Inklusive Wohngruppe in Kassel Hier finden Kinder in einer akuten Krise ein Zuhause auf Zeit
Wenn es in Familien eine akute Krise gibt und sich niemand um die Kinder kümmern kann, springen so genannte Inobhutnahme-Einrichtungen ein. Für Kinder mit Behinderung fehlen meist spezielle Angebote, dabei steigt der Bedarf. In Kassel ist jetzt ein neues Pilotprojekt an den Start gegangen.
"Hafen" heißt die Inobhutnahme-Wohngruppe der Hephata Diakonie im Kasseler Stadtteil Harleshausen. Insgesamt acht Kinder und Jugendliche können hier kurzfristig unterkommen - es gibt auch vier Plätze für junge Menschen mit Behinderung.
"Vor allem der Bedarf nach den Inklusionsplätzen ist sehr groß, da kriegen wir mehrmals wöchentlich Anfragen", sagt Sabine Hase. Sie ist Gruppenleiterin des "Hafens". Die Inklusions-Plätze waren als erstes belegt.
Ausnahmesituationen sind hier Alltag
Autismus, Blindheit, verzögerte Entwicklung - die Kinder im "Hafen" brauchen teils deutlich mehr Hilfe als andere. Damit gehen die aktuell rund 15 Mitarbeiter hier um - Sozialarbeiter, Erzieher, Heilpädagogen, Ergotherapeutin oder Pflegefachkräfte. Rund um die Uhr ist jemand da.
Erst seit einem Monat gibt es die Einrichtung. Familien-Krisen und Ausnahmesituation gab es auch hier schon einige. Etwa eine Mutter von zwei Kindern, die kurzfristig ins Krankenhaus musste. Eines der Kinder hat eine Behinderung - in der neuen Kasseler Einrichtung konnten die Geschwister zusammenbleiben, sonst hätte ein Kind womöglich in eine spezielle Behinderteneinrichtung gemusst.
Für Kinder ist Inklusion kein Problem
"Die Kinder befinden sich in der Regel alle in der Krise", sagt Daniela Seidemann-Schawer. Sie ist die pädagogische Leiterin der Hephata-Jugendhilfe Nord. Die Wohngruppe sei eine Art Pilotprojekt. Ziel sei es, immer mehr Einrichtungen für alle Kinder und Jugendliche zu gestalten. "Egal was Kinder und Jugendliche mitbringen, sie sollen überall einen Platz haben dürfen."
Manche Kinder bleiben nur wenige Tage oder Wochen, länger als ein Jahr soll kein Kind in der Einrichtung bleiben. Für die jungen Bewohnerinnen und Bewohner sei das Zusammenleben übrigens kein Problem. "Für die Kinder sind andere Kinder einfach Kinder - die machen da wenig Unterscheidung", sagt Gruppenleiterin Hase.
Viele Familien durch Krisen an der Belastungsgrenze
341 junge Menschen mit und ohne Behinderung wurden alleine in Kassel im Jahr 2023 in Obhut genommen, neuere Zahlen liegen nicht vor. Corona-Pandemie, steigende Kosten - viele Familien seien an der Belastungsgrenze, heißt es vom Jugendamt. Und das trifft eben auch immer mehr junge Menschen mit Behinderung. Aus dem gesamten Bundesgebiet kommen Kinder nach Kassel.
"Die jungen Menschen sind auf Grund ihrer Beeinträchtigung in manchen Fällen darauf angewiesen, dass eine andere Person die Körperpflege bei ihnen durchführt, die Toilettengänge begleitet und oder das Wickeln übernimmt und Mahlzeiten zuführt", so die Information des Jugendamts. Der "Hafen" sei ein Gewinn und verbessere die Versorgung.
Inklusion soll auch in der Jugendhilfe Normalität werden
Unten im Haus gibt es eine große Gemeinschafts-Küche, einen Spielraum, sogar ein Kinozimmer. Oben haben alle Kinder ihr eigenes Zimmer. Bett, Schreibtisch, Holzboden, freundliche Farben. Die Kinder sollen hier Struktur bekommen, einen Alltag in der Krise leben können.
Eine Herausforderung für die Mitarbeiter. Sie müssen immer kurzfristig reagieren, wenn ein neues Kind kommt, eilig Kleidung oder Medikamente besorgen, Arzttermine organisieren. Und teils auch die Kinder zur Schule fahren.
In Schulen und Kitas gehört Inklusion schon seit vielen Jahren zum Alltag. In der Jugendhilfe soll sie ab 2028 gelten. Für Behörden und Jugend-Einrichtungen ist das eine Mammutaufgabe - auch mit Blick auf den deutlich höheren Personalaufwand. "Es ist nicht leicht, Personal zu finden", sagt Seidemann-Schawer. "Wir freuen uns über alle, die den Mut dazu haben, es auszuprobieren."