Vor dem Darmstädter Landgericht startete am Dienstag der Prozess.

Ein 15-Jähriger soll auf dem Darmstädter Luisenplatz einen Obdachlosen zu Tode getreten haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten zum Prozessauftakt Mord und zügellose Brutalität vor. Der Jugendliche gesteht die Tat.

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Prozess um Obdachlosenmord gestartet

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"Er trat dem Opfer mit absolutem Vernichtungswillen 87 Mal gegen den Kopf und den Oberkörper"– so steht es in der Anklageschrift, die am Dienstag zum Auftakt des Mordprozesses im Darmstädter Landgericht verlesen wurde.

Mit diesem Ausmaß zügelloser Brutalität soll der 15-jährige Angeklagte im vergangenen November den Obdachlosen Andreas N. auf dem Darmstädter Luisenplatz getötet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Jungen Mord aus niederen Beweggründen vor. Auch gegen den 18 Jahre alten Bruder des mutmaßlichen Mörders wird in derselben Sache verhandelt - allerdings wegen Raubes.

Ausnahmesituation am Landgericht

Heruntergelassene Rollläden und zusätzliche Sicherheitskontrollen im Gerichtsgebäude zeugen am Morgen des Prozessauftakts von der Ausnahmesituation: Es kommt nicht oft vor, dass ein Minderjähriger als Hauptangeklagter in einem Mordprozess sitzt. Dabei hat er so gar nichts Kindliches mehr. Er sieht deutlich älter aus als 15, seinen üppigen Bart hat er schon länger nicht rasiert. Er trägt einen blauen Kapuzenpulli, die mittellangen Haare hat er mit reichlich Gel nach hinten gelegt.

Der Blick des Angeklagten wirkt abwesend, fast teilnahmslos, als er mit Handschellen in den Gerichtssaal geführt wird. Das, was ihn hier erwartet, scheint ihn kaum zu beeindrucken. Dabei geht es um seine Zukunft. Ihm drohen selbst nach Jugendstrafrecht bis zu 10 Jahre Gefängnis. Hinsichtlich des 18-Jährigen muss das Gericht entscheiden, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird.

Die Brüder, die zuletzt in Roßdorf (Darmstadt-Dieburg) wohnten, haben zum Prozessauftakt beide ein Geständnis abgelegt. Das ist wenig überraschend, denn von der Tat liegen auch eindeutige Videoaufnahmen von Überwachungskameras vor. Die Aufnahmen sind aus Sicht der Staatsanwaltschaft das wichtigste Beweismittel in dem Mordprozess und sollen im weiteren Verlauf des Prozesses auch noch gezeigt werden.

Schwer verdauliche Details der Tat

Aber bereits die Verlesung der Anklage ist schwer verdaulich. Staatsanwältin Elena Beyer spricht neben dem erwähnten "Vernichtungswillen" von einer "vier Minuten andauernden Schlag- und Trittserie" gegen den Obdachlosen, der sich die ganze Zeit nicht gewehrt habe.

Die Brüder hatten den 57-jährigen Andreas N. demnach am 15. November gegen zwei Uhr in der Nacht an einem Wartehäuschen überfallen. Sie schlugen auf ihn ein und raubten zwei Geldbörsen. Ein Zeuge rief die Polizei. Wegen des Polizeieinsatzes ließen die Brüder zunächst von dem Obdachlosen ab.

Als die Beamten den Tatort verlassen hatten, kehrte der 15-Jährige nach wenigen Minuten zurück. Laut Staatsanwältin war der 15-Jährige wütend darüber, dass die Polizei beim Raub eingeschritten war. Diese Wut soll er an dem Obdachlosen ausgelassen haben. "Er wollte ihn erniedrigen und sich durch Machtausübung Befriedigung verschaffen." Das Opfer starb im Krankenhaus.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Andreas N. gerade einmal zwei Wochen auf der Straße. "Erst 14 Tage vor der Tat wurde ihm die Wohnung gekündigt", erklärt eine als Zeugin geladen Polizistin. Bis Ende 2022 sei er berufstätig gewesen. Nach dem Tod seiner Mutter, der ihn sehr getroffen habe, sei er nicht mehr arbeiten gegangen. Es folgte die Kündigung. In der Zeit seiner Obdachlosigkeit habe er sich öfter in dem Wartehäuschen am Luisenplatz aufgehalten.

Welche Rolle hat die Polizei gespielt?

Da Geständnisse vorliegen, geht es für Richter Marc Euler vorrangig darum herauszufinden, wie es zu der so schwer fassbaren Tat kommen konnte und ein Strafmaß festzulegen. Auch die Rolle der Polizei dürfte Thema werden: Hat sie schnell genug und professionell gehandelt, oder hätte durch konsequenteres Eingreifen die Tat sogar verhindert werden können?

Der Prozess findet auf Eulers Anweisung teils unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Immer dann, wenn der 15-Jährige im Mittelpunkt steht, müssen Zuschauerinnen und Zuschauer und auch die Presse den Saal verlassen.  

Angeklagter war schon öfter auffällig

Bei der Aussage des 18-jährigen Bruders sind Zuschauer zugelassen. Er redet viel über die Tatnacht und über seine Familie, mit der er vor etwa zehn Jahren aus Bulgarien nach Deutschland gekommen war.

Vieles ist unzusammenhängend, an die entscheidenden Momente der Tatnacht will er keine Erinnerung mehr haben. Einen "Filmriss" habe er gehabt, tatsächlich haben die Ermittler im Nachhinein einen Alkoholwert von über zwei Promille bei ihm festgestellt. "Ich habe viel Whiskey getrunken", gibt er an. 

Das Verhältnis zu seinem Bruder, dem Hauptangeklagten, sei lange Zeit eine "Hass-Brüderschaft" gewesen, erst in den Tagen und Wochen vor der Tat sei es besser geworden. Er berichtet davon, dass der Bruder oft von Zuhause weggelaufen sei und seine alleinerziehende Mutter große Probleme mit ihm gehabt habe.

Die Aussagen der Zeugen stützen dieses Bild. Der 15-Jährige sei "im kriminellen Milieu unterwegs" gewesen, habe die Schule geschwänzt und sei oft von Zuhause abgehauen, schildert etwa ein Familienhelfer, der vom Jugendamt in die Familie geschickt wurde, nachdem sich die Mutter hilfesuchend an das Amt gewendet hatte.

Der ermittelnde Kriminalhauptkommissar berichtet von zahlreichen Diebstählen, von Körperverletzungen und einem Sexualdelikt. Während der Vernehmung zu dem Sexualdelikt habe der Junge den Kommissar heimlich gefilmt und sich dann in den Sozialen Medien über ihn lustig gemacht. "Ich kann wenig Gutes über sein Verhalten sagen", so der Beamte.

Für den Prozess vor der Jugendkammer hat das Gericht zunächst fünf Verhandlungstermine bis Ende Juni angesetzt.

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