Mehr Wachtelkönige als üblich Hochwasserflüchtlinge aus Bayern erfreuen Vogelexperten in Hessen

Hessische Vogelschützer sind begeistert: In diesem Jahr hören sie den seltenen Wachtelkönig nicht nur in der Rhön knarren, sondern auch im Kinzigtal. Damit die Bodenbrüter überleben, müssen auch Landwirte mithelfen.

Ein Wachtelkönig erzeugt einen Ruf.
Wachtelkönige sind in diesem Jahr im Main-Kinzig-Kreis unterwegs. Bild © Jörg Amberg
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Die vom Aussterben bedrohten Wachtelkönige haben sich in diesem Jahr in Hessen ein ungewöhnliches Brutgebiet ausgesucht: das relativ dicht besiedelte Kinzigtal zwischen Gelnhausen und Bad Soden-Salmünster (Main-Kinzig-Kreis). Mindestens fünf Männchen haben Vogelexperten in einer Wiese in der Nähe des Flusses festgestellt - und das nicht weit der vielbefahrenen Autobahn 66.

"Das ist sehr ungewöhnlich", sagt der Vogelexperte Stefan Stübing, der sich freut, dass er auf einem Streifzug bei Sonnenuntergang von gleich fünf Exemplaren den typischen, knarrenden Ruf hört. Der Wachtelkönig, mit wissenschaftlichem Namen Crex crex, heißt nicht umsonst auch Wiesenknarrer.

Außergewöhnlich feuchte Wiesen

"Hören wir einen Wachtelkönig tags oder in der Dämmerung rufen, ist das ein sehr guter Hinweis, dass auch Weibchen im Gebiet sind und gebrütet wird", sagt Stübing. Der Diplom-Biologe ist im Auftrag der staatlichen Vogelschutzwarte unterwegs und hält Brutgebiete des extrem seltenen Wiesenvogels in einer Karte fest.

Der Experte geht davon aus, dass es sich bei den Wachtelkönigen an der Kinzig gewissermaßen um Hochwasserflüchtlinge aus Bayern handelt, deren Brutgebiete dort im Frühsommer überschwemmt wurden. Auch in Hessen waren Frühling und Sommer sehr nass, deswegen gibt es nun an der Kinzig feuchte Wiesen an Stellen, die in normalen Jahren trocken wären.

"Die Wiesen sind daher für den Wachtelkönig diesmal so einladend, dass er sie trotz der nahen Autobahn attraktiv findet", erklärt der 51 Jahre alte Vogelexperte aus Bad Nauheim (Wetteraukreis). Nachts immerhin werde der Lärm auf der A66 leiser. "Ideal ist das natürlich nicht, da ist die Rhön für den Vogel viel einladender", sagt Stübing. In trockeneren Jahren werde der Wachtelkönig vermutlich nicht wieder an die Kinzig kommen.

"Teil unseres Naturschutz-Tafelsilbers"

Jetzt ist der seltene Sommergast aber da. Und darüber freuen sich Naturschützer sehr. Früher gab es in Hessen - beispielsweise in Feuchtwiesen an der Eder, der Lahn, in der Schwalm, der Wetterau, an Rhein und Main und in den Mittelgebirgen wie der Rhön - einige hundert, in manchen Jahren vermutlich über 1.000 Wachtelkönige. 

"Inzwischen haben wir Menschen den Lebensraum des Wachtelkönigs durch die Trockenlegung von Wiesen, durch mehrmaliges Mähen im Jahr und starke Düngung so stark eingeschränkt, dass es derzeit in Hessen theoretisch nur noch Platz für 100 oder 200 Tiere gibt", sagt Stübing und schränkt gleich ein: Tatsächlich seien es viel, viel weniger.

Ein Mann mit großem Fernglas steht vor einer Wiese
Vogelexperte Stefan Stübing auf Wachtelkönig-Pirsch im Kinzigtal. Bild © picture-alliance/dpa

In guten Jahren verbringen vielleicht noch 40 bis 60 Wachtelkönige den Sommer im Hessenland, wie Stübing schätzt, im Normalfall aber nur etwa 25. 2017 seien in Hessen sogar gerade einmal noch drei rufende Männchen festgestellt worden.

Dieser Rückgang sei aber nicht nur in Hessen und Deutschland, sondern eigentlich im gesamten westlichen Teil seines Verbreitungsgebiets zu beobachten, das von Schottland bis nach Sibirien reiche. Der Wachtelkönig sei EU-weit geschützt und gehöre aufgrund seiner großen Seltenheit "zu unserem Naturschutz-Tafelsilber", findet Stübing.

Entschädigung für Landwirte

Bei den Bemühungen zum Schutz des bedrohten Vogels stehen örtliche Vogelkundler an vorderster Front, die etwa über die Plattform ornitho.de Hinweise auf mögliche Vorkommen melden. Diese Meldungen werden von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie (HGON) geprüft.

Wird der Wachtelkönig nachgewiesen, tragen Artberater wie Stübing das jeweilige Brutgebiet in besondere Karten ein und geben die Daten an die Unteren Naturschutzbehörden weiter.

Um die Vögel nicht zu gefährden, warnen die Behörden den jeweiligen Bewirtschafter der Wiese. Nach Darstellung von Stübing erhalten Landwirte eine staatliche Entschädigung für den Ertragsverlust, wenn er später als geplant mäht.

Die Mähmaschinen stellen für Wachtelkönige die höchste Gefahr dar. Die Vögel vertrauen auf ihre Tarnung und fliegen oft nicht weg. "So passiert es leider, dass die Gelege bei der Mahd zerstört und die Tiere getötet werden", schildert Stübing.

Vogelschützer: Aufwand gerechtfertigt

Nach Aussage des Leiters der hessischen Vogelschutzwarte in Gießen, Simon Thorn, zahlt sich das intensive Wachtelkönig-Management aus: Die Landwirte seien oft sogar begeistert von dem seltenen Vogel auf ihren Wiesen. Kein Landwirt werde absichtlich Wachtelkönige niedermähen, betont Thorn.

Der hohe Aufwand für den etwa 25 Zentimeter großen Zugvogel, der den Winter in Ostafrika verbringt, ist nach seiner Ansicht gerechtfertigt. Da gebe es zum einen natürlich die gesetzliche Verpflichtung zum Artenschutz, erklärt Thorn: "Abgesehen davon ist der Wachtelkönig eine charismatische Art und auch aufgrund seines eigenen Wertes erhaltungswürdig." Es sei ein besonderes Erlebnis, den Ruf des Wachtelkönigmännchens nachts über einer vernebelten Wiese zu hören.

Hotspot Rhön

Hotspot der Wachtelkönige in Hessen ist die Rhön. "Dort gibt es Stellen, zu denen die Vögel jedes Jahr zurückkehren. Das Biosphärenreservat und der Landkreis achten sehr stark auf die Art", lobt Vogelfreund Stübing. Im Kreis Fulda werden seit Jahren das Vorkommen des Bodenbrüters erfasst und Mäh- und Beweidungstermine verschoben. Brutgebiete gebe es etwa rund um die Wasserkuppe, am Roten Moor und an mehrere Ecken entlang der Landesgrenze zu Bayern.

"Das funktioniert in der Rhön sehr gut und klappt hier im Kinzigtal nun ebenso", freut sich Stübing. So könne mit geringem Aufwand ein sehr guter Ausgleich zwischen dem Schutz des extrem seltenen Vogels und den Interessen der Landwirtschaft erzielt werden.

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Quelle: Michael Bauer (dpa/lhe)