Höchststrafe im Gießener Prozess Gericht verurteilt Mörder von Ayleen zu lebenslanger Haft

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der 14-jährigen Schülerin Ayleen ist der Angeklagte vom Landgericht Gießen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zudem stellten die Richter die besondere Schwere der Schuld fest und ordneten eine anschließende Sicherungsverwahrung an.

Der Angeklagte (M) wird zur Urteilsverkündung in den Verhandlungssaal im Landgericht Gießen geführt.
Der Angeklagte (M) wird zur Urteilsverkündung in den Verhandlungssaal im Landgericht Gießen geführt. Bild © picture-alliance/dpa
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Mörder von Ayleen zu lebenslanger Haft verurteilt

Verurteilter mit Ordner vor Gesicht
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Rund eineinhalb Jahre nach dem gewaltsamen Tod der 14-jährigen Ayleen hat das Landgericht Gießen Jan P. wegen Mordes und versuchter Vergewaltigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Das Schwurgericht stellte am Donnerstag (28.09.2023) außerdem die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete an, dass P. nach der Haft in Sicherungsverwahrung kommt. Damit ist nahezu ausgeschlossen, dass er vorzeitig nach 15 Jahren in Freiheit kommt.

Sexuelles Motiv erwiesen

Nach Auffassung des Gerichts blieben keine Fragen zu den sexuellen Motiven von Jan P. offen. Diese ergeben sich aus den Chatnachrichten. Das Mädchen habe sterben müssen, weil sie keinen Geschlechtsverkehr mit P. haben wollte, sagte die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze. Er habe "maximales Interesse gehabt", mit Ayleen Sex zu haben, und das am Vortag ihres Treffens in Sprachnachrichten mehrmals angekündigt.

Auch zu Ayleens Standpunkt blieben für das Gericht keine Fragen offen: "Genauso klar, wie sein Ziel, mit ihr geschlechtlich zu verkehren, war, dass Ayleen das nicht wollte." Sie habe überhaupt keinen realen Kontakt zu dem Angeklagten gewollt, das ergebe sich aus ihren Nachrichten an ihn.

Es sei zudem ausgeschlossen, dass ein 14-jähriges Mädchen 400 Kilometer von zu Hause, ohne Handy und völlig allein auf einem Feldweg so selbstbewusst beleidigend, provozierend oder aufmüpfig aufgetreten sei wie der Angeklagte zu seiner Verteidigung behauptet habe: "Das ist schlichtweg nicht vorstellbar." Diese von P. aufgestellte Schutzbehauptung löse sich in Luft auf. Ayleen sei diesem Mann völlig ausgeliefert gewesen.

Nur zwei Szenarien denkbar

Aus Sicht des Gerichts kann es nur zwei denkbare Tatszenarien geben, die beide die Kriterien für Mord erfüllen würden: Entweder habe P. Ayleen auf die Parkbank an dem Feldweg bei Langgöns gedrückt, weil er mit ihr Sex haben wollte und sie dabei gewürgt. Dann hätte es sich um eine Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs gehandelt.

Oder es sei ihm darum gegangen, den versuchten oder vollzogenen Geschlechtsverkehr anschließend zu verdecken und er habe sie deshalb getötet. Damit würde die Tat das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erfüllen.

Richterin: "Gut gelaunt in den nächsten Tag gestartet"

Die Richterin sprach auch über die "Entsorgung der Leiche". Man könne es nicht anders bezeichnen, sagte sie. Der Angeklagte habe kein Schuldempfinden, keine Reue, nicht mal ein Erschrecken gezeigt. Er sei im Gegenteil, nur wenige Stunden später, wieder in seinen Chatmodus zurückverfallen und habe direkt weitere Mädchen kontaktiert.

P. sei "wieder maximal auf eigene Bedürfnisbefriedigung zentriert" gewesen und sogar "gut gelaunt in den nächsten Tag gestartet". Ein solches Verhalten sei "außergewöhnlich, im negativsten Sinne". Das Verhalten habe eine entscheidende Rolle für die Frage nach der besonderen Schwere der Schuld und der anschließenden Sicherungverwahrung an die Haft gespielt.

Enders-Kunze sagte: "Ja, die Sicherungsverwaltung ist anzuorden. Ja, die Gesellschaft und jedes einzelne Mädchen muss vor dem Angeklagten geschützt werden." Sie verwies auf das psychologische Gutachten, nach dem er einen erheblichen Hang habe, wieder so etwas zu tun, sobald er in Freiheit komme.

