Umsetzung der EU-Richtlinie Warum Anwohner Angst vor der Renaturierung eines Bachs haben
Der Richerbach bei Münster ist offiziell in schlechtem Zustand, deswegen muss er renaturiert werden. So schreibt es die EU vor. Doch Anwohner befürchten, die vermeintliche Naturschutzmaßnahme könnte nach hinten losgehen.
Auf der Wasseroberfläche glitzert das Sonnenlicht, Libellen summen und die Vögel zwitschern. Dazu das leise, beruhigende Plätschern des Wassers. Es ist schön hier am Richerbach in Münster-Altheim (Darmstadt-Dieburg).
Doch Matthias Sottong kann den Moment nicht wirklich genießen. Mit ernster Mine steht er am Ufer, denn er weiß: Der Schein trügt. "Auf den ersten Blick sieht das hier alles ganz schön aus", sagt der Experte vom Wasserverband Gersprenzgebiet. "Schaue ich mir aber Dinge wie etwa Vegetation, Bachverlauf oder Uferbeschaffenheit an, dann zeichnet sich ein anderes Bild."
"Die Gewässerstruktur ist sehr schlecht", führt Sottong aus. So sei zum Beispiel der Verlauf viel zu gerade. Und an vielen Stellen gebe es Hindernisse, wie etwa eine alte Wehranlage, die die Wanderung von Fischen und anderen Lebewesen verhindere.
Schlechte Note für den Richerbach
Das müsse sich ändern, sagt Sottong. Seiner Meinung nach, aber vor allem nach Meinung der EU. Denn die schreibt in ihrer Wasserrahmenrichtlinie vor, dass Gewässer mindestens Strukturgüte 2 haben müssen. Aktuell liegt der Richerbach zwischen 5 und 6, wobei 1 die beste und 7 die schlechteste Bewertung ist. "Deswegen wird der Richerbach nun renaturiert", sagt Sottong.
Die Strukturgüte gibt an, wie naturnah der Zustand eines Gewässers ist. Dabei werden laut Bundesumweltministerium etwa Verlauf, Uferbeschaffenheit und die Umgebung des Gewässers, also das potentielle Überschwemmungsgebiet, bewertet. Gewässer der Strukturgüte 1 weisen einen natürlichen Zustand auf, Gewässer der Strukturgüte 7 haben hingegen eine völlig veränderte Struktur. Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, alle Gewässe mindestens auf Stufe 2 zu heben, in der lediglich kleine Eingriffe erlaubt sind, die die Struktur nur gering beeinflussen. Mehr zu den einzelnen Gewässerstrukturklassen finden Sie beim Bundesumweltministerium.
Wie bemisst sich die Strukturgüte von Gewässern?
Die Strukturgüte gibt an, wie naturnah der Zustand eines Gewässers ist. Dabei werden laut Bundesumweltministerium etwa Verlauf, Uferbeschaffenheit und die Umgebung des Gewässers, also das potentielle Überschwemmungsgebiet, bewertet. Gewässer der Strukturgüte 1 weisen einen natürlichen Zustand auf, Gewässer der Strukturgüte 7 haben hingegen eine völlig veränderte Struktur. Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, alle Gewässe mindestens auf Stufe 2 zu heben, in der lediglich kleine Eingriffe erlaubt sind, die die Struktur nur gering beeinflussen. Mehr zu den einzelnen Gewässerstrukturklassen finden Sie beim Bundesumweltministerium.
Eine schöne Sache – könnte man meinen. Doch nicht alle sehen das so. Einigen Anwohnerinnen und Anwohnern bereitet das Vorhaben des Wasserverbands Bauchschmerzen. Vor allem jenen, die Grundstücke direkt am Bach besitzen. Denn der Wasserverband hat entschieden, dass für eine ordentliche Renaturierung jeweils zehn Meter Fläche an beiden Ufern nötig ist und hat dafür ein sogenanntes Flurbereinigungsverfahren beantragt.
Dieses Verfahren ist jetzt angelaufen. In diesem Zuge wird allen, die Land im betroffenen Gebiet besitzen, eine Ausgleichsfläche angeboten, die der Größe und dem Wert des bisherigen Besitzes entspricht. Anders gesagt: Die Eigentümer sollen Teile ihrer Grundstücke abgeben. Dazu hat das zuständige Amt für Bodenmanagement in Heppenheim (Bergstraße) Kontakt zu den etwa 150 Parteien aufgenommen.
Anwohner machen sich Sorgen
Einige sind mit der geplanten Maßnahme nicht einverstanden. Einer von ihnen ist Werner Lehr, der seit mehr als 40 Jahren eine Streuobstwiese am Ufer des Bachs pflegt. Er will keine Ausgleichsfläche, denn es ist ein kleines Paradies, dass sich Lehr über die Jahrzehnte geschaffen hat. Auf dem Grundstück stehen viele alte Bäume mit alten Obstsorten, wie etwa der Birne "Gute Luise".
