Kliniken schlagen Alarm Gewalt in Notaufnahmen - und was dagegen unternommen wird
In den Notaufnahmen von Kliniken kommt es immer häufiger zu Gewalt: Ungeduldige Patienten oder Angehörige rasten aus und attackieren das Personal. Eine hr-Umfrage zeigt, wie weit verbreitet das Problem ist und was die Kliniken dagegen tun - mit Security und Panik-Räumen.
Der Alltag in den Notaufnahmen von Hessens Krankenhäusern ist hart. Und er wird offenbar härter. Mitverantwortlich dafür: Zunehmende Gewalt, der sich das Personal von Patienten oder deren Angehörigen immer häufiger ausgesetzt sieht.
Beleidigungen und Bedrohungen sind an der Tagesordnung. Und nicht selten kommt es zu körperlichen Angriffen, sagen etwa Führungskräfte des Krankenhauses in Frankfurt-Sachsenhausen. Thomas Anderson, stellvertretender Pflegedirektor, weiß: "Man braucht ein dickes Fell." Doch zuweilen kann nur noch die Polizei helfen.
Schläge im Drogenrausch
Anderson erinnert sich an sein heftigstes Erlebnis: Ein Patient rastete aus und attackierte mehrere Mitarbeiter mit Schlägen. "Dann riss er einen an einer Kette befestigten Stempel aus der Wand und verwendete den wie einen Morgenstern, hat damit um sich geschlagen und jeden getroffen, der ihm zu nahe kam."
Erst mehr als ein halbes Dutzend Polizisten konnte den Patienten mit Schlagstöcken, Pfefferspray und am Ende mit einem Taser bändigen.
Sicherheitskonzepte gegen zunehmende Gewalt
Gewalt-Erfahrungen wie in Sachsenhausen haben auch andere Kliniken in Hessen gemacht. Eine Umfrage von hr und der Hessischen Krankenhausgesellschaft bei mehr als 20 Einrichtungen ergab: Fast überall gehören Aggressionen - verbal oder nonverbal - zum Alltag.
Um das Personal vor Krawall-Machern zu schützen, wurden Sicherheitskonzepte entworfen und Security-Leute engagiert.
Forderung: Gewalt-Probleme dringend lösen
Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) ist alarmiert von Attacken auf medizinisches Personal. Steffen Gramminger, Geschäftsführender Direktor der HKG, erklärt: "Die Rückmeldungen unserer Krankenhäuser sprechen eine eindeutige Sprache. Die angespannte Situation in den Zentralen Notaufnahmen bis teilweise hin zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Patientinnen und Patienten beziehungsweise deren Angehörigen muss dringend gelöst werden."
Die HKG macht für solche Zwischenfälle auch die Politik verantwortlich: Notaufnahmen seien eigentlich nur für lebensbedrohliche Erkrankungen zuständig, etwa für Schlaganfälle, Herzinfarkte und schwere Unfälle. Diese hätten Vorrang.
Patientensteuerung nicht verständlich geregelt
Gleichzeitig müssten aber auch eher leichtere Notfälle des ambulanten Bereichs mitversorgt werden. Dadurch komme es für die Patienten zu nicht nachvollziehbaren langen Wartezeiten. "Unser System der ambulanten Notfallversorgung versagt an dieser Stelle schon seit Jahren", kritisiert Gramminger.
Gramminger erklärt: Es fehle an klarer Patienten-Steuerung und -Aufklärung, aber auch an klaren Zuständigkeiten zwischen Krankenhäusern, Vertragsärzten und Kassenärztlicher Vereinigung. "Hier muss die Politik handeln und eine eindeutige, für die Bevölkerung verständliche Patientensteuerung regeln."
Bedrohungen, Schläge und Messer-Attacken
Von Fällen körperlicher Gewalt wird auch aus dem Mathilden-Hospital in Büdingen (Wetterau) berichtet. Eine Mitarbeiterin wurde durch ein Messer verletzt, ein anderer Mitarbeiter mit einer Stichwaffe bedroht und geschlagen, wie die Klinik mitteilt.
Eine Klinik-Sprecherin sagt: "Im Prinzip kommt es täglich zu grenzüberschreitendem Verhalten." Die Mitarbeitenden seien mit verbalen Aggressionen konfrontiert und würden beleidigt - mit "teils sexualisierten Kraftausdrücken". Das aggressive und fordernde Verhalten von Patienten und Angehörigen habe zuletzt spürbar zugenommen.