P. habe eine vielschichtige dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen, so die Richterin. Er zeichne sich durch eine eklatante Gleichgültigkeit gegenüber allen Regeln des Miteinanders und gegenüber allen Konsequenzen aus. "Erzieherische Maßnahmen erreichen ihn nicht."

Jedoch sei diese Persönlichkeitsstörung bei ihm nicht so ausgeprägt, dass dies Auswirkungen auf seine Schuldfähigkeit habe. "Er könnte sich anders verhalten, will es aber nicht."

Letzte Worte der Richterin an die Mutter

An Ayleens Mutter gewandt, die als Nebenklägerin anwesend war, sagte die Richterin am Schluss ihrer rund einstündigen Ausführungen: "Es bleiben Fragen offen. Es ist bedauerlich, dass wir das nicht weiter aufklären konnten." Es sei deutlich geworden, dass die Familie sich auch Vorwürfe mache. Sie hoffe, dass die Familie erkenne, "dass es Menschen und Verhaltensweisen gibt, die kann man nicht vorhersehen und die kann man auch nicht verhindern".

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Die Richter hielten nach dem rund dreieinhalb Monate andauernden Prozess Jan P. zudem wegen Entziehung Minderjähriger, Fahrens ohne Führerschein, Nötigung und Beschaffens von Kinderpornografie für schuldig.

Staatsanwalt: Erscheckende Einblicke in die Seele des Angeklagten

Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger sagte im Anschluss, der Fall weise eine ganze Reihe an Besonderheiten auf, beginnend damit, dass es dabei auch um das Phänomen des Cybergroomings gegangen sei, "das hier tödlich verlaufen ist".

Das Verfahren zeige zudem, wie stark Ermittlungsbehörden auf den Zugriff auf Funkzellendaten und IP-Adressen angewiesen seien. Außerdem habe man während des Prozesses "erschreckende Einblicke in die Seele eines Angeklagten bekommen", so Hauburger. "Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt."

Verteidiger Henner Maaß sagte nach Urteilsverkündigung: Es sei ihm schon bei der Fallübernahme klar gewesen, dass die Chancen auf einen Freispruch gering waren. Trotzdem kündigte die Verteidigung an, Revision einzulegen, um das Urteil auf Verfahrens- oder Rechtsfehler überprüfen zu lassen.

Leiche vor einem Jahr in Mittelhessen gefunden

P. hatte die Schülerin aus der Nähe von Freiburg wenige Monate vor der Tat über soziale Netzwerke kennengelernt und mit ihr tausende, zum Teil hochsexualisierte Nachrichten ausgetauscht. P. setzte Ayleen dann mit der Zeit unter zunehmenden Druck und drohte ihr.

Am 21. Juli 2022 holte er Ayleen schließlich mit seinem Auto in ihrem Heimatdorf Gottenheim ab, fuhr mit ihr in ein Waldstück bei Langgöns-Cleeberg (Gießen) und erwürgte sie. Gut eine Woche später wurde ihre Leiche im Teufelsee bei Reichelsheim (Wetterau) gefunden.

Als Beweise dienten unter anderem detaillierte Bewegungsprofile aus der Auswertung der Smartphones der beiden. Zudem fand man Kleidungsstücke von Ayleen in P.s Wohnung. Im Ermittlungsverfahren hatte P. zunächst von einem Unfall, dann von einer Affekttat gesprochen.

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Besondere Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrungg

Wer zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann nach 15 Jahren Entlassung auf Bewährung beantragen, wenn festgestellt wird, dass er keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt. Ein Gericht kann aber die besondere Schwere der Schuld feststellen, etwa aufgrund der Täterpersönlichkeit oder wenn Taten als besonders verwerflich eingestuft werden. Dann wird später noch eine weitere Frist festgelegt, während der ein Täter in Haft keine Bewährung beantragen kann.

Die Sicherungsverwahrung ist dagegen keine Strafe, sondern eine sogenannte Maßregel für Täter, in denen man auch nach der Haft noch eine Gefahr für die Allgemeinheit sieht. Sie ist grundsätzlich unbefristet, wird aber mindestens ein Mal jährlich überprüft.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 28.09.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: Rebekka Dieckmann, Heike Borufka, hessenschau.de

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