"Seit über 100 Jahren unberührt" Historischer Fund: Vergessener Kanal in Gernsheim entdeckt

Bei Bauarbeiten auf einem Privatgrundstück in Gernsheim stoßen Arbeiter auf einen historischen Abwasserkanal aus dem frühen 19. Jahrhundert. Was den Fund so besonders macht, sind Zustand und Bauweise.

Ein Mann kniet am Boden eines unterirdischen Kanals und untersucht im Licht einer Lampe mit seinen Händen das Sediment
Lokalhistoriker Dietmar Matiasch beim Erkunden des Kanals. Bild © Harald Hoppe

Die Szene könnte aus einem Indiana-Jones-Abenteuerfilm stammen: Ein Baggerfahrer stößt in Gernsheim (Groß-Gerau) auf eine schwere Platte aus Sandstein. Er legt sie frei und schiebt sie knarzend zur Seite. Darunter verbirgt sich ein dunkler Eingang zu einem längst vergessenen Gewölbe.

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Allerdings versteckt sich hier keine Schatzkammer mit antiken Kostbarkeiten, wie es in den Filmen mit Harrison Ford meist der Fall ist. Vielmehr ist der Mann bei den Bauarbeiten auf einem Privatgrundstück vor wenigen Tagen auf einen rund 200 Jahre alten Abwasserkanal gestoßen.

Für Dietmar Matiasch aus dem Vorstand des Kunst- und Kulturhistorischen Vereins in Gernsheim ist der Fund dennoch wie ein Schatz. "Der Kanal ist ein schön erhaltenes Zeugnis aus der Geschichte der Stadt", schwärmt der 80-Jährige.

Seit über 100 Jahren unberührt

Kurz nach dem Fund bekam Matiasch vom Grundstücksbesitzer einen Anruf und stieg daraufhin zusammen mit Maximilian Neumann und Harald Hoppe vom Gernsheimer Museum in das Gewölbe hinab.

Der Strahl einer Taschenlampe beleuchtet einen aus Sandstein gebauten Abwasserkanal, der etwa 1,7 Meter hoch und 90 Zentimeter breit ist
Über 200 Jahre alt und über 100 Jahre vergessen: Der kürzlich entdeckte Abwasserkanal in Gernsheim. Bild © Dietmar Matiasch

Im Schein der Taschenlampe offenbarte sich ihm ein rund 35 Meter langer Tunnel. Viel Bewegungsfreiheit hatte er nicht, der Kanal ist gerade einmal 1,70 Meter hoch und 90 Zentimeter breit. "Ich war erstaunt, wie gut der Tunnel erhalten ist", berichtet Matiasch nach der Inspektion.

Er schätzt, dass der Kanalabschnitt aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt. Das völlig unberührte Sediment in der Abwasserrinne zeige, dass "seit über 100 Jahren kein Mensch mehr den Tunnel betreten hat". So lange habe er vergessen unter der Stadt geschlummert.

Besondere Sandstein-Bauweise

Doch nicht nur der gute Zustand macht den Fund so besonders. Anders als andere Abschnitte der Gernsheimer Kanalisation bestehen die Wände des neu entdeckten Tunnels nicht aus Backsteinen, sondern aus Sandsteinen - und zwar nicht aus irgendwelchen. "Wir nehmen an, dass der Kanal aus Steinen der ehemaligen Wasserburg gebaut wurde", sagt Matiasch.

Eine Leiter führt durch eine rechteckige Öffnung hinunter in den Abwasserkanal
Eingang zum Abwasserkanal Bild © Dietmar Matiasch

Beweise dafür hat Matiasch nicht, es gebe aber deutliche Hinweise, sagt er. Die im 13. Jahrhundert aus Sandstein gebaute Wasserburg wurde im 17. Jahrhundert durch kurpfälzische Truppen zerstört. Im 18. Jahrhundert riss die Stadt die Reste der Burg ab und verbaute die Steine an anderer Stelle. "Einige Sandsteine im Kanal sind derart fein behauen, dass sie offensichtlich von der Schauseite eines besonderen Gebäudes stammen", berichtet der Lokalhistoriker.

Einen kleinen Schatz bargen Matiasch und die beiden Museumsmitarbeiter aber doch noch aus dem Gewölbe: Im Boden steckte eine Bierflasche der Kronen-Brauerei aus Wiesbaden, die von 1862 bis 1918 zu den bedeutendsten Brauereien im Rhein-Main-Gebiet gehörte, wie Matiasch erklärt. "Bier war allerdings nicht mehr drin."

Nahaufnahme: Bierflasche aus braunem Glas. Die Flasche hat statt eines Papieretiketts ein Relief in der Glaswand, das den Schriftzug "Kronenberg" und eine Krone abbildet.
Bierflasche der Kronen-Brauerei in Wiesbaden, die in dem Gernsheimer Kanal gefunden wurde. Bild © Dietmar Matiasch

Kanal bleibt privat

Die Öffentlichkeit wird den Kanal wohl nicht zu Gesicht bekommen, denn er liegt wie erwähnt auf Privatgrund. Das Amt für Denkmalpflege hat den Tunnel hinsichtlich seiner Statik bereits überprüft und für stabil befunden. Der Eigentürmer darf nun wie geplant ein Haus darüber errichten. "Er hat mir aber gesagt, dass er den Eingang erhalten und in die Bodenplatte integrieren möchte", sagt Matiasch. "Vielleicht macht er einen Weinkeller daraus."

Wer dennoch mehr über die Geschichte der Abwasserentsorgung in Gernsheim vom Mittelalter bis heute erfahren möchte, kann noch bis Ende Februar die Sonderausstellung "Vom Stadtgraben zum Kanal" im Museum der Schöfferstadt Gernsheim besuchen.

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de