolliert worden, hieß es. Doch als die Soldaten ihn aufräumten, zogen sie ein Auto aus dem Berg - mit einer toten Frau und ihrem Kind darin.
Ich versuche, solche Geschichten beiseite zu schieben und mir bewusst zu machen: Das ist passiert, ich kann es nicht mehr ändern. Ich hoffe einfach, dafür dem Nächsten helfen zu können. Das klappt seit dem vergangenen Wochenende immer besser, seitdem die privat anreisenden Helfer kontrolliert werden. Seitdem ist weniger los auf den Straßen, wir schaffen mehr Touren, können mehr Müll pro Tag zu den Deponien fahren. Der wird so von Tag zu Tag merkbar weniger.
Als ich hierher kam, war ich schockiert. So schlimm hätte ich es mir nicht vorgestellt. Was ich in den Medien gesehen habe, war bloß die Spitze des Eisbergs. Wenn man Bilder von dem Aufräumarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg anschaut, bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, wie es hier aussieht."
Patrick Preis, THW-Ortsverband Marburg
"Ich bin seit Beginn der Katastrophe hier, war zwischendurch drei Tage zu Hause. Da musste ich erst mal irgendwie runterkommen. Aber mein Wille zu helfen ist groß - deswegen bin ich wiedergekommen.
Inzwischen ist eine Struktur erkennbar. Das Wasser ist weg, und man sieht, dass sich hier etwas bewegt. Am Anfang war der Müll extrem. Ich war auch beim Hochwasser 2002 und 2013 in Torgau im Einsatz, aber beide waren ein Witz gegen das, was hier los ist. Das hier ist einfach der Wahnsinn.
An meinem ersten Tag habe ich im Bereitstellungsraum eine Familie getroffen, der Vater mit seinem Dreijährigen an der Hand, die Mutter mit ihrem Säugling auf dem Arm. Die haben gesagt, sie haben kein Haus mehr, besitzen nur noch das, was sie am Leib tragen."
Jürgen Kaes, Katastrophenopfer aus Dernau
"Man denkt in so einer Situation nur von einem Tag zum nächsten. Wir wissen: Unser Haus muss getrocknet, entrümpelt und entkernt werden. Aber im Prinzip geht es uns gut - wir sind am Leben. Und die Unterstützung, die wir erfahren, ist sensationell.
Ich bin beeindruckt, woher die Leute überall anreisen, um uns zu helfen. Ohne die vielen privaten Helfer würde das hier niemals so schnell voran gehen. Gerade am Anfang waren wir auf schwere Baugeräte angewiesen, die die Unmengen an Müll wegschaffen konnten. Die Firma Kran Burgard kam da gerade recht. Die hatten sich unsere Straße vorgenommen. Inzwischen sind da echte Freundschaften entstanden zwischen uns Betroffenen und den Helfern."
Kiara Mauler, Kran Burgard, Abschlepp- und Bergungsdienst aus Butzbach
"Was ich hier gesehen habe, als wir ankamen, war so schrecklich, ich kann es nicht in Worte fassen. Ich weiß nicht, wie es im Krieg war, aber so stelle ich mir das vor. Ich habe dann gleich alles gemacht, wo Hilfe benötigt wurde: Müll von links nach rechts räumen, Keller ausräumen, Häuser entkernen, Radlader fahren und Bagger fahren.
Die Leute haben uns wunderbar aufgenommen. Mittlerweile sind richtige Freundschaften entstanden, die auch längerfristig anhalten werden - da bin ich mir sicher.
Auch sonst nehme ich viel aus dieser Katastrophe mit: schätzen, was man hat. Alleine sauberes Besteck! Oder überhaupt saubere Sachen. Hier ist überall Dreck. Alles ist dreckig. Selbst wenn man duschen war, ist man sofort wieder dreckig. Man muss alles positiv sehen und sich nicht über Kleinigkeiten aufregen. Es könnte alles viel schlimmer sein, das habe ich hier erlebt."
Kai Mauler, Kiaras Vater, Kran Burgard
"Wir kamen am ersten Sonntag hier runter, wollten einen Tag helfen - aber haben dann das Chaos hier gesehen. Und wussten: Ein Tag Hilfe ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir können hier nicht weg, wir müssen weiter helfen. Jetzt sind wir acht Tage hier.
Der Schlamm stand teilweise drei Meter hoch, wir konnten anfangs gar nicht in die Straßen reinfahren. Das musste erst mal alles weg.
Wir haben gesagt, wir nehmen das Risiko auf uns. Meine Frau und ich hatten eh Urlaub, unsere Tochter kam dann auch mit. Aber die Kosten, die uns entstehen, sind da erst mal wurscht. Da hilft man einfach - Punkt!"
Philipp Justus, THW-Ortsverband Marburg
"Inzwischen ist der Gestank weniger geworden. Nach zwei, drei Tagen gewöhnt man sich ein bisschen daran, dass es überall stinkt. Überall ist der Schlamm. Ganz schlimm ist es in den Kellern.
Die Müllmassen sind eigentlich unbeschreiblich. Da liegen ja ganze Hausstände. Sechs, sieben Meter hoch, zwei, drei, vier Hektar weit. Ich kann das gar nicht wirklich abschätzen, weil man nirgends auf der Deponie das Ende sieht. Und an all diesem Müll hängen die Existenzen und Geschichten der Menschen.
Über diese Eindrücke reden wir abends mit den Kollegen, das ist ganz wichtig. Jeder erzählt, was er erlebt hat, das hilft beim Verarbeiten - und beim Weiterarbeiten. Denn hier gibt es ja noch genug zu tun."
Sendung: hr-iNFO, 29.07.2021, 11.10 Uhr
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