Mobbingvorwurf gegen Gießener Polizeipräsidenten "Wenn das nicht aufhört, bau' ich meine 8.000 Überstunden ab"
Mobbing, das krank macht? Oder eine Intrige? Das Innenministerium prüft Vorwürfe eines Beamten gegen den Gießener Polizeipräsidenten Bernd Paul. Der weist das von sich, aber sein früherer Stellvertreter belastet ihn.
Die wenigen Wochen noch bis Ende August, dann geht Bernd Paul in den Ruhestand. Er blickt auf einen stetigen Aufstieg vom Wachtmeister zum Polizeipräsidenten von Mittelhessen zurück. Dankbar sei er für die "spannende berufliche Zeit“, sagte der 65-Jährige schon vor Monaten dem Gießener Anzeiger.
Die letzten Tage bis zur Abschiedsfeier hätte sich der Karrierebeamte vermutlich aber etwas ruhiger gewünscht. Seit einigen Monaten kocht ein jahrelanger Streit in der Chefetage des Präsidiums hoch. Das weiß auch das Innenministerium, wie ein Sprecher auf hr-Anfrage bestätigte.
In einem "internen Verwaltungsverfahren" werden Mobbingvorwürfe gegen Paul untersucht. Noch liefen die Ermittlungen, heißt es in einer ausführlichen Stellungnahme. Inzwischen seien auch Mitglieder des Innenausschusses informiert worden, die angefragt haben.
Vor Gericht kam es zur Sprache
Es geht um heftige Anschuldigungen eines leitenden Polizeibeamten. Unter Paul, der seit 2016 Polizeipräsident ist, war er lange Chef der Personalverwaltung. Paul habe ihn über Jahre systematisch gemobbt und isoliert. Er sei vom Arzt wegen Mobbings auch schon arbeitsunfähig geschrieben worden.
Der 57 Jahre alte mutmaßliche Betroffene will sich gegenüber dem hr nicht äußern. Er tat es aber bereits Ende vergangenen Jahres in einem Strafverfahren vor dem Gießener Amtsgericht. Da war er allerdings Angeklagter.
In die Bauabteilung "befördert"
Das Zerwürfnis in der Polizeiführung landete vor Gericht, nachdem der Personalchef im Herbst 2021 von einer Woche auf die andere als Koordinator in die Bauabteilung des Polizeipräsidiums versetzt worden. Als Gunstbezeugung war das nicht misszuverstehen, zumal der Betroffene ein erfahrener Mann ist, der ein Lagezentrum leiten konnte und auch bei Großeinsätzen dabei war.
Beim Umzug in die Bauabteilung soll sich der Beamte der "vorsätzlich rechtswidrigen Unterdrückung von Daten" schuldig gemacht habe: Einige dienstliche Dateien zog er demnach auf dem PC in seinen privaten Bereich. Das Polizeipräsidium zeigte den Mann an. Der Beamte bestritt den Vorwurf bis in die Gerichtsverhandlung hinein, akzeptierte dann aber nach einjährigem Verfahren eine Geldstrafe.
Gegen den 57-Jährigen läuft derzeit nach dem Straf- noch ein Disziplinarverfahren. Bis das abgeschlossen ist, so der Plan, wird er weiterhin an einer anderen Dienststelle arbeiten. Dorthin war er wegen der Ermittlungen bereits im Frühjahr 2022 "im allseitigen Interesse" abgeordnet worden. Die Sache sollte den Dienstbetrieb nicht stören, erklärt das Ministerium. Und es betont: Der Wechsel sei auch aus Fürsorgegründen erfolgt - und mit dem Einverständnis des Betroffenen.
Längere Vorgeschichte
Die Mobbingvorwürfe sieht Polizeipräsident Paul nach eigenen Angaben vor dem Hintergrund dieses Verfahrens, er weist sie gegenüber dem hr kategorisch als "unbegründet" zurück. Ihm selbst sei es auch in diesem Fall einzig darum gegangen, in seiner 2.100-Mitarbeiter-Behörde "Fehlverhalten einzelner Bediensteter abzustellen und damit gerecht umzugehen". Der Beamte, der ihm Mobbing vorwirft, sei schließlich auch rechtskräftig verurteilt worden.
Mit dem Prozess in Gießen muss aber etwas eskaliert sein, was schon vorher lange schwelte. Als gegen ihn wegen der Dateien ermittelt wurde, wandte sich der Mitarbeiter Pauls nach Angaben des Innenministeriums mit den Mobbing-Anschuldigungen an das Landespolizeipräsidium. Vorher allerdings habe er aber schon bei anderen polizeiinternen Institutionen um Unterstützung gebeten, da die Situation für ihn belastend sei: beim "Ansprechpartner der Polizei" (AdP), dem Zentrum für Polizeipsychologische Dienste und Services sowie bei der Personalberatung.
