Landgericht Gießen Mord ohne Leiche: Zwei Männer wegen heimtückischen Mordes verurteilt

Nach über 120 Verhandlungstagen hat das Landgericht Gießen zwei Männer wegen heimtückischen Mordes an einem Bekannten verurteilt. Doch der Fall bleibt rätselhaft – die Leiche des Opfers ist bis heute verschwunden.

Sechs Personen im Gerichtssaal. Einer hält sich einen Aktenordner vors Gesicht, einer ist verpixelt. Die anderen tragen schwarze Roben.
Die Angeklagten Olaf C. und Robert S. (hintere Reihe) mit ihren Verteidigern bei der Urteilsverkündung Bild © Rebekka Dieckmann
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Absurd. Sie habe das Wort eigentlich nicht verwenden wollen, so die Vorsitzende Richterin. Denn: Die Angeklagten hätten immer wieder im Prozess gezeigt, dass ihre Denkmuster abseits dessen lägen, was die meisten Menschen als normal bezeichnen würden. Aber selbst für die Verhältnisse der beiden sei das, was sie vor Gericht erzählt haben, nun mal: absurd.

Die Richterin am Landgericht Gießen weiß, wovon sie spricht. Fast vier Jahre lang hat sie ihnen gegenüber gesessen: Olaf C., einem 48 Jahre alten Mathelehrer aus dem Main-Kinzig-Kreis und Robert S., einem 44 Jahre alten IT-Spezialisten aus dem Main-Taunus-Kreis.

Nun steht fest: Beide sind schuldig des heimtückischem Mordes an dem damals 39 Jahre alten Daniel M. aus Hanau. So hat es das Landgericht am Montagnachmittag verkündet, nach 127 Verhandlungstagen in einem außergewöhnlichen Prozess. Die Strafe lautet lebenslange Haft für beide.

"Als Stoff für einen Film wäre das sein Geld wert gewesen"

Als die Richterin im Stakkato auflistet, was in diesen vier Jahren alles vor Gericht passiert ist, muss sie zwischendurch fast nach Luft schnappen. 70 Zeugen, 137 Beweisanträge, sieben Sachverständige, zwei durchsuchte Seen, mehrere durchsuchten Wohnungen und vor allem eins: tagelange Ausführungen der beiden Angeklagten.

"Was ich jetzt referiere, wäre als Stoff für einen Film sein Geld wert gewesen", so die Richterin. Es sei so bizarr, so gruselig, so menschenverachtend, dass letztlich vor allem ein Wunsch bleibe: Es möge den beiden Männern bei all dem tatsächlich um Geldbeschaffung gegangen sein und nicht um das, was auch als Motiv im Raum steht: Sie wollten "üben", wie es ist zu töten.

Gericht schließt Alleintäterversion aus

Beide Männer hatten im Verfahren einräumt, dass Daniel M. sei im November 2019 in ihrem Beisein erschossen worden sei. Sie behaupteten aber beide, der jeweils andere habe geschossen. Dass sie jahrelang keine Anzeige erstattet hätten, begründeten sie damit, vom Täter unter Druck gesetzt worden zu sein.

Im Urteil hieß es: Die Angeklagten hätten im Verfahren eine "spiegelbildliche Alleintäterversion" des jeweils anderen präsentiert. Dies schließe das Gericht aber aus.

Die Tat habe rein praktisch nicht von einem Alleintäter begangen werden können, heißt es im Urteil. Beide hätten gemeinsam geplant, Daniel M. zu entführen und zu töten. Auch die Beschaffung der Mordwaffe hätten beide gemeinsam organisiert.

Es sei eine absurde Vorstellung, jemand plane, einen anderen zu töten, tue dies bewusst vor einem Zeugen, lasse Leiche und Tatkleidung am Tatort zurück und verlasse sich dann darauf, dass der andere nicht nur dicht hält, sondern auch aufräumt. Selbst unter Berücksichtigung einer eventuellen Bedrohung sei das unvorstellbar, so das Gericht.

Olaf C. schoss, Robert S. war Mittäter

Olaf C. schoss dem Opfer laut Urteil bei einem Zwischenstopp auf dem Weg zu einer Hofreite in Hungen (Gießen) am Abend des 17. November 2016 im Auto von der Rückbank aus in den Hinterkopf. Dann wurden außerhalb des Autos noch weitere Schüsse auf das Opfer abgegeben. Hier ist laut Gericht unklar, durch wen. Weil Robert S. die Tat mit ausgeführt und geplant habe, sei er ebenso schuldig des Mordes wie Olaf C.