Prellungen und eine Platzwunde
Aus dem Kreiskrankenhaus Rotenburg an der Fulda erzählt eine Klinik-Sprecherin: "Eine Mitarbeiterin der Notfallambulanz wurde von einem alkoholisierten, aggressiven Patienten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, was zu Prellungen und einer Platzwunde führte."
Sie erklärt weiter: "Es gibt vermehrt Tumulte. Ärger aufgrund von langen Wartezeiten ist das Hauptthema in der Abteilung." Patienten hätten kein Verständnis für lange Wartezeiten, kein Verständnis dafür, dass die eigene Verletzung kein Notfall sei und gegebenenfalls auch über den Hausarzt behandelt werden könnte. "Der Ton wird unabhängig von Alter, Geschlecht oder Ethnie rauer. Eine Steigerung ist seit einigen Jahren zu beobachten."
Polizei muss regelmäßig gerufen werden
Das St. Josefs Krankenhaus in Gießen beobachtet "aggressives Verhalten, respektlose Kommunikation und Drohungen". Von körperlichen Bedrohungen berichtet auch das Agaplesion Krankenhaus in Gießen. Regelmäßig müsse die Polizei zur Unterstützung gerufen werden.
Und mitunter verfolgen die Aggressionen das Personal bis ins Privatleben. Das Krankenhaus Frankenberg berichtet, dass Mitarbeitenden der Notaufnahme von Patienten in sozialen Medien nachgestellt worden sei.
Die Auslöser für die Aggressionen von Patienten oder Angehörigen sind vielfältig. Häufig geht es aber darum, dass Patienten zu wenig Geduld bei den Wartezeiten aufbringen, wie die Umfrage zeigt.
Warten sei nicht gerade die Kernkompetenz einiger Patienten, kommentiert ein Klinik-Geschäftsführer aus Kassel. Oftmals fehlten auch Wissen oder Akzeptanz bei welchen schweren Fällen überhaupt eine Notaufnahme aufgesucht werden sollte.
Gewalt mit Folgen: Personal verlässt Kliniken
Die Aggressionen von Patienten oder deren Angehörigen haben im Klinik-Alltag schwerwiegende Folgen. "Es führt vor allem dazu, dass die berufliche Verweildauer weiterhin abnimmt", erklärt eine Klinik-Sprecherin aus Büdingen. Auch das Klinikum Darmstadt sieht eine gefährliche Entwicklung: "Die Folgen sind Frustration, Burnout und Kündigungen bei bereits knappem Personal."
Um ihr Personal zu schützen, haben viele Kliniken reagiert. Angeboten werden Kurse und Deeskalations-Trainings, um brenzlige Situation zu entschärfen. Auch Selbstverteidigungskurse werden abgehalten. Um Hilfe zu rufen, haben Kliniken fest installierte, zuweilen versteckte oder tragbare Alarmknöpfe eingeführt. Videoüberwachung gibt es auch. Und einige Häuser haben Sicherheitsdienste engagiert.
Zwei Panikräume in Sachsenhäuser Klinik
Das Krankenhaus in Frankfurt-Sachsenhausen hat neben einer Reihe von Maßnahmen auch zwei Räume, die als "Panic Room" verwendet werden können. Dorthin kann sich Personal im Notfall flüchten. Die Tür lässt sich von außen von Unbefugten nicht öffnen. "Die Maßnahmen haben sich bewährt", berichtet Bijan Dilmaghani, Chefarzt der Notaufnahme.
Die Auswirkungen der Gewalt können dadurch zwar behandelt werden. Die Auslöser bekommen sie im Vergnügungsviertel mit Party-Volk und Drogen-Problemen aber nicht in den Griff. "Das Schlimme ist", sagt Anderson, "wir werden hier quasi als Ausnüchterungszelle benutzt - aber es gibt keinerlei finanzielle Unterstützung für die Sicherheit in den Notaufnahmen. Alles muss von der Klinik selbst finanziert werden."
Anderson sagt: "Das führt bei der angespannten finanziellen Situation bei vielen Häusern zur Frage: "Setze ich einen Sicherheitsdienst ein – oder nicht." Im Sachsenhäuser Krankenhaus haben sie sich für eine Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen entschieden. Damit das medizinische Personal nach Gewaltausbrüchen nicht selbst zu Patienten wird.