Obwohl die Bäume auch innerhalb des festgelegten Zehn-Meter-Streifens stehen bleiben dürfen, hat er Angst, die Renaturierung mit der einhergehenden Verbreiterung des Bachs könnte des Aus für seine geliebte Streuobstwiese bedeuten. "Wenn hier ständig alles unter Wasser steht, dann gehen die Bäume irgendwann kaputt."
Eine Befürchtung die auch Lehrs Nachbarn teilen. "Das Grundwasser ist jetzt schon so hoch", sagt Susanne Pieschel, die zusammen mit ihrem Mann ebenfalls eine Streuobstwiese pflegt. Es sei anzunehmen, dass bei einem breiteren Fluss alle Bäume unter Wasser stünden und das nicht überlebten.
"Wir laufen sehenden Auges ins Unglück"
Sorgen, die auf eigenen Erfahrungen basieren. Denn schon jetzt tritt der Bach nach Angaben der Betroffenen des Öfteren über seine Ufer. "Nur ein paar Kilometer von hier haben sich viele Biber angesiedelt, die durch ihre Dämme immer wieder für Überschwemmungen sorgen", erklärt Landwirt Jürgen Schöltzke, der Flächen nahe des Bachs besitzt und zusammen mit Lehr und 13 weiteren Grundstücksbesitzern Widerspruch gegen die Flurbereinigung eingelegt hat.
Er glaubt, dass die Überschwemmungen nach der Renaturierung auch die landwirtschaftlichen Flächen weit außerhalb der zehn Meter breiten Streifen an beiden Ufern treffen wird. "Wir laufen sehenden Auges ins Unglück", sagt Schöltzke und bezieht sich dabei auf die Zustände etwa in den nahen Gemeinden Groß-Umstadt oder Babenhausen. Hier haben Biber in jüngster Vergangenheit immer wieder für größere Überschwemmungen gesorgt. "Dort kann man jetzt schon sehen, was hier passieren wird."
Der Knackpunkt: Die Renaturierung umfasst auch die Beseitigung bestehender Uferbefestigungen, wie etwa den kleinen Damm, der die Wiesen von Werner Lehr und seinen Nachbarn aktuell vor Überschwemmungen schützt. "Wenn das weg ist und die Biber sich hier weiter ungestört ausbreiten können, dann steht hier ständig alles unter Wasser", glaubt Schöltzke.
Wasserverband sieht Gefahren nicht
Hinzu komme, dass der Bach laut Schöltzke zu großen Teilen aus dem nahegelegenen Klärwerk in Richen gespeist wird. "Das Klärwerk filtert aber zum Beispiel keine Medikamentenrückstände oder Keime aus dem Wasser, sodass die Gefahr besteht, dass hier alles kontaminiert wird." Sollte es dazu kommen, hätte das aus Schöltzkes Sicht zur Folge, dass diese kontaminierten Flächen irgendwann stillgelegt werden. "Dann ist hier alles zerstört, und zwar vorsätzlich", klagt der Landwirt. Auch das Trinkwasser sei gefährdet.
Sorgen, die Matthias Sottong vom Wasserverband nicht teilt. Eine Renaturierung sorge viel mehr dafür, dass der Bach seltener über die Ufer trete, weil er viel mehr Fläche zur Verfügung habe, auf der er sich bewegen und auch versickern könne. Auf dem dann zwanzig Meter breiten Streifen habe der Bach genug Platz zum "Mäandern", also in gewundenen Bahnen zu fließen.
"Wir würden zum Beispiel Wurzeln oder Steine reinlegen, sodass das Gewässer mehr Fließdynamik entwickelt und breiter wird", erklärt Sottong die geplanten Maßnahmen, zu denen auch die von Landwirt Schöltzke angesprochene Entfernung der Uferbefestigungen gehören. Die Wasserqualität an sich spiele bei der anstehenden Renaturierung aber keine Rolle, gibt Sottong zu. "Wir kümmern uns in diesem Fall nur um die Gewässerstruktur."
Die Renaturierung kommt
Widersprüche hin, Wasserqualität her: Die Renaturierung am Richerbach wird kommen. Schon allein deswegen, weil der Gewässerverband gesetzlich dazu verpflichtet ist. Auch das Amt für Bodenmanagement lässt durchblicken, dass es die Grundstücke am Ende auch ohne die Zustimmung der Besitzer bekommen wird – mit entsprechendem Ausgleich natürlich. "Das Allgemeinwohl steht immer über dem persönlichen Interesse", sagt die stellvertretende Amtsleiterin Babette Uhlig.
Der Widerspruch führt zu weiteren Gesprächen und Überlegungen, zu mehr aber am Ende nicht. Das weiß auch Landwirt Schöltzke, dem es aber merklich schwerfällt, sich damit abzufinden. Es ist das Gefühl, etwas von ganz oben übergestülpt zu bekommen, ohne die Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Denn: "Jeder Bach ist anders."
Bis am Richerbach alles anders wird, fließt aber noch jede Menge Wasser den geraden Verlauf hinunter. Einen genauen Zeitplan für die Maßnahmen gibt es nicht, aber Sottong vom Wasserverband schätzt, dass es vor 2030 nicht losgeht. Mindestens bis dahin kann Obstliebhaber Lehr noch haufenweise "Gute Luisen" ernten.