Lebensgefährliche Abkürzung Warum Niederweimar ein Hotspot für illegale Gleisüberquerungen ist
Um einen langen Umweg zu vermeiden, laufen im mittelhessischen Niederweimar viele Menschen direkt über die Gleise. Einen Todesfall gab es bereits. Gemeinde, Polizei und Bahn wollen nun handeln.
Die paar Meter, rüber auf die andere Seite - das denken sich viele Bahnreisende in Niederweimar (Marburg-Biedenkopf). Die schnelle Abkürzung über die Bahngleise kann allerdings tragisch enden: 2020 starb hier eine junge Frau im Gleisbett. Sie hatte den heranrasenden Zug nicht gehört.
Der kleine Bahnhof in der Gemeinde Weimar zwischen Marburg und Gießen gilt als Hotspot für illegale Gleisüberquerungen. Das Problem: Es gibt hier keinen klassischen Bahnübergang, sondern lediglich eine etwas abseits gelegene Verkehrsbrücke, auf die man aber nur von einem der Gleise aus direkt gelangt. Die Folge ist ein 800 Meter langer Umweg - mehr als fünf Minuten.
Auch laut Bahn und Bundespolizei gibt es in Niederweimar auffallend viele illegale Gleisüberschreitungen. Besonders im Sommer würden viele Menschen zum nahegelegenen Badesee wollen, einem beliebten Ausflugsziel in der Region. Von den Gleisen führen mittlerweile Trampelpfade dorthin.
Immer wieder tragische Unfälle
In Hessen gibt es immer wieder Todesfälle bei illegalen Gleisüberschreitungen, auch andernorts. In Langenselbold (Main-Kinzig) etwa wurden kürzlich zwei junge Männer vom ICE erfasst. Sie wollten einen Bus erreichen und überquerten die Gleise, statt die Unterführung zu nehmen. Statistisch werden solche Fälle aber laut Bundespolizei hessenweit nicht erfasst.
Hinzu kommen Fälle, in denen zwar niemand zu Tode kommt, aber dafür der Bahnverkehr aufgehalten wird, wie etwa vergangene Woche in Vellmar (Kassel). Auch das kann Konsequenzen haben.
Das unerlaubte Überqueren von Gleisen ist nicht nur lebensgefährlich, sondern auch verboten. Wer erwischt wird, muss mit Bußgeld rechnen. In Fällen wie in Vellmar wird außerdem wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr ermittelt. Es ist eine Straftat.
Illegale Überquerungen in Niederweimar gehäuft
"Viele Leute unterschätzen die Gefahr", sagt Bundespolizist Ibrahim Aras beim Ortstermin in Niederweimar. Der Bundespolizist ist hier häufig auf Streife und ertappt sogenannte Gleisläufer auf frischer Tat.
"Die Leute meinen: Wenn sie keinen Zug sehen, nähert sich in nächster Zeit auch keiner‘", sagt Aras. "Aber die neuen Züge nähern sich fast lautlos." Wenn man sie hört, sei es meistens schon zu spät.
Gefahr auch durch Strom
Hinzu kommt: Nicht nur die Züge sind eine Gefahr, sondern auch die Oberleitungen mit einer Spannung von 15.000 Volt. Die Bundespolizei warnt: Man könne durch einen Stromüberschlag sterben, sogar mit 1,5 Metern Abstand und wenn man sie nicht berührt.
In Niederweimar weisen seit dem tödlichen Unfall rot umrandete Schilder am Bahnsteig auf die Gefahr und das Verbot hin. Mittlerweile warnt auch am Badesee ein großes Banner am Zaun davor.
Bürgermeister: Brücke wird umgebaut
Dass es in Niederweimar keine schnelle Möglichkeit gibt, die Gleise legal und gefahrlos zu überqueren, sei ein großes Ärgernis für die Gemeinde, meint auch Bürgermeister Markus Herrmann (parteilos). Man wisse um das Problem seit Langem. Die Gemeinde hoffe seit Jahren auf eine bauliche Änderung.
Die aktuelle Lösung: Die bestehende Brücke soll abgerissen und komplett erneuert werden. Sie soll dann einen beidseitigen Treppenaufgang bekommen, sodass man direkt von den Gleisen aus hochkommt. Ein kleiner Laufweg bleibt, jedoch ein deutlich kürzerer. Ende des Jahres solle es mit dem Bau losgehen, sagt Herrmann. "Wir sind damit sehr zufrieden."
Bahn: An Vernunft appellieren
Bis es so weit ist, können Bahn und Polizei wohl nur weiter Bußgelder verteilen, warnen und aufklären. Ein Präventionsteam von DB Sicherheit - dem Sicherheitsdienstleister der Deutschen Bahn (DB) geht dafür regelmäßig in Schulen.
Dass Menschen über die Gleise gehen, kann man nie komplett verhindern, meint Ronald Wachsmuth von DB Sicherheit und zeigt auf einen der Trampelpfade. "Wenn wir den hier absperren, würde da schon bald irgendwo ein anderer entstehen."
"Wir können da nur an die Vernunft appellieren", meint Wachsmuth. Er sagt: Ein Umweg von 15 bis 20 Minuten könne das Leben vielleicht um 15 bis 20 Jahre verlängern.