Nach dem Mord kam es schließlich zu einer Art Arbeitsteilung: Robert S. zerteilte die Leiche und brachte sie an einen bis heute unbekannten Ort. Olaf C., der mit dem Opfer viele Jahre befreundet gewesen war, beteiligte sich an der Suche nach dem vermissten Daniel M. und "überwachte" sie so. Dabei stellte er auch verschiedene Theorien zur Ablenkung auf, etwa die eines Suizids.

Motiv nicht sicher bestimmt

Laut Gericht kommen für die Tat mehrere Motive in Frage, möglicherweise auch ein "Motivbündel". Demnach könnte es sich sowohl um ein Entführungsszenario mit dem Ziel, Geld zu erpressen, gehandelt haben, als auch um eine Art "Übung" mit einem "leichten Opfer", um dann später eine reichere Person zu entführen.

Die beiden Angeklagten hätten sich vor und nach der Tat über verschiedene potentielle Entführungen ausgetauscht. Die Richterin betonte: Das "Töten, um zu üben" befinde sich auf der "untersten Stufe" eines möglichen Motivs. "Aber auch nach langer Beweisaufnahme kann das Motiv nicht sicher bestimmt werden", so die Richterin.  

Das Gericht folgte mit dem Urteil weitgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft, die jedoch zusätzlich auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert hatte. Die Verteidiger hatten jeweils auf unschuldig plädiert.

Komplizierter Verlauf wegen fehlender Leiche

Besonders kompliziert war das Verfahren, weil von der Leiche auch nach monatelanger Suche an verschiedenen Fundorten jede Spur fehlt. Robert S. behauptete im Prozess, die Leiche zerstückelt und im Starnberger See (Bayern) versenkt zu haben.

180 Tauchgänge wurden dort durchgeführt, doch gefunden wurde nichts - nur ein leerer Eimer. Auch andere Gewässer wurden durchsucht.

Ungewöhnlich ist auch: Die Angeklagten äußerten sich im Laufe des Prozesses ausführlich zu den angeblichen Tatabläufen - widersprachen sich allerdings immer wieder. Auch aus diesem Grund dauerte der Prozess so lang.

Indizienprozess und widersprüchliche Aussagen

Es handelte sich zudem um einen Indizienprozess. Als Beweismittel diente etwa ein Paar Handschuhe mit Schmauchspuren, an denen auch DNA von Olaf C. gefunden wurde. Dieser hatte im Verfahren allerdings behauptet, Robert S. habe das Beweismittel manipuliert und die Handschuhe beim Mord selbst getragen.

Um festzustellen, wem die Handschuhe passten, wurden im Verfahren sogar Handmodelle erstellt. Die Tatwaffe fehlt bis heute.

Der Vater des Opfers Daniel M. war im Prozess fast durchgängig anwesend und trat als Nebenkläger auf. Er forderte die Angeklagten bis zuletzt dazu auf, den Fundort der Leiche zu nennen, damit die Familie ihren Sohn beerdigen könne.

Weitere Informationen

Einer der längsten Mordprozesse?

Die Länge von Mordprozessen wird in Hessen nicht statisch erfasst. Es ist aber davon auszugehen, dass der Prozess um den "Mord ohne Leiche" mit mehr als 120 Verhandlungstagen einer der längsten Mordprozesse in Hessens jüngerer Rechtsgeschichte ist.

Als eines der längsten Verfahren gilt der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965) mit 183 Verhandlungstagen. Besonders umfangreich war beispielsweise 2019 der Prozess um vergiftete Frühchen in Marburg, bei dem 76 Verhandlungstage angesetzt waren. Der Prozess um den Mord von Walter Lübcke in Kassel umfasste 45 Verhandlungstage.

Am Landgericht Gießen ist kein Schwurgerichtsprozess aus den vergangenen Jahrzehnten bekannt, das so langwierig war wie das aktuelle Verfahren.

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Sendung: hr4, die Hessenschau für Mittelhessen, 3.3.2024, 6.30 Uhr

Quelle: hessenschau.de