Eine längere Vorgeschichte legt auch eine brisante Zeugenaussage nahe. Sie hat die Untersuchung gegen den Polizeipräsidenten maßgeblich ausgelöst, weil sie Paul belastet. Sie stammt von dessen früherem Stellvertreter Peter Kreuter, der im Ruhestand ist.
"Das ist für mich Mobbing"
Der Ex-Vize-Polizeipräsident berichtete vor dem Gericht in Gießen von "atmosphärischen Störungen", wie dem betroffenen Polizisten das Leben zunehmend schwer gemacht worden und dass der auch krank geworden sei. Der Vize hat seinem Vorgesetzten Paul nach eigenen Angaben deshalb vorgehalten, "dass das für mich Mobbing ist, was er tut".
Kreuter warnte den Polizeipräsidenten demnach sogar, er dürfe mit dem Mitarbeiter nicht weiter so umspringen. Wenn Paul damit nicht aufhöre, werde er "einfach nach Hause gehen, weil ich 8.000 Überstunden habe". Vom Ex-Vizepräsidenten war dazu keine weitere Stellungnahme zu erhalten.
Anfeindungen, Demütigungen, Ausgrenzungen
Unerfreuliche Nachrichten aus dem hessischen Polizeiapparat mit seinen 21.000 Bediensteten gab es in den vergangenen Jahren häufiger. Minister Peter Beuth (CDU) bemüht sich mit vielfältigen Maßnahmen um eine neue "Führungs- und Fehlerkultur" bei der Polizei. Ausgelöst hatten das vor allem Affären wie die um rechte Umtriebe bei der Polizei. Aber auch gegen Mobbing geht das Innenministerium nach eigenen Angaben konsequent vor.
Was darüber bekannt sei, hatte das Ministerium im Juni auf eine Anfrage der Linksfraktion im Landtag mitgeteilt. Demnach meldeten in den vergangenen drei Jahren 23 Polizistinnen und Polizisten, gemobbt zu werden. Das heißt andauernde Anfeindungen, Demütigungen und Ausgrenzungen.
Dunkelziffer und Anlaufstellen
In lediglich einem Fall bestätigte sich demnach der Verdacht auf systematisches Mobbing. Es wurden allerdings insgesamt acht Disziplinarverfahren eingeleitet. Sechsmal kam es zu strafrechtlichen Ermittlungen. In Frankfurt hatte sich vor kurzem ein Polizist mit arabischem Vornamen auf ein anderes Revier versetzen lassen, weil Kollegen ihn gemobbt hätten, wie die Frankfurter Rundschau berichtete. Gegen die mutmaßlichen Täter wird ermittelt.
Ein Dunkelfeldstudie zur Abschätzung, wie viele Mobbingopfer sich nicht melden, gab es bislang nicht. Das Innenministerium verweist darauf, dass es für betroffene Polizistinnen und Polizisten zahlreiche Anlaufstellen gibt.
SPD: Polizei kommt nicht zur Ruhe
Für die Vorwürfe gegen Paul gilt nach Angaben des Innenministeriums wie stets: Jeder einzelne Hinweis auf Dienstverstöße werde geprüft, jedem Sachverhalt konsequent nachgegangen. "Sofern konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Dienstpflichten zutage treten, werden diese disziplinarrechtlich geahndet und für die künftige Vermeidung aufgearbeitet." Eine abschließende Bewertung sei im aktuellen Fall aus Gießen aber noch nicht möglich.
Ein lückenlose Aufklärung forderte am Mittwoch die Opposition im Landtag. "Der Minister muss nicht nur beim Polizeipräsidium Gießen genauer hinschauen", sagte Jörg-Uwe Hahn, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Beim Polizeipräsidiums Westhessen gebe es Ungereimtheiten über die Aufklärungsquote in der Kriminalstatistik "und im Polizeipräsidium Frankfurt wird gerade ein großer Teil der Führungsmannschaft ausgetauscht".
"Unter Innenminister Beuth kommt die Polizei in Hessen leider nicht zur Ruhe", teilte Heike Hofmann von der SPD-Fraktion mit. Sie will den erhobenen Vorwürfen im Innenaussschuss per Berichtsantrags mit Fragen an den Minister auf den Grund gehen.
Sendung: hr-iNFO, 20.07.2023, 6 Uhr
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