"Sicherheit geht vor" Nach Einsturz in Kassel: Weitere Kirchen in Darmstadt und Hofheim gesperrt

Das Dekanat hat in Darmstadt aus Sicherheitsgründen zwei Kirchen gesperrt. Sie haben die gleiche Dachkonstruktion wie die Kirche in Kassel, deren Dach einstürzte. Auch in Hofheim wurde schon eine Kirche geschlossen. Weitere könnten folgen.

Die Michaelskirche in Darmstadt von oben
Wurde wegen Sicherheitsbedenken geschlossen: Die Michaelskirche in Darmstadt Bild © hr
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Bild © Uwe Gerritz (hssenschau.de)| zur Audio-Einzelseite
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Als Daniel Jünger im hr-fernsehen die Berichte über das eingestürzte Kirchendach der Elisabethkirche in Kassel sieht, kommt ihm ein Verdacht. Die Bilder erinnern den Leiter der Bauabteilung des Dekanats Darmstadt der Evangelischen Kirche zu Hessen und Nassau (EKHN) an das Dach der Michaelskirche im Darmstädter Martinsviertel.

Archiv-Recherche zeigt Übereinstimmung

"Ich bin dann ins Archiv gegangen und habe recherchiert", erzählt Jünger. Und tatsächlich: Die beiden Dächer stimmen in Konstruktion, Baujahr und Spannweite überein. "Wir haben sofort ein Statik-Büro eingeschaltet und waren uns schnell einig, dass wir das Dach untersuchen und das Gebäude bis zum Vorliegen eines Ergebnisses sperren müssen."

Das Dach der Kasseler Elisabethkirche war Anfang November ohne jede Vorwarnung in sich zusammengebrochen. Verletzt wurde bei dem Unglück wie durch ein Wunder niemand. Dass man solch ein Glück noch einmal hat, darauf will sich in Darmstadt niemand verlassen.

Sicherheit geht vor

"Sicherheit geht vor", macht der zuständige Dekan in Darmstadt, Sven Sabary, klar. "Es gibt zu viele Indizien, die auf eine potenzielle Gefahr hindeuten." So lange nicht ausgeschlossen werden kann, dass in Darmstadt Ähnliches drohen könnte wie in Kassel, bleibt die Michaelskirche also dicht.

Pfarrer, Dekan und Architekt vor der Michaelskirche in Darmstadt
Sind trotz Sperrung guter Dinge: Pfarrer Manfred Werner, Dekan Sven Sabary, Bauabteilungsleiter Daniel Jünger Bild © Uwe Gerritz (hssenschau.de)

So kurz vor Weihnachten kommt die Sperrung natürlich besonders ungelegen. Viele Gottesdienste und Veranstaltungen müssen umgeplant werden. Da trifft es sich gut, dass die Gemeinde in direkter Nachbarschaft über einen großen Saal verfügt, der mit rund 150 Menschen immerhin rund die Hälfte der Kapazität der Kirche hat.

Pfarrer wird zum Eventmanager

"Ich habe Tag und Nacht gearbeitet", sagt Pfarrer Manfred Werner, der den Umzug organisieren musste. "Sie müssen sich das vorstellen wie einen Eventmanager." Der große Flügel musste transportiert, Lichtstrahler angepasst werden. Auch ein bereits angefertigter "Lebenslaufteppich" passte in seiner ursprünglichen Form nicht in den Saal.

Und dennoch sieht Pfarrer Werner die Situation nicht nur mit einem weinenden Auge. "Im Gemeindesaal sind die Gottesdienste viel familiärer." Der Pfarrer verweist darauf, dass Kirche sich heutzutage ganz anders darstelle als noch vor einigen Jahren. Sie sei nicht mehr an ein Gebäude gebunden.

"Wir gehen mit der Kirche raus, bringen sie zu den Menschen", erklärt Werner. Etwa wenn man an Heiligabend bei den Darmstädter Lilien oder draußen mit Obdachlosen feiere. "Wir machen auch viel mit Kunst und Musik." Gerade da biete der ebenerdige Jugendstilsaal mit seiner großen Bühne tolle Möglichkeiten.

Weitere Kirche geschlossen

Bei der Michaelskirche blieb es aber nicht. Auch der Kirchraum der Melanchthongemeinde in Griesheim (Darmstadt-Dieburg) muss bis auf Weiteres geschlossen bleiben. Das teilte Dekan Sabary nach einer Begehung mit einem Statiker und einer Architektin mit. Hintergrund sind demnach auch hier Übereinstimmungen der Dachkonstruktion mit der Elisabethkirche in Kassel.

Die in der Melanchthongemeinde geplanten Weihnachtsgottesdienste können deshalb auch nicht stattfinden. Als Alternativen verweist Sabary auf die Johannesgemeinde und St. Marien in Griesheim sowie die Veranstaltungen weiterer Gemeinden im Nachbarschaftsraum Darmstadt. Außerdem werde der 16-Uhr-Gottesdienst der Melachthongemeinde als Online-Gottesdienst live im Internet übertragen.

Aufwändige Untersuchung nötig

Auch in Hofheim-Marxheim (Main-Taunus) ist bereits eine Kirche gesperrt worden. Wann die Kirchen wieder öffnen können, ist unklar. Zunächst muss festgestellt werden, ob von den Dächern wirklich eine Gefahr ausgeht. Um etwa in der Michaelskirche die Untersuchung durchführen zu können, muss die tiefer gehängte Decke entfernt werden, damit man überhaupt an die Dachbalken herankommt.

"Dazu muss aber zunächst ein Stützgerüst unter dem Dachfirst eingesetzt werden", erklärt Bauabteilungsleiter Jünger. Denn schließlich wollen die Arbeiter keine unliebsamen Überraschungen wie in Kassel erleben. Was dort zum Einsturz des Kirchendachs geführt hat, ist noch unklar.

Lag es am Leim?

Eine mögliche Erklärung ist laut Jünger, dass der mehr als 60 Jahre alte Leim nachgegeben haben. Das Dach stammt aus dem Jahr 1958. Auch in Darmstadt wurde 1958 mit der Planung begonnen, die Fertigstellung des Dachs der Michaelskirche erfolgte zwei Jahre später. "Wir stoßen jetzt auf ein Thema, um das sich frühere Generationen nicht kümmern mussten", so Jünger.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass in der näheren Zukunft weitere Kirchen von Schließungen betroffen sein könnten. "Das ist wie wenn bei einem Auto die Bremse versagt und alle Fahrzeuge dieses Typs zurückgerufen werden", beschreibt Pfarrer Werner die Situation. "Eine Rückrufaktion für Kirchendächer, wenn Sie so wollen." Möglich, dass am Ende alles in Ordnung ist - aber Sicherheit geht eben vor.

Weitere Informationen

Sendung: hr4, 21.12.2023, 12